Das Verhältnis von Jüdinnen und Juden zur Polizei ist belastet

Unsicherheitsfaktor Polizei

Kriminalhauptkommissar Michael Fritsch war für die Sicher­­heit der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen zuständig. Im Zuge der Razzia gegen Reichsbürger wurde er festgenommen und gilt als verdächtig, an Plänen zu einem bewaffneten Umsturz beteiligt gewesen zu sein.
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Der Polizeiwerbeslogan »Dein Freund und Helfer« hat seinen Ursprung in der Weimarer Republik. SS-Reichsführer Heinrich Himmler übernahm ihn später für die Polizei der nationalsozialistischen Zustimmungsdiktatur. Die Wörter »Freund« und »Helfer« suggerieren Vertrauen, in diesem Fall zum Polizisten oder der Polizistin. Dieses Vertrauen soll ein Merkmal demokratisch verfasster Gemeinwesen mit Gewaltenteilung sein. Es ist wichtig für die Arbeit der ­Polizei, die im Rahmen eines ungleichen Machtverhältnisses über den Bürger:innen steht.

In den vergangenen Jahren ist in meinem jüdischen Umfeld das Vertrauen in die Menschen geschwunden, die in der Regel tagtäglich (schwer) bewaffnet vor jüdischen Einrichtungen stehen. Ihr Auftrag ist es, diese zu bewachen. Mancherorts verbringen Poli­zis­t:in­nen aber auch ihre Pausen vor jüdischen Einrichtungen, weil es keinen politischen Willen zu ihrem Schutz gibt. Manche Polizist:innen halten es für ihre Pflicht, Jüdinnen und Juden als Bürger:innen zu beschützen, bei anderen jedoch scheint der Auftrag, jüdische Einrichtungen zu schützen, allerdings in die falschen Hände gelegt zu werden.

Die Verhaftung des Kriminalhauptkommissars Michael Fritsch am 7. Dezember im Rahmen einer bundesweiten Razzia gegen Angehörige der Reichsbürgerbewegung hat das Vertrauen vieler Jüdinnen und Juden in die Polizei-, die Strafverfolgung und die Gerichte erneut erschüttert. Als Polizist war Fritsch nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle für die Planung von Sicherheitskonzepten für die jüdischen Gemeinden in Niedersachsen verantwortlich. 2020 wurde er dann als »Querdenker« bekannt, der von einem Umsturz phantasierte. Am 25. August löste er seinen Telegram-Kanal mit den Worten auf: »Jetzt ist die Zeit gekommen, sich sinnvoll zu verbinden und in die eigene Souveränität zu kommen und zu handeln, jeder für sich und doch gemeinsam, eventuell auf anderen Wegen und doch dem selben Ziel entgegen.« Nur um am 12. November noch einmal nachzulegen: »Viele haben noch nicht gemerkt, dass wir schon längst im Krieg sind. Noch fallen hier keine Schüsse und Bomben, es ist derzeit ein Informationskrieg und ein Krieg auf energe­tischen Ebenen.«

Schon damals äußerten sich Jüdinnen und Juden besorgt. So sagte nach Fritschs Festnahme die Vorsitzende des Landesverbands der ­Israelitischen Kultusgemeinden in Niedersachsen und Geschäftsführerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, Rebecca Seidler, der Welt: »Schon 2020 haben wir wahrgenommen, dass sich Michael Fritsch radikalisiert und Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen pflegt.« Spätestens seit 2018, als rechtsextreme Chatgruppen innerhalb der Polizei bekannt wurden, wird auch in jüdischen Communitys verstärkt über das Verhältnis zur Polizei diskutiert, gerade weil die Polizei so unmittelbar mit jüdischem Leben verbunden ist.

Fritsch ist kein Einzelfall. Anfang des Jahres wurde der hessische Wachpolizist Fred B. unter anderem wegen volksverhetzender Nachrichten und Hitler-Fotomontagen verurteilt. Bei der Hausdurch­suchung fanden seine Kolleg:innen zudem eine Schusswaffe mit 30 Schuss Munition, für die er keinen Waffenschein besaß, und eine Hakenkreuzfahne. B. selbst teilte mit, er sei für den Schutz jüdischer Einrichtungen zuständig gewesen.

Viele Überlebende des Anschlags in Halle sprachen seit dem 9. Oktober 2019 davon, dass sie sich von der Polizei im Stich gelassen fühlten. Sie haben viel zu kritisieren, angefangen damit, dass die Gemeinde an dem Tag schutzlos war, weil keine Polizeibeamt:innen bereitgestellt worden waren, über unsensibles Verhalten nach dem Anschlag bis hin zu der Fassungslosigkeit im September 2021. Damals wurde eine Beamtin der Polizeiinspektion Dessau-Roßlau suspendiert und Ermittlungen wurden gegen sie eingeleitet, weil sie dem zu lebenslanger Haftstrafe verurteilten rechtsextremen Terroristen von Halle mehr als zehn Briefe geschrieben haben soll.

Diese drei Vorfälle stehen exemplarisch für das katastrophale Versagen, das bei vielen Jüdinnen und Juden ein Misstrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden ausgelöst hat. Die Polizei sollte in Anbetracht ihrer Relevanz für die jüdischen Gemeinden rechtsex­treme Strukturen in den eigenen Reihen, wie sie beispielsweise im Nordkreuz-Komplex oder dem SEK Frankfurt offenbar wurden, nicht kategorisch als Einzelfälle abtun. Es braucht eine offene Diskussion innerhalb der Polizei über antisemitische, rassistische und rechtsextreme Einstellungen. Personen mit dem entsprechenden Gedankengut müssen umgehend aus dem Dienst entfernt und strafrechtlich verfolgt werden. Nicht nur, um das Vertrauen von Jüdinnen und Juden zurückzugewinnen, sondern auch, um den verfassungsmäßigen Auftrag im postnazistischen Deutschland zu erfüllen.