Das Berliner Amtsgericht urteilt zugunsten des Lieferdienstes Gorillas und gegen die Streikenden

Spontan ist verboten

Das Arbeitsgericht Berlin hat entschieden, dass die Kündigung von Gorillas-Mitarbeitern wegen eines »wilden Streiks« rechtens ist. Die Kläger wollen in Berufung gehen.
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Man sieht die Gorillas-Kuriere in ihrer schwarzen Uniform inzwischen in vielen deutschen Großstädten herumfahren. Es sind Angestellte eines globalen Konzerns mit Milliardenwert: der Gorillas Operations Germany GmbH & Co KG. Das Unternehmen betreibt seit 2020 einen Lieferdienst für Lebensmittel und Supermarktwaren. Das Angebot gibt es inzwischen weltweit in über 60 Städten. Es ist nicht günstig, aber schnell: »In Minuten«, heißt es vom Unternehmen, sollen die Waren nach der Bestellung per App ausgeliefert werden. Das erledigen Kuriere auf Fahrrädern oder E-Bikes.

Während die Start-up-Szene vom Erfolg des Unternehmens beeindruckt war, kritisierten Beschäftigte und Gewerkschaften schnell die schlechten Arbeitsbedingungen, die mit dem Geschäftsmodell und der raschen Expansion einhergingen. Schon bald kam es zu Protesten und Streiks der Belegschaft, vor allem in Berlin. Dort gründete sich der Zusammenschluss Gorillas Workers Collective (GWC) als Interessenvertretung der Beschäftigten.

Um diese Streiks drehte sich eine Gerichtsverhandlung am Berliner Arbeitsgericht, die am Mittwoch voriger Woche entschieden wurde. In dem Rechtsstreit ging es um die Entlassungen von drei Radkurieren in Berlin und Leipzig, die im Rahmen einer ganzen Welle von rund 300 Kündigungen im Oktober 2021 ihren Job verloren hatten. Die Kündigungen folgten auf eine Reihe kleiner, spontaner Streiks im Sommer und Herbst 2021 unter Beteiligung des GWC. Es handelte sich um sogenannte wilde Streiks, die nicht gewerkschaftlich organisiert waren; deshalb sah Gorillas sich dazu berechtigt, die beteiligten Arbeiterinnen und Arbeiter zu feuern.

Die drei Radkuriere klagten gegen ihre Kündigung. Mit einer Entscheidung in ihrem Sinne hätte das Gericht der bisherigen Rechtsprechung widersprochen und hätte damit sogenannte wilde oder verbandsfreie Streiks als Mittel im Arbeitskampf legitimiert. Doch das ­Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. In der Begründung wird das geltende Recht sehr eng ausgelegt: »Die Teilnahme an einem Streik ist nur dann rechtmäßig, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen wird.«

Mit dieser Entscheidung gab Richter Thomas Kühn dem Unternehmen recht. Auf dieser Grundlage wurden zwei der drei Kündigungen anerkannt. Dem dritten Kläger wurde zwar keine Beteiligung am Streik nachgewiesen, seinen Job hat er dennoch verloren: Weil er sich noch in der Probezeit befand, galt für ihn kein Kündigungsschutz. Alle drei wollen in Berufung gehen.

Der Anwalt der Gorillas-Arbeiterinnen, Benedikt Hopmann beruft sich auf Artikel 6 Absatz 4 der Europäischen Sozialcharta, der seiner Auffassung nach sowohl verbandsfreie als auch politische Streiks erlaube. Eine Anpassung der Rechtsprechung an diese völkerrechtliche Übereinkunft sei wichtig, schreibt er in einer Positionierung zu dem Urteil auf der Website widerständig.org. Ohne das Grundrecht auf Streik könnten »fundamentale soziale und demokratische Standards weder durchgesetzt noch verteidigt« werden.

Hopmann berichtet, die Klägerin Duygu Kaya habe vor Gericht eine Erklärung für das Gorillas Workers Collec­tive verlesen wollen, was ihr aber untersagt worden sei. In der später veröffentlichten Erklärung beschreibt Kaya die prekäre Situation von migrantischen Arbeiterinnen wie ihr. Doch werde die »Zerstörung der Arbeitnehmerrechte« bei Gorillas und ähnlichen Firmen »nicht nur bei den Arbeitsmigrantinnen aufhören«. Das derzeitige Streikrecht sei eine zu hohe Hürde, um sich gegen diese Zustände zu wehren, besonders für die migrantischen Arbeitskräfte bei Firmen wie Gorillas. Kaya betont, dass viele Angestellte noch vor Ablauf der Probezeit entlassen würden und nur wenige länger als ein Jahr im Job verblieben. Gewerkschaftliche Organisierung brauche aber im Schnitt zwei Jahre.

Den akuten Bedarf, demokratische und soziale Mindestforderungen durchzusetzen, sehen nicht nur die Klägerinnen. Das Forschungsprojekt Fairwork der Universität Oxford hat im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Arbeits­bedingungen bei Plattform-Unternehmen evaluiert, ­darunter Personalvermittlungsplattformen und Lieferdienste. Bei der Untersuchung für das Jahr 2021 wurden die Unternehmen nach zehn Kriterien wie »Faire Bezahlung« oder »Faire Verträge« bewertet. Gorillas erhielt nur zwei von zehn Punkten. Als einziges der untersuchten Unternehmen erhielt es nicht einmal den Basispunkt für Mindestanforderungen in der Kategorie »Faire Arbeitsbedingungen«.

Als Grund wurden unter anderem verspätete oder falsch berechnete Löhne genannt, sowie der Umstand, dass Fahrräder und Ausrüstung nach wie vor keinen ausreichenden Schutz vor arbeitsbezogenen Risiken böten. Zudem seien Mängel am Arbeitsplatz dokumentiert, darunter die Schließung eines Warenlagers wegen Bettwanzenbefall durch das Bezirksamt Berlin-Kreuzberg, erläutert der Bericht. Leidtragende sind vor allem Migrantinnen und Migranten, da sie die Mehrheit der Beschäftigten stellen. Außerdem habe Gorillas in der Vergangenheit erfolglos versucht, eine Betriebsratswahl zu verhindern, und auch nach »der Bildung eines Betriebsrats werden die Kanäle für die Mitbestimmung behindert«, heißt es in der Studie.

Das Unternehmen verlautbarte nach der Veröffentlichung der Studie im Hamburger Abendblatt: »Wir bedauern das Ergebnis des Fairwork-Ratings, ­welches nicht unseren Erwartungen entspricht.« Bereits im Januar sei der Stundenlohn auf zwölf Euro angehoben worden. Das entspricht freilich nur dem ab Oktober dieses Jahres ohnehin geltenden Mindestlohn.