In Libyen spitzen sich die ­Konflikte zwischen Haftars Kräften und denen von Ministerpräsident Dbeiba zu

Öl auf Putins Mühlen

In Libyen haben sich Verbündete des Milizenführers Haftar aus der Gemeinsamen Militärkommission zurückgezogen. Anhänger des von Haftar unterstützten designierten Ministerpräsidenten Fatih Bashagha blockieren die Erdölförderung. Der Waffenstillstand von 2020 ist bedroht.

Um Gewerkschafter oder Umweltschützer handelte es sich offenbar nicht. Beginnend am 17. April drangen über mehrere Tage hinweg Gruppen von Männern in zahlreiche Ölfelder und ­Ölhäfen Libyens ein und zwangen die Arbeiter dazu, die Förderung von Erdöl und Erdgas einzustellen. Die staatliche libysche National Oil Corporation (NOC) berief sich daraufhin in einer Reihe von Ölhäfen auf höhere Gewalt: Sie könne ihre Exportverpflichtungen nicht erfüllen. Die Blockaden dauerten bis Redaktionsschluss an.

Die Männer, die diese Schließungen herbeigeführt haben, geben zwar an, wütend über die politische Blockade im Land zu sein. Alles jedoch deutet darauf hin, dass die Proteste die Unterstützung einer mächtigen Fraktion genießen; die örtliche Polizei griff bezeichnenderweise nicht ein. Die Blockaden fanden ausschließlich in Gebieten statt, die der ostlibysche Kriegsherr Khalifa Haftar kontrolliert, und sollen offenbar politischen Druck aufbauen. Aufschluss bietet vor allem die Bedingung, die die Demonstranten stellen: Sie würden die Ölförderung erst dann wieder freigeben, wenn »eine vom Parlament gewählte Regierung« in der Hauptstadt Tripolis ihr Amt antreten könne.

Der anhaltende Machtkampf in Libyen spielt Russland in die Hände, das dort noch immer Söldner und Luftstreitkräfte stationiert hält.

Diese Forderung berührt den Kern des gegenwärtigen Konflikts in Libyen, der sich nur vordergründig um Verfassungsfragen dreht. Gemeint ist die Regierung des von Haftar und seinen Verbündeten unterstützten designierten Ministerpräsidenten Fatih Bashagha. Diese versucht auf Grundlage der im Februar von Unregelmäßig­keiten überschatteten Ernennung Bashaghas im Tobruker Parlament, in Tripolis einzuziehen und die Regierung von Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba abzulösen. Dessen Mandat sei nach den gescheiterten Wahlen Ende 2021 erloschen, so die Begründung Bashaghas. Dbeiba aber will sein Amt erst abgeben, wenn ein neues nationales Parlament gewählt wurde. Milizen, die Dbeiba unterstützen, hindern Bashagha seither daran, in Tripolis sein Amt anzutreten, und stellen sich jenen Milizen entgegen, die Letzteren gerne an der Macht sehen wollen.

Offenbar sind die Versuche Basha­ghas gescheitert, sich allein durch poli­tische Überzeugungsarbeit durchzusetzen. Die meisten Milizen in der Hauptstadt haben sich nicht von Dbeiba und seiner Regierung abgewandt beziehungsweise lehnen Bashaghas Regierung ab. Gleichzeitig verliert dieser ­immer mehr an ausländischer Unterstützung: Im Nachbarland Tunesien ist er mittlerweile unerwünscht, im Westen findet er immer weniger Gehör. Das liegt vermutlich vor allem an der Kompromisslosigkeit seiner Unterstützer. Einzig seine Hauptunterstützer Russland, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich halten zu ihm.

Am 9. April verließen die Vertreter Haftars schließlich die Gemeinsame Militärkommission, ein Gesprächsgremium für die Überwachung des seit 2020 geltenden Waffenstillstands. Sie forderten den ­Abbruch sämtlicher Beziehungen des Gremiums zur Regierung Dbeibas als Bedingung für ihre Rückkehr zu Gesprächen und drohten mit Verkehrs­blockaden und einem Ölförderstopp in Ostlibyen. Seitdem haben sich die Konflikte in Libyen weiter zugespitzt. Einer davon betrifft die Verteilung der Devisen aus dem Ölexport. Der Waffenstillstand wurde erst dadurch ermöglicht, dass die westliche Seite versprach, die Dollardevisen nicht mehr an die Zentralbank in Tripolis zu übergeben, sondern auf ein separates ­Konto einzuzahlen, das von der überparteilichen NOC kontrolliert und ­eingefroren wird. Dieses Geld sollte erst ausgezahlt werden, wenn eine ­Finanzkommission unter Einschluss beider Seiten gebildet werde, doch ­diese nahm auf Betreiben Dbeibas nie Form an. Die NOC geriet deshalb selbst in Finanznöte und entschied sich am 13. April dazu, je nach Quelle, sechs oder acht Milliarden US-Dollar von dem erwähnten Konto doch an die Zentralbank freizugeben.

Haftars Verbündete verurteilten diesen Schritt entschieden, Bashagha drohte politische Konsequenzen an. Die nur wenige Tage später erfolgende Blockade der Ölexporte dürfte zu diesen Konsequenzen gehören.

Die libyschen Ölexporte sind seit den Schließungen um etwa die Hälfte gesunken. Nach Angaben der NOC werden wöchentlich vier Millionen Barrel Erdöl vom Weltmarkt genommen. Das trägt dazu bei, den Ölpreis weiter steigen zu lassen, und auf dem Weltmarkt fehlt dadurch Erdöl, das bei einem europäischen Energieembargo gegen Russland dessen Ölexporte ersetzen könnte. Die Entwicklungen spielen deshalb in die Hände Russlands, das weiterhin Söldner und Luftstreitkräfte in Libyen stationiert hält. Diese stützen Haftar, der im Osten der eigentliche Machthaber und für die Ölblockaden verantwortlich ist.

Dafür gibt es offenbar eine Gegenleistung. Der ukrainische Sicherheitsrat berichtete am 21. April, dass erstmals Kämpfer aus Libyen bei Gefechten in der Ostukraine identifiziert worden seien. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums habe Haftar der russischen Führung bereits Mitte März angeboten, libysche Frei­willige bereitzustellen. Die UN sind in Libyen derweil kaum handlungsfähig, weil Russland die Neubesetzung der Leitung der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL) blockiert.

Ein Ende März veröffentlichter UN-Bericht legte Haftars Truppen schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last und beschrieb dessen enge Verbindung zu salafistischen Milizen, die das Alltagsleben immer stärker dominierten. Zwar kritisiert der Bericht auch die Milizen im Westen des Landes und die Regierung unter Dbeiba, doch sei das Ausmaß der Repression unter Haftar ungleich größer.

Russland ist nicht die einzige Macht, die in Libyen militärisch eingreift. Die Türkei besitzt eine Marinebasis und unterhält syrische Söldner im Westen des Landes. 2020 war es die Türkei, die den russisch unterstützten Angriff Haf­tars auf die libysche Hauptstadt aufhielt. Anders als damals hält sich die Türkei derzeit jedoch eher bedeckt.

Am schwersten dürfte derzeit der andauernde Rückzug von Haftars Vertretern aus der Gemeinsamen Militärkommission wiegen. Damit besteht keine Möglichkeit mehr, den Waffenstillstand zu garantieren. Es gab zwar immer vereinzelte Scharmützel um lokale Einflussgebiete, doch die Militärkommission und eine mehr oder weniger funktionierende UN-Mission sorgten dafür, dass daraus kein größerer Konflikt wurde.

Seit Ostermontag häufen sich die Kämpfe zwischen Milizen, erst in ­Tripolis, dann in Zliten wenige Kilometer östlich der Hauptstadt, dann auch in al-Zawiya westlich davon. Es droht ein Rückfall in den Bürgerkrieg.