Protest gegen umstrittenen Historiker Daniele Ganser

Der Saubermann der Verschwörungsszene

Daniele Ganser geht auf Vortragstour. In einigen Städten gab es bereits Protest gegen seine Auftritte – teilweise mit Erfolg. Im Gegensatz zu anderen seines Metiers schafft er es weiterhin, als »umstrittener Historiker« ganze Hallen zu füllen.
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Galten Verschwörungstheorien der breiten Öffentlichkeit vor ein paar ­Jahren noch als eigenwillige Marotten, mit denen Stammtische unterhalten und Familienfeste gesprengt werden konnten, hat sich im Zuge der sogenannten Querdenker-Proteste in Teilen der Gesellschaft ein gewisses Problembewusstsein gebildet. Die neonazistischen Schimpftiraden Attila Hildmanns, der Auftritt Ken Jebsens als Gruselclown und die Umsturzaufrufe auf Telegram haben dem bürgerlichen Teil der Szene keinen Gefallen getan. Einer hat hingegen weiterhin Erfolg und füllt ganze Hallen bei Ticketpreisen von 30 bis 40 Euro. Aber auch gegen ihn regt sich Protest.

Zumindest in Dortmund und Nürnberg, wo Daniele Ganser in der West­falenhalle und der Meistersingerhalle hätte auftreten sollen, wurden seine Auftritte mittlerweile abgesagt. Mit dem Titel »Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?« ist der 50jährige promovierte Schweizer Historiker, dessen akademische Karriere 2018 endete, von März bis November in Deutschland und der Schweiz auf Tour.

Ganser simuliert Wissenschaftlich­keit, indem er suggestive Fragen stellt und diese mit Pseudobelegen, Girlanden aus dubiosen Daten, Zahlen und Quellen schmückt.

Ganser hat das Verschwörungsbusiness professionalisiert wie kaum ein anderer im deutschsprachigen Raum. 2003, keine zwei Jahre nach den Anschlägen vom 11. September, hat das Institut Forsa eine Umfrage durchgeführt, der zufolge 19 Prozent der Deutschen es für möglich halten, dass die US-Regierung den Terror selbst in Auftrag gegeben hat. Ganser hat dieses Potential für sich zu nutzen gewusst und sich eine Karriere als einer der prominentesten deutschsprachigen »9/11-Truther« aufgebaut. In seinem 2020 erschienenen Buch »Imperium USA: Die skrupel­lose Weltmacht« suggeriert er, ein Nebengebäude des World Trade Center sei durch eine gezielte Sprengung eingestürzt.

2001 wurde Ganser an der Universität Basel über die 1990 aufgelöste para­mi­litärische Geheimdienstgruppe »Gladio« mit Sitz in Rom promoviert. Seine Dissertation »Nato-Geheimarmeen in Europa« machte ihn bekannt und ­ebnete seine akademische Karriere. Das auf Englisch verfasste Buch wurde in zehn Sprachen übersetzt – 2008 ins Deutsche. Seine Habilitationsschrift zu globalen Konflikten ums Erdöl wurde jedoch abgelehnt, weil sie nicht wissenschaftlich genug gewesen sei, wie T-Online berichtet. Gansers akademische Karriere endete schließlich, als er nach Kritik an seinen öffentlichen Auftritten seinen letzten Lehrauftrag an der Universität St. Gallen verlor.

Doch während er im Wissenschaftsbetrieb keine Zukunft mehr hatte, wuchs seine Fangemeinde. Für seine außeruniversitäre Karriere konzen­trierte er sich ganz auf antiamerikanische Verschwörungstheorien. Das zeigt sich auch in seinen Äußerungen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. In einem Interview mit dem österreichischen Sender RTV verurteilte er zwar den Angriff Russlands, sagte aber, es sei »faktisch und historisch falsch«, dass der Krieg erst 2022 ausbrach, denn »die Amerikaner« hätten 2014 einen »Putsch gemacht« und »den gewählten Präsidenten« der Ukraine gestürzt.

Auf Propagandaportalen wie Free21 oder Rubikon, auf etlichen Youtube-­Kanälen und in seinen Büchern aktualisiert Ganser seine Mythen von US-amerikanischen Verschwörungen stets aufs Neue mit tagespolitischen Ereignissen. Giftgasanschläge von Bashar al-Assad, Enthauptungsvideos des Islamischen Staats, die Covid-19-Pandemie – am Ende stecken Ganser zufolge immer irgendwie die USA dahinter.

Solche antiamerikanische Verschwörungsmythen fanden in Deutschland immer mehr Anklang. Auf den sogenannten Montagsmahnwachen für den Frieden wurden ab 2014 geballt Gerüchte und Mythen über 9/11 oder angebliche Kriegsanstrengungen der USA gegen Russland verbreitet. Die »Quer­denken«-Bewegung kann als noch massenwirksamerer Nachfolger verstanden werden, sie bedient ähnliche Verschwörungsgelüste. Gansers Thesen ­erschloss sich ein großes Publikum.

Dabei schaffte es Ganser trotz Auftritten für den russischen Staatssender RT – vormals Russia Today – und Gesprächen mit Ken Jebsen, bekannt geworden als Betreiber des verschwörungstheoretischen Youtube-Kanals Ken FM, immer, vergleichsweise seriös dazustehen. Der Tübinger Wissenschaftler Michael Butter hat sich mit der »Methode Ganser« beschäftigt. Am Beispiel 9/11 beschreibt er, wie Ganser Suggestivfragen stelle, Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang reiße und alles verschweige, was nicht in seine Argumentation passt. Seine Ausführungen ließen dann nur noch den Schluss zu, dass die US-Regierung hinter den Anschlägen von 9/11 stecken müsse. So zeige Ganser beispielsweise häufig eine Collage, auf der im Hintergrund das verwüstete Areal des World Trade Center zu sehen sei und im Vordergrund ein Foto des Passes von Satam al-Suqami, einem der Attentäter. Der Pass, so erkläre Ganser dann, sei noch am 11.September auf dem Bürgersteig vor dem World Trade Center gefunden worden. Damit sollen Zweifel geweckt werden werden, denn wie hätte in der Trümmerwüste irgendwas gefunden werden können? Was Ganser hingegen verschweige, so Butter weiter, sei, dass der Pass gefunden worden sei, bevor die Türme einstürzten.

Ganser simuliert Wissenschaftlichkeit, indem er suggestive Fragen stellt und diese mit Pseudobelegen, Girlanden aus dubiosen Daten, Zahlen und Quellen schmückt. Er liefert die Einstiegsdrogen für den Verschwörungsrausch, weil er auf den ersten Blick ­relativ harmlos wirkt: ein besonnener, ruhiger Mann, der viel von Frieden redet und seine Neugierde mit dem Pu­blikum teilen möchten. Sein wissenschaftlicher Hintergrund dient zusätzlich als Verkaufsargument.

Inzwischen ist Ganser zum Medienunternehmer geworden. Im Januar 2022 ging seine eigene Plattform online. Mitglieder bekommen hier monatlich Videos mit politischen Analysen, Fragen zum »inneren Frieden« und Videofragerunden geboten. Wer ein »Peacemaker« werden möchte – den Titel erhält man mit der Mitgliedschaft – muss ­lediglich 365 Franken im Jahr zahlen. Das Unternehmen »Die Quelle – The Source AG«, mit der Ganser die Plattform betreibt, wollte auf Nachfrage der schweizerischen Woz zwar nicht konkret mitteilen, wie viele zahlende »Peacemaker« in der Community sind, aber mehr als 500 seien es. Selbst wenn es nur 500 wären, machte das im Jahr immerhin 182 500 Franken nur über die Online-Plattform.

Die bereits erfolgten Absagen von Auftritten Gansers zeigen, dass die halbseriöse Fassade anscheinend Risse bekommt. Das liegt nicht an Ganser, der seine Technik in den letzten Jahren kaum verändert hat. Die Grauzone, in der er bislang einigermaßen ungestört agieren konnte, ist keine mehr. Dinge, die er 2014 noch sagen konnte, stoßen nun auf größeren Widerspruch.