In einem Flüchtlingslager in ­Berlin-Tegel sollen unhaltbare Zustände herrschen

Zeltstadt im Norden Berlins

Bewohner und Beschäftigte des sogenannten Ukraine-Ankunfts­zentrums in Berlin-Tegel erheben Vorwürfe gegen die Betreiber: Asylbewerber würden nicht angemessen ärztlich versorgt, es seien zu viele Menschen viel zu lange auf zu engem Raum untergebracht.

In den ersten Wochen nach Beginn der russischen Invasion kamen jeden Tag Tausende ukrainische Flüchtlinge in Deutschland an, vor allem in Berlin. Am 20. März vergangenen Jahres wurde im Gebäude des ehemaligen Flughafens Berlin-Tegel ein Ukraine-An­kunfts­zentrum eröffnet. Bis zu 10 000 Kriegsflüchtlinge sollten dort täglich versorgt werden.

Ursprünglich war geplant, es lediglich als Registrier- und Verteilzentrum für Geflüchtete aus der Ukraine zu nutzen: Menschen, die dem Krieg entkommen waren, sollten hier wenige Tage verweilen und dann weiterverteilt werden.

Es kam anders. Inzwischen ist an den ehemaligen Terminals ein riesiger Komplex entstanden, in dem weit über 1 000 Menschen untergebracht sind, und zwar nicht für wenige Tage, sondern mehrere Wochen. Wegen der Zustände, die in dem Lager herrschen, werden Vorwürfe erhoben, von denen sich einige gegen die Betreiber der Einrichtung richten.

Das Hausrecht in »UA TXL«, wie die Einrichtung von Berliner Behörden abgekürzt wird, hat das DRK-Sozialwerk Berlin. Das DRK (Deutsches Rotes Kreuz) handelt im Auftrag des Berliner Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), welches wiederum Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) unterstellt ist.

Nach Angaben der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales waren im Februar 2 345 Geflüchtete aus der Ukraine dort untergebracht, insgesamt biete UA TXL Platz für 3 562 Personen.
Nach Recherchen der Jungle World waren bis Anfang des Jahres auch noch mindestens mehrere Hundert Asyl­bewerber:innen aus anderen Herkunftsländern hier untergebracht. Edris* war Ende vergangenen Jahres dort. Der junge Mann aus Afghanistan hat die Zeit auf dem ehemaligen Flughafengelände in keiner guten Erinnerung. »Die Leute leben dort dicht an dicht gedrängt in den Zelten, und zwar für Wochen«, sagte er der Jungle World.

Als er nach kurzer Zeit Juckreiz am ganzen Körper bekommen habe, sei er nicht verwundert gewesen: »Es ist doch klar, dass sich Krankheiten hier rasend schnell verbreiten.« Der Juckreiz sollte sich als Krätze entpuppen.

Die Hautkrankheit tritt häufig auf, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, ist allerdings auch einfach zu behandeln. Die von Milben befallene Kleidung muss ersetzt werden, zudem gibt es wirksame Medikamente, unter anderem in Tablettenform. »Dass es Tabletten gegen Krätze gibt, habe ich erst in einer anderen Einrichtung erfahren«, sagt Edris. In Tegel habe sich der Arzt die Symptome nur kurz angesehen und ihn ohne Aufklärung fortgeschickt. Auch Medikamente habe er nicht erhalten.

Wütend macht ihn auch die Ungleichbehandlung von Menschen aus der Ukraine und anderen Bewohnenden von UA TXL, gerade was die medizinische Versorgung angehe. Dies beginne schon mit dem Aufbau der Einrichtung: Ukrainer:innen seien räumlich getrennt von alle anderen Asylbewerbern untergebracht gewesen. Als Asylbewerber habe man grundsätzlich keinen Zutritt zu dem Bereich mit den Zelten der Ukrainer:innen gehabt – allerdings befände sich dort das ärztliche Versorgungszentrum. »Man muss also erst vorsprechen und erklären, dass man zum Arzt will, und dann auf der Arztstation nochmal vorsprechen, dass es sich um einen Notfall handelt«, sagt Edris. Und selbst wenn man zum Arzt durchkomme, sei nicht sicher, dass man dort auch Behandlung erhalte, berichtet er.

Bereits als er UA TXL zugeteilt worden sei, habe er eine gebrochene Hand gehabt. Diese habe er dort ärztlich versorgen lassen wollen, doch sei er unter verschiedenen Begründungen immer wieder weggeschickt worden. Erst nach mehrmaligem Vorsprechen habe man ihn an ein Krankenhaus überwiesen, so Edris.

Eine Mitarbeiterin aus dem Betreuungsbereich der Einrichtung schilderte der Jungle World Ähnliches. »Die Asylbewerber sind erst dann behandelt worden, wenn es als Notfall eingestuft worden ist«, sagte sie. Dass es Krätzefälle unter den Asylbewerber:innen gegeben haben soll, kann sie bestätigen. Sie glaubt, dass dies mit der Überbelegung des sogenannten Ankunftszentrums zusammenhänge. »Die Einrichtung ist dafür ausgelegt, dass Menschen hier für wenige Tage bleiben und dann weitervermittelt werden. De facto leben sie hier aber für Monate«, berichtet die Mitarbeiterin. Einige Menschen hätten hier sogar vier Monate gelebt.

Auch den Umgang mit den Bewohnenden kritisiert sie. In einigen Fällen hätten Geflüchtete ohne vorherige Verwarnung ein Hausverbot ausgesprochen bekommen. »Konkret bedeutet das, dass diese Menschen dann ohne Unterstützung, teils sogar ohne Papiere im Winter auf der Straße landen«, sagt sie. Gemäß der Hausordnung müsste es für Hausverbote eigentlich vorher eine schriftliche Verwarnung geben, so die Mitarbeiterin. »Ich habe aber auch miterlebt, dass Hausverbote mündlich ausgesprochen worden sind, auch ohne Verwarnung, direkt an Ort und Stelle«, versichert sie.

Beim Flüchtlingsrat Berlin hat man ebenfalls wenig Gutes über den Lagerkomplex im Berliner Norden gehört. »Die Einrichtung hat sich offenbar ab Herbst 2022 von einem Ankunfts- und Verteilzentrum in eine monatelange Unterkunft verwandelt«, sagte Georg Classen vom Flüchtlingsrat der Jungle World.

Beschäftigte und Bewohner:innen von UA TXL hätten sich an den Flüchtlingsrat Berlin gewandt. Nicht nur der Jungle World, sondern auch dem Flüchtlingsrat sei von fragwürdigen Hausverboten berichtet worden, etwa gegen Romnja-Familien mit Kindern, die zu laut gewesen sein sollen. Auch der Vorwurf, Asylsuchende würden gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine benachteiligt, ist dem Flüchtlingsrat bekannt. »Uns ist berichtet worden, dass Asylsuchende, die eine unaufschiebbare fachärztliche Behandlung benötigten, abgewiesen worden seien, weil sie nicht krankenversichert sind«, sagt Classen.

Ebenfalls sei dem Flüchtlingsrat berichtet worden, dass Asylsuchende während ihrer Zeit in Tegel keinen Zugang zu Sozialberatung gehabt hätten. »Es gibt eine lange Liste von Vorwürfen unterschiedlicher Art«, sagt Classen. Überprüfen ließen sich diese für den Flüchtlingsrat allerdings nicht, da die Hinweisgeber:innen meist anonym gewesen seien und der Zugang in die Einrichtung für den Flüchtlingsrat und andere NGOs nur im Rahmen von vorher angemeldeten, begleiteten und von der Einrichtungsleitung organisierten Besuchen möglich sei.

Für Pressevertreter ist solch eine vom DRK geführte Tour durch die Einrichtung ebenfalls möglich. Viele der erhobenen Vorwürfe – zum Beispiel die eingeschränkte medizinische Betreuung – lassen sich dabei nicht überprüfen. Im Gespräch mit der Jungle World an Ort und Stelle haben Vertreterinnen des DRK die Vorwürfe jedenfalls dementiert. Regina Kneiding, die beim DRK für Presseanfragen zu UA TXL zuständig ist, betonte: »Wir wollen, dass es den Leuten gutgeht – und hier findet eine vorbildliche Betreuung statt.« Hausverbote würden ausschließlich in seltenen Fällen ausgesprochen, sagte Christina Färber, die zum Management-Team des Ukraine Ankunftszentrums TXL in Berlin gehört. Und selbst bei diesen seltenen Fällen gebe es stets zunächst eine schriftliche Verwarnung.

Auch in der medizinischen Versorgung würden zwischen Ukrainer:innen und anderen Asylsuchenden keine Unterschiede gemacht, betonten beide. Die Pressestelle des DRK Berlin wies auf Anfrage der Jungle World jedoch dar­auf hin, dass es rechtliche Unterschiede zwischen Ukrainer:innen und anderen Geflüchteten gebe. »Während Geflüchtete aus der Ukraine mit ihrer Registrierung quasi umgehend eine deutsche gesetzliche Krankenversicherung und somit Zugang zu unserem kompletten Gesundheitssystem erhalten, bekommen Asylsuchende bis zum Abschluss ihres Verfahrens lediglich Leistungen, wie sie gemäß Paragraph 4 des Asylbewerberleistungsgesetz abgebildet sind«, so ein Sprecher des DRK. Zum Fall von Edris und seiner gebrochenen Hand hieß es: »Eine nicht frische, bereits konsolidierte Fraktur der Hand ist (je nach Ausmaß) nicht immer ein akuter Notfall und wird von den Kliniken erst behandelt, wenn ein entsprechender Versicherungsstatus vorliegt.« Einzelne Krätzevorfälle habe es gegeben, allerdings keine großflächigen Ausbrüche. Medizinische Maßnahmen seien hier aber unmittelbar eingeleitet worden.

In einem Punkt sind sich Kritike­r:innen und Betreiber:innen der Einrichtung am Tegeler Flughafen einig: Die Menschen sind zu lange hier untergebracht. Zumindest seien inzwischen keine nichtukrainischen Asylbewerber mehr in dem Lager in Tegel untergebracht, und das sei auch zukünf­tig nicht mehr geplant, teilte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf Anfrage der Jungle World mit. An den grundlegenden Problemen in Berliner Flüchtlingsunterkünften dürfte dies aber wenig ändern. Die Senatsverwaltung rechnet damit, dass noch in diesem Jahr 10 000 bis 14 000 neue Unterkunftsplätze gebraucht werden.