Das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen über die Einstellung eines Strafverfahrens

»Das war lange eine Art Doktrin der Stadt selbst«

Am 21. März 2022 erstattete das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen Anzeige wegen eines Transparents mit der Aufschrift »Ihr nennt es Befreiung. Wir nennen es Massenmord. Bombenholocaust Dresden«. Das Transparent war am 13. Februar beim alljährlichen Aufmarsch von Neonazis anlässlich der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg gezeigt worden. Ende 2022 stellte die Staatsanwaltschaft Dresden die Ermittlungen ein. Die unbekannten Beschuldigten hätten sich mit dem Transparent nicht zu den Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden geäußert, ­somit liege keine Verharmlosung des Mords an den europäischen Juden vor. Am 24. Januar legte das Bündnis Beschwerde bei der ­Generalstaatsanwaltschaft Dresden ein. Die Jungle World sprach mit Tim Hexamer und Kevin Holweg, zwei Vertretern des Bünd­nisses.
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Warum habt ihr bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens eingelegt?

Tim Hexamer: Neben der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Dresden verneint hat, dass es sich um eine Verharmlosung des Holocaust handele, weil mit dem Begriff »Bombenholocaust« kein Bezug zu den Verbrechen an Jüdinnen und Juden hergestellt werde, wird zum anderen auch in Frage gestellt, dass es durch dieses Transparent eine Störung des öffentlichen Friedens gegeben habe, was ein ­wesentliches Merkmal ist, um diesen Straftatbestand anwenden zu können. Genügt es nicht bereits, dass Juden und Jüdinnen eine tiefe Kränkung erfahren, wenn Nazis in Deutschland sich über ihr Leid erheben können? Das sollte eigentlich ausreichen, um eine Störung des öffentlichen Friedens in Deutschland anzunehmen.

Kevin Holweg: Es geht uns natürlich auch um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Gab es öffentliches Interesse an dem Vorfall?

TH: Letztes Jahr gab es direkt nach unserer Pressemitteilung, kurz nach dem 13. Februar, noch einiges Interesse. Aber seitdem ist es still darum geworden. Dass wir eine Anzeige gestellt haben, wurde in der Öffentlichkeit kaum nicht weiter berücksichtigt. Die Konsequenz der juristischen Aufarbeitung wäre wohl eine andere, wenn das Thema öffentlich stärker thematisiert und skandalisiert würde, da der Druck ein anderer wäre. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir uns in Dresden bewegen, einer Stadt, in der seit Jahrzehnten eine Opferinszenierung stattfindet. Die kommt nicht nur von den Neonazis. Das war lange Zeit auch eine Art Doktrin der Stadt selbst.

Was würdet ihr euch für die Zukunft wünschen?

TH: Ich würde mir wünschen, dass es zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung über diesen Begriff kommt; dass er so ernst genommen wird, dass eine juristische Auseinandersetzung zugelassen wird. In der Einstellungsverfügung geht die Staatsanwaltschaft nicht mit einem Wort auf die Argumente ein, die wir in der Anzeige vorgebracht haben – weder auf den gesamten historischen Kontext, der da entrollt wird, noch auf die Debatte über die Singularität des Holocausts.

KH: Es geht nicht nur um eine juristische Auseinandersetzung mit dem Fall und um den gesellschaftlichen Kontext, in dem das statt­findet. Es gab eine Transformation des Gedenkens. Früher wurden die Verbrechen der Nazis kleingeredet. Das würde heute nicht mehr passieren. Die Staatsanwaltschaft erkennt scheinbar nicht, dass es sich bei den Neonazis um eine Inszenierung Dresdens als Opfer handelt. Dies zeigt aber, dass Reste dieses Denkens in der heutigen Bewertung der Verbrechen durchaus noch virulent sind.