Der Antisemitismus auf der Documenta ist leicht zu erkennen

Akademische Weihen

Die derzeitige Diskussion über Antisemitismus verkommt zur Fachdebatte, ist aber auch und vor allem eine politische Frage.
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Am 10. September veröffentlichte das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der 15. Documenta ihre ersten Einschätzungen zum Antisemitismus auf der Kunstschau. Noch am selben Tag verkündeten das Kuratorenteam Ruangrupa und mit ihm die ausstellenden Kollektive im Ton der beleidigten Leberwürste, dass sie mit der Einschätzung des Gremiums nicht einverstanden seien. Dieses, bestehend aus Politikwissenschaftlerinnen, Soziologinnen und Historikern, hatte in ihrer Stellungnahme vor allem das »Tokyo Reels Film Festival« des Kollektivs Subversive Films kritisiert und vorgeschlagen, die Vorführungen zunächst einzustellen.

Gezeigt werden dort antiisraelische Propagandafilme, die der ehemalige Terrorist Masao Adachi dem Kollektiv zugespielt hat. Adachi war Mitglied der Japanischen Roten Armee, jener Organisation, die 1972 ein Massaker am israelischen Flughafen Lod verübte und dabei 26 Menschen ermordete. Die Filme stellen dem Expertengremium zufolge eine »größere Gefahr« dar als das abgehängte Großbild »People’s Justice« von Taring Padi.

Laut der Antwort von Kuratorenteam und teilnehmenden Kollektiven, die in der Kritik nur Rassismus erkennen können, fehle es dem Bericht an »wissenschaftlichen Beweisen, akademischen Referenzen, rigoroser Argumentation und Integrität«. Kurz: Er sei ­unwissenschaftlich.

Was die Filme betrifft, sind diese sicher sehenswert. An ihnen lässt sich der ästhetische Ausdruck und das ideologische Selbstverständnis von antisemitischen Terroristen und damit bis zu einem gewissen Grad auch die Mentalität eines großen Teils der weltweiten Linken während des Kalten Kriegs studieren. Doch so will Sub­versive Films die Screenings dezidiert nicht verstanden wissen – genau das hat das Gremium kritisiert. Zwischenkommentare und der Begleittext machen klar, dass die Filme nicht als historische Dokumente gezeigt werden, sondern darauf abzielen, »heutige ­Solidaritäts-Konstellationen« zu »reaktivieren« und »die Utopie einer weltweiten Befreiungsbewegung« zu »reflektieren«.

Die Kuratoren zeigen also die für die Wissenschaft eigentlich interessanten ästhetischen Objekte ohne wissenschaftliche Einordnung und heben ihren agitatorischen Wert hervor, sprechen dann aber wiederum Wissenschaftlern, die Kritik an den Filmen üben, die wissenschaftliche Redlichkeit ab. Damit zeigen sie sich als kluge Kämpfer in den derzeitigen culture wars. Diese drehen sich nämlich seit Jahren auch um »die« Wissenschaft, deren Ergebnisse den Kämpfern auf allen Seiten immer nur dann recht sind, wenn sie ihren Zielen dienlich sind. Aus der Nummer kommt man argumentativ nur schwer heraus. Der Antisemitismus wird in diesem Fall zu einer Frage von wissenschaftlicher Auslegung, schließlich haben auch die Leute, die derzeit in der Neuauflage des Historikerstreits unangenehm auf sich aufmerksam machen, Doktortitel und Professuren. Die Debatte verkommt zu einem wissenschaftlichen Fachgespräch und droht entpolitisiert zu werden.

Dabei braucht man kein abgeschlossenes Studium, um in den Arbeiten auf der 15. Documenta, sei es bei Taring Padi, bei Subversive Films oder vielen anderen, Antisemitismus zu erkennen. Es reichen ein wenig historische Kenntnis und ein kritischer Geist. Keine Fachsimpelei, sondern radikale Kritik sollte deswegen auf dem Plan stehen, und zwar an Antisemitismus, Antizionismus und seinen Adepten in den Universitäten, die ihren Ressentiments akademische Weihen verleihen – um sich vor der kritischen, tatsächlich politischen Auseinandersetzung zu drücken.