Finnland verbietet kurdische Fahnen

Von Erdoğans Gnaden

Auslieferungen von Kurden und Fahnenverbote für kurdische Organisationen – Finnlands und Schwedens Zugeständnisse an die Türkei im Tausch für die Zustimmung zu ihrem Beitritt in die Nato zeigen sich deutlich.

Den Unabhängigkeitstag am 6. Dezember nutzen Finnlands Rechtsextreme traditionell für einen Fackelmarsch zum Heldenfriedhof in Helsinki. Dieses Jahr ließ die Polizei eine Gegendemonstration des antifaschistischen Bündnisses Helsinki ilman natseja (Helsinki ohne Nazis) erst loslaufen, nachdem die 1 500 Teilnehmenden sämtliche Fahnen kurdischer Organisationen eingerollt hatten. Die Begründung der Polizei für das Fahnenverbot lautete, dass »Provokationen verhindert werden« müssten. Finnische Neonazis mit einschlägiger Symbolik und brennenden Fackeln stellten in den Augen der Polizei offenbar keine Provokation dar.

Hinterher sagte Heikki Porola, leitender Beamter der Polizei von Helsinki, dem öffentlich-rechtlichen Sender Yle: »Wir haben keine politische Entscheidung getroffen, sondern eine Gefahreneinschätzung vor Ort.« Zuvor waren bei mehreren Kundgebungen in Solidarität mit den Aufständen in Iran kurdische Fahnen gezeigt worden, ohne dass die Polizei einschritt. Die Vorsitzende der Jugendorganisation Vasemmistonuoret (Linke Jugend), Pinja Vuorinen, fand das Vorgehen der Polizei am Unabhängigkeitstag besorgniserregend. »Die gleichen Fahnen waren für Jahre erlaubt und auf einmal sind sie verboten, wenn die Türkei die Schrauben anzieht«, sagte Vuorinen der Jungle World. Die EU führt die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach wie vor auf ihrer Liste terroristischer Gruppierungen, andere kurdische Organisationen nicht. Am 14. Dezember hat der Europäische Gerichtshof eine Klage der PKK gegen diese Einstufung abgewiesen.

Schweden und Finnland hatten nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ihre traditionelle militärische Neutralität aufgegeben und im Mai einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Nato gestellt. Finnlands konservativer Prä­sident Sauli Niinistö nannte den Beitritt zum Verteidigungsbündnis am Un­abhängigkeitstag im Präsidentenpalast einen »Triumph der Demokratie«. Um den zu erringen, kommt er aber den autoritären Forderungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach. Die Türkei und Ungarn haben als einzige der 30 Nato-Mitgliedsstaaten den Beitritt Schwedens und Finnlands noch nicht ratifiziert. Ungarn hat die Ratifizierung auf Anfang 2023 verschoben, die Türkei mit einer Blockade ­gedroht.

Erdoğan wirft Schweden und Finnland die Unterstützung der PKK und der islamisch-konservativen Gülen-­Bewegung vor, die er für den Putsch­versuch von 2016 verantwortlich macht. Im Juni verpflichteten sich Schweden und Finnland in einem »trilateralen Memorandum« der Türkei gegenüber, die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen PKK-Schwesterorganisation PYD, die im Kampf gegen den ­sogenannten Islamischen Staat in Syrien aktiv sind, nicht mehr zu unterstützen und Aktivitäten der PKK zu unterbinden. Die Türkei verlangte die Auslieferung von Kurden, die sie als Terroristen ansieht, und ausgeweitete Waffenlieferungen an die türkische ­Armee. Die beiden nordischen Länder hatten nach einer türkischen Militär­offensive gegen die syrischen Kurden 2019 die Lieferungen an die Türkei ­beschränkt.

Anfang Dezember hat Schweden erstmals zwei Männer ausgeliefert, die von der Türkei beschuldigt werden, mit der PKK zusammenzuarbeiten. Am Sonntag berichtete die finnische Nachrichtenagentur STT, Finnland plane eine Lockerung des seit 2019 geltenden Waffenembargos gegen die Türkei. Die Kritik am Einknicken vor Erdoğan wird lauter, auch von einer neuen »Finnlandisierung« ist die Rede, wie die Neutralität des Landes gegenüber der Sowjetunion im Kalten Krieg bezeichnet wurde. Aufgrund eines 1948 geschlossenen Abkommens war Finnland gezwungen, sich stark an den außenpolitischen Interessen der Sowjetunion zu orientieren, die auch Einfluss auf die finnische Innenpolitik ausübte.

Gashaw Bibani, eine kurdisch-finnische Aktivistin und Politikerin der Partei Vasemmistoliitto (Linksbündnis), sagte der Jungle World, dass Finnland und Schweden sich »fast allen türkischen Forderungen unterwerfen«, obwohl diese internationalen Menschenrechtsbestimmungen entgegenstünden. »Sie waren naiv zu glauben, dass die Türkei ihre Souveränität achten würde«, so Bibani. Die Nato hätte sich am Beitrittsprozess stärker beteiligen sollen, jetzt bestimme die Türkei. Das Flaggenverbot am finnischen Unabhängigkeitstag schaffte es bis in die türkische Presse und wurde in der regierungstreuen Zeitung Sabah hämisch gefeiert.