Die AfD geriert sich als Friedenspartei

Friedensbeseelt und rechts

Die AfD entdeckt im Ukraine-Krieg ihre Friedensliebe. Dahinter steckt eine teils kaum verhüllte Sympathie für das Putin-Regime. Auch die linke Friedensbewegung versucht derzeit wieder, sich zu profilieren.

»Guten Tag, liebe friedensbeseelte Menschen!« Mit ausgebreiteten Armen steht der brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Lars Günther auf ­einer kleinen Bühne und begrüßt die rund 40 Zuhörer auf dem Kirchplatz in Königs Wusterhausen. Seit Monaten schon wird in der brandenburgischen Kleinstadt demonstriert. Doch anders als an den Montagen zuvor sieht man diesmal keine Plakate gegen einen »Impfzwang« oder die »Corona-Diktatur«. Statt rhythmischem Trommeln und Songs von Nena hören die Demonstranten am 30. Mai etwa eine Stunde lang Redebeiträge gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.

Der AfD-Landesverband Brandenburg hat zur »Friedensdemo« aufgerufen. Für Günther, einen von insgesamt fünf Rednern und Mitglied des AfD-Landesvorstands, ist das kein neues Thema. Er hatte schon 2014 an den sogenannten Mahnwachen für den Frieden in Berlin teilgenommen.

Schon in der Woche vor der Demonstration wendete sich Birgit Bessin, seit April Landesvorsitzende der AfD Brandenburg, auf Twitter mit einem Appell an ihre Anhänger: »Deutschland darf nicht zur Kriegspartei werden!« Sie forderte: »Keine Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine! Keine Eskala­tion zu einer atomaren Konfrontation!« Bessin folgte somit einem Kurs, der sich parteiintern seit Kriegsbeginn in der AfD weitgehend durchgesetzt hat. Diese versucht sich als »Partei des Friedens für Europa« (Bessin) zu inszenieren und nutzt dafür Parolen, die man bislang von der Friedensbewegung, den Grünen oder der Linkspartei kannte. So heißt es auf Plakaten, die den Teilnehmenden an jenem Montag in Königs Wusterhausen ausgehändigt werden: »Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete«, und: »Diplomatie statt Bomben«.

Im März sprach Höcke im Rahmen einer Kundgebung in Prenzlau davon, man solle sich als Deutscher gut überlegen, wem man näher­stehe: den USA oder Russland.

Die Redner der »Friedensdemo« sprachen davon, man dürfe sich von Großmächten wie den USA oder China nicht vor den Karren spannen lassen. Sowieso handele es sich bei dem derzeitigen Konflikt um einen Stellvertreterkrieg. Eine Beteiligung Deutschlands mittels Waffenlieferungen sei ein großer Fehler. Wichtig sei stattdessen, die Versorgung mit russischem Öl und Gas sicherzustellen und so die eigenen Interessen zu sichern.

Die Affinität zu Putins Russland war bereits kurz nach der Gründung der AfD deutlich geworden. Schon 2014, nach der Annexion der Krim, sprach Alexander Gauland davon, es sei nun wichtig, eine »Brücke« zu bauen. Ein »starkes Russland«, so der damalige stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende, sei schon »immer ein freundliches Russland« gewesen. Ähnliches hört man auch heutzutage. Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD, betonte jüngst auf Facebook anlässlich des 9. Mai, des »Tags des Sieges« über den Nationalsozialismus: »Deutschland muss seinen Vasallenstatus überwinden und zum Vermittler werden.« Der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla bekräftigte Ende April im Bundestag: »Waffen haben Kriege noch nie verkürzt.« Es sei im deutschen Interesse, zu beiden Staaten, der Ukraine und Russland, ein gutes Verhältnis zu pflegen.

Weniger wohlwollend blicken AfD-Politiker in Richtung USA. Im März sprach Höcke im Rahmen einer Kundgebung in Prenzlau davon, man solle sich als Deutscher gut überlegen, wem man näherstehe: den USA oder Russland. Im Falle der USA handele es sich um eine »raumfremde Großmacht«, die in »Europa nichts zu suchen« habe.

Die AfD versucht offenbar, sich anlässlich des Kriegs in der Ukraine als Friedenspartei in Stellung zu bringen. Wie anschlussfähig das bei der eigenen Wählerschaft ist, bleibt abzuwarten. ­Einer Umfrage des Think Tanks Cemas zufolge verorten 64,4 Prozent der AfD-Anhänger die Hauptschuld für den Krieg bei Russland. 42,5 Prozent ­machen die Nato verantwortlich, etwa ebenso viele die USA. Einige Rechte halten sich in diesem Zusammenhang noch bedeckt oder suchen nach dem eigenen Standpunkt. Die bedingungslose Russlandnähe ist in der Partei nicht unumstritten. Der bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Rainer Kraft beispielsweise sagte, die jüngsten Wahlniederlagen der AfD seien der mangelnden Unterstützung für die Ukraine geschuldet.

Der Krieg in der Ukraine hat auch die lange abgetauchte linke Friedensbewegung wiederbelebt. Ende Mai lud ein Bündnis von Friedensinitiativen zu ­einem Kongress in die Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Titel »Ohne Nato leben – Ideen zum Frieden«. Mit dabei waren prominente derzeitige und ehemalige Mitglieder der Linkspartei wie Oskar Lafontaine, Dieter Dehm und der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. In den Beiträgen wurde die Verantwortung der Nato und besonders der USA für den Krieg betont, die deutschen Medien seien dagegen von Geheimdiensten »infiltriert.«

Auch Akteure der Coronaproteste ­haben den Krieg als Thema für sich entdeckt, feiern nun »Friedensfeste« und solidarisieren sich mit Russland. Am Samstag besuchten einige Hundert Menschen ein solches »Friedensfest« im Mauerpark in Berlin-Prenzlauer Berg.
Selten zuvor hat sich die AfD derart offensiv als Friedenspartei deklariert. Wegen der relativ schlechten Wahlergebnisse in letzter Zeit dürfte dahinter das Kalkül stehen, die Partei könne von autoritären Ressentiments und der Empörung über Preissteigerungen profitieren, die sie als Folge einer Politik darstellt, die nicht deutschen Interessen entspreche.

Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei nahesteht, warnte vor einiger Zeit im Magazin Jacobin vor genau dieser Möglichkeit. Wer in Deutschland fordere, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern, werde »pauschal diffamiert«, schrieb er. Das führe zu einem »Elite-Masse-Bruch«, der sich bald in Protesten auf der Straße äußern werde. Für die Linkspartei sei dieser Umstand »strategisch alles entscheidend«.

Eine neu entstehende Friedensbewegung, so Solty, dürfe nicht den Rechten überlassen werden. Deshalb müsse die Linkspartei eine »Großdemonstration und flankierend lokale wöchentliche Kundgebungen« organisieren. Am Freitag voriger Woche veranstaltete die Linkspartei eine Kundgebung mit einigen Hundert Teilnehmern in Berlin – allerdings nicht gegen die von der Partei abgelehnten Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern gegen das »Sondervermögen« für die deutsche Bundeswehr, das am selben Tag im Bundestag verabschiedet wurde. Der geringe Zulauf der »Friedensdemo« in Königs Wusterhausen weckt eher Zweifel daran, dass es bald eine von der AfD angeführte Friedensbewegung von rechts geben wird.