In Deutschland wird immer mehr Crack geraucht

Crack auf dem Vormarsch

Mitarbeiter der Sucht- und Drogenhilfe beobachten eine Zunahme des Crack-Konsums, der sie vor neue Herausforderungen stellt. Eine E-Zigarette mit Crack könnte ein Mittel sein, die schlimmsten Folgen einer Crack-Sucht zu verhindern.

An vielen Orten in Deutschland wird immer mehr Crack geraucht – zum Beispiel im Berlin-Kreuzberger Wrangelkiez und im anliegenden Görlitzer Park. Seit kurzem versucht deshalb die Nachbarschaftsinitiative Wrangelkiez United mit einer Plakataktion über »Infos zu Risiken, Substanzen und Safer-Use« aufzuklären. Crack wird hergestellt, indem Kokainsalz mit Natriumhydrogencarbonat (Natron) vermischt und erhitzt wird. Die Konsumeinheit ist mit 0,1 Gramm Kokain sehr klein und dementsprechend billig. Die Wirkung ist ähnlich der anderer Zubereitungsformen von Kokain, nur wesentlich stärker und setzt beim Rauchen schnell und intensiv ein. Einer starken, aber kurzfristigen euphorischen Phase folgt unmittelbar eine depressive, womit schnell der Wunsch nach mehr einsetzen kann. Das Suchtpotential von Crack ist somit weitaus höher als bei anderen Kokainvarianten. In der Studie »Crack in Frankfurt – eine qualitative Studie« schildert eine Süchtige: »Das Schlimme ist bei dem Zeug, entweder es gefällt dir gleich oder es gefällt dir nicht. Wenn es dir gefällt, dann hast du schon verloren.«

David Kiefer von Wrangelkiez United schildert der Jungle World die Lage so: »Wir beobachten den zunehmenden Konsum von Crack im Wrangelkiez, ›Görli‹ und Umgebung seit Frühjahr 2021. Auffällig ist, dass viele Menschen davon körperlich sehr mitgenommen sind. Darüber hinaus nehmen wir mehr Menschen mit psychischen Auffälligkeiten wahr.« Mittlerweile könne Natron im Kiez im Laden nur noch an der Kasse gekauft werden, da es regelmäßig geklaut werde, so Kiefer weiter. Überdies berichtet er, dass »Türen aufgetreten werden, um im Hausflur zu konsumieren«. Da soziale Probleme nur mit sozialen Antworten gelöst werden könnten, fordert er »mehr dezentrale Drogenkonsumräume, die auch bis in die Nacht ge­öffnet sind«, und verweist auf die Kombination aus Drogensucht und Obdachlosigkeit, die zur Verelendung führt.

»Das Schlimme ist bei dem Zeug, entweder es gefällt dir gleich oder es gefällt dir nicht. Wenn es dir gefällt, dann hast du schon verloren.« Eine Süchtige

Zwei Räume, in denen Crack konsumiert werden kann, existieren bereits in Kreuzberg. Der neuere hat erst im März am Kottbusser Tor eröffnet. Bevor User eintreten dürften, so berichtet ein Mitarbeiter im Gespräch mit der Jungle World, müssten sie ihren Stoff zeigen, damit es keinen Handel im Raum gibt; erst dann könnten sie im Rauchraum ihr Kokain aufkochen. ­Kochutensilien bekämen sie gestellt. Er berichtet zudem, dass insgesamt die Verwendung von Spritzen zugunsten von Rauchen abnehme.

Jan Sosna, der Leiter der Dortmunder Drogenhilfeeinrichtung Kick, teilte dem Bremer Lokalmagazin Buten un binnen Anfang November mit, dass Crack beliebter werde. Ihm zufolge wurden in der Dortmunder Einrichtung 2016 noch 202 Fälle von Crack-Konsum registriert, in diesem Jahr waren es bereits schon mehr als 11 000 Fälle. Jedoch finde der Großteil des Konsums weiterhin auf der Straße statt, wie Bernd Werse von der Universität Frankfurt im selben Beitrag von Buten un binnen konstatiert: »Während eine Spritze mit Heroin vorbereitet werden muss, dauert es nur wenige Sekunden, das Steinchen Crack in die Pfeife zu legen und anzuzünden.« Deshalb sei es auch schwierig, Menschen, die von Crack abhängig sind, für eben solche Räume zu erreichen.

Warum der Crack-Konsum in Großstädten in den vergangenen Jahren so stark zugenommen hat, bleibt auch in der Fachliteratur bislang unbeantwortet. Allerdings ist festzustellen, dass trotz der immer höheren Beschlagnahmungsmengen von Kokain die Straßenverkaufspreise stabil blieben und immer größere Mengen an Kokainrückständen in Abwasserproben gefunden wurden. Dem jährlichen Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht zufolge ist der Kokainkonsum nach einem kleinen Rückgang zu Beginn der Covid-19-Pandemie »wieder auf das Niveau vor der Pandemie gestiegen.« Damit sei »Verfügbarkeit und Konsum von Kokain im historischen Vergleich nach wie vor sehr hoch.« Außerdem gebe es »Hinweise darauf, dass der Crack-Konsum, auch wenn er noch relativ selten ist, zunimmt.« Offensichtlich gab es für Koks keine Lieferkettenprobleme während der Covid-19-Pandemie.

Dem Anstieg versucht der Toxikologe Fabian Pitter Steinmetz mit dem Aufruf zur Entwicklung und Bereitstellung einer sogenannten Crack-Pen, ­einer E-Zigarette für Crack-Konsumenten, zu begegnen. Diese soll eine gewisse Schadensbegrenzung (Harm Reduction) gewährleisten. So werde durch den Wasserdampf und den Filter die Lunge geschützt. Bereits in den Achtzigern hatte sich bei Heroin gezeigt, dass eine medizinisch begleitete Substituierung, oft durch Methadon, die schlimmsten Auswirkungen der Heroin-Wellen lindern konnte. Mittlerweile wird Heroin auch von ­Ärzten und Ärztinnen an bestimmten Ausgabe­stellen Abhängigen verabreicht.

Der Jungle World berichtet Steinmetz, dass er »sich schon immer gefragt« habe, »wie man das erfolg­reiche Modell der Heroin-Echtstoffvergabe auf Crack überträgt. Während bei Heroin zwei bis drei Abgaben pro Tag reichen, konsumieren Menschen mit Crack-Abhängigkeit die Droge ­zigmal am Tag – das ist logistisch nicht machbar. Eine E-Zigarette kann aber mehrere Dosen in gewissen Abständen abgeben und eine Füllung könnte einmal am Tag erfolgen.« Über das tägliche Auffüllen könne der Kontakt zwischen Sozialarbeitern sowie Medizinern und Crack-Konsumenten aufgebaut werden, die von dem Angebot der Konsumräume bisher nicht angesprochen wurden.

Obwohl das Prinzip der Harm Reduction einen immer größeren Stellenwert in den Verlautbarungen der staatlichen Drogenpolitik einnimmt, gibt es, wie so oft, zwei Hürden. Die eine sei das Betäubungsmittelgesetz, die andere »das liebe Geld – wir reden ja von der Entwicklung eines pharmazeutischen, medizintechnischen Produkts«, sagt Steinmetz der Jungle World.