Die Ausstellung über Karl Marx im Deutschen Historischen Museum in Berlin

Riechen am Schweißstein

Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin widmet sich dem Leben von Karl Marx und versucht zugleich, den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts erfahrbar zu machen.

Wer denkt, dass der Kulturbetrieb nach dem Jubiläumsjahr 2018, in dem sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal jährte, genug von ihm gehabt hätte, hat sich getäuscht. Dabei erschienen bereits damals allein auf Deutsch über 14 Titel über den großen Kritiker des Kapitalismus – die dicke Marx-Biographie von Jürgen Neffe aus dem Jahr 2017 nicht mitgerechnet. Der Kinofilm »Der junge Marx« von Raoul Peck erschien ebenfalls 2017. Auch ins Museum schaffte er es: Im Rheinischen Landesmuseum Trier gab es eine große Schau über Leben und Werk von Marx.

Dessen ungeachtet ist seit dem 10. Februar im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel »Karl Marx und der Kapitalismus« zu ­sehen. Die Ausstellung, so formulierte es die Kuratorin Sabine Kritter, habe den Anspruch, Marx »in seiner Widersprüchlichkeit« darzustellen. Dass man sich hier nicht nur mit einer Person und einem Werk beschäftigen will, sondern explizit auch mit dem Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, also der Industrialisierung, hilft, den Autor und die gesellschaftlichen Verhältnisse ins rechte historische Licht zu rücken.

Insbesondere Marx’ Aus­tausch mit Arbeitern und Revolutionärinnen verschafft einen guten Eindruck davon, wie sehr er ins politische Tages­geschäft einge­bunden war.

Eine solches Miteinander von Werk- und Ideengeschichte im Ausstellungskonzept ist im DHM nichts Neues. In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe ähnlicher Ausstellungen in dem Haus, insbesondere seit Raphael Gross 2016 die Leitung des Museums übernommen hat. Ein Beispiel ist die 2020 gezeigte Ausstellung über Hannah Arendt zur »Ausbildung der Urteilskraft« vor dem Hintergrund einer »wachsenden Pluralisierung der Gesellschaft«, ein weiteres die zu Martin Luther und dem Zusammenspiel von Medien und politischer Öffentlichkeit.

Die Historisierung von Kapitalismus und Marx in der neuen Ausstellung bricht dagegen mit der Suche nach der Aktualität des Historischen, die die Ausstellungen über Arendt und Luther bestimmte. In sieben Themenbereichen, die sich jeweils mit unterschiedlichen Aspekten von Marx’ Werk befassen, widmet sich die Ausstellung neben Religions- und Gesellschaftskritik der Judenemanzipation und Antisemitismus, Revolution und Gewalt, Technik, Ökologie, Wirtschaft sowie Kämpfen und Bewegungen. Den Großteil der Ausstellung machen die in Schaukästen ausgestellten Schriften von Marx aus, denen auch Briefe an Marx sowie Texte von zeitgenössischen Autorinnen und Autoren zur Seite gestellt sind. Mit Marx unvertraute ­Besucher, aber auch einige Marx-Kenner, dürften von der thematischen Vielfalt überrascht sein; Marx war eben nicht nur Gesellschaftskritiker und Philosoph, sondern auch Journalist.

Viele berühmte Schriften sind als Exponate zu sehen, beispielsweise Auszüge aus den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten«, aus der »Deutschen Ideologie«, der »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, der Text »Zur Judenfrage«, sein Schriftverkehr mit Friedrich Engels über den »jüdischen Nigger Lassalle«, das sogenannte »Maschinenfragment«, ein persönliches ­Exemplar des »Manifests der Kommunistischen Partei« und natürlich »Das Kapital«.

Insbesondere Marx’ Austausch mit Arbeitern und Revolutionärinnen verschafft einen guten Eindruck davon, wie sehr er ins politische Tagesgeschäft eingebunden war. Besonders stolz ist man im DHM darauf, eines von vier »bisher weniger bekannten« und von Marx selbst angefertigten Sitzungsprotokollen der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) zeigen zu können.

In den Begleittexten scheuen sich die Ausstellungsmacher nicht, den Inhalt des exponierten Materials allzu simplifizierend zu kommentieren. Zur Schrift »Zur Judenfrage« heißt es da etwa, dass sie antisemitische Stereotype bediene, diese in seinem späteren Werk und insbesondere im »Kapital« aber nicht mehr zu finden seien.

Ergänzt wird das Textmaterial mit allerlei anderen Ausstellungsstücken. So sind etwa eine Dampfmaschine, eine Rechenmaschine sowie zeitgenössische Kleidung zu ­sehen. Auf Knopfdruck kann man sich außerdem den typischen Maschinenlärm aus dem 19. Jahrhundert anhören, an einem Riechstein Schweißgeruch inhalieren und Schafwolle befühlen.

Ein weiteres Anliegen der Ausstellung ist es, Marx’ vermeintliche ­Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Frauenfrage herauszuarbeiten. Der zugehörige Ausstellungsbereich ist ausgerechnet in einem rosa Farbton gehalten. Hier möchte das DHM zeigen, dass Marx die Arbeiterfrage über die politische Emanzipation der Frauen stellte. Drei Dialoge werden präsentiert, die so zwar nie stattgefunden haben, aber aus realen Zitaten bestehen. Einer davon fingiert ein Gespräch zwischen Marx und der US-amerikanischen Frauenrechtlerin und Finanzmaklerin Victoria Woodhull. Sie war Gründerin der »Sektion 12«, die wiederum Teil der amerika­nischen Arbeiterassoziation war. Gegen diese Sektion 12 wetterte Marx, da ihr zu wenige Arbeiter angehörten. Er befürchtete eine Unterwanderung der IAA durch Bürgerliche. Als Antwort darauf forderte er für jede Sektion eine »Arbeiterquote von mindestens 35 Prozent«. Was daran allerdings widersprüchlich sein soll, bleibt unklar.

Nicht alles, was in der Ausstellung zu sehen ist, gehört aber auch der Vergangenheit an. Die gezeigten Körperstudien von Fabrikarbeitern beispielsweise ließen sich auf von Bürostühlen Geplagte von heute übertragen.

Was fehlt, ist eine stärkere Betonung der Arbeit von Marx’ Ehefrau Jenny von Westphalen, ohne die die Veröffentlichung seiner Schriften kaum möglich gewesen wäre, hat sie doch beispielsweise seine unleser­liche Handschrift für die Verleger übertragen. Ebenso wünschenswert wäre es gewesen, wenn man in der Ausstellung mehr über die Geschichte der Industrialisierung erfahren würde.

Man darf gespannt sein, wie es im DHM dieses Jahr weitergeht. Im ­April soll der Marx-Ausstellung eine über den Komponisten Richard Wagner zur Seite gestellt werden. Die These, welche das DHM in seiner Ankündigung verrät, lautet: Wagners Ansinnen, die »Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu verändern«, finde sich, allerdings »in anderer Form und Ausprägung«, auch bei Marx.

Die Ausstellung »Karl Marx und der Kapitalismus« ist noch bis zum 21. August im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.