Max Nosek, Sänger und Bassist der Band Karies, im Gespräch über Fördermittelanträge, die Vereinbarkeit von Lohnarbeit und Band, die Stuttgarter Musikszene und das neue Karies-Album

»Die Band ist ein Hobby«

Seit 2018 ist es ruhig geworden um die Stuttgarter Band Karies. Nun meldet sie sich mit ihrem vierten Album »Tagträume an der Schaummaschine I« zurück.
Interview Von

Euer neues Album »Tagträume an der Schaummaschine I« setzt den Prozess konsequent fort, der schon mit eurem vorigen Album »Alice« (2018) eingeleitet wurde: Weniger (verzerrte) Gitarren, mehr Flächen und Synthies. Habt ihr das forciert, oder seid ihr am Ende selbst von der Radikalität des Ergebnisses überrascht gewesen?
Es war anfangs gar nicht so geplant. Allerdings haben wir es schon auf dem letzten Album als bereichernd empfunden, nicht live aufzunehmen. Dadurch hatten wir musikalisch mehr Möglichkeiten und nicht zuletzt auch mehr Zeit. Denn bei den ersten beiden Alben war es noch so, dass wir jeweils nur für ein paar Tage ein Studio gemietet haben, was immer mit dem Problem verbunden ist, sehr schnell Entscheidungen treffen zu müssen. Und manchmal merkt man dann zwei, drei Wochen später, dass dieses oder jenes vielleicht keine so gute Lösung war. In Bezug darauf hilft dir am Ende eben oft Zeit, wenn man einfach ein paar Wochen mehr hat und dadurch vielleicht auch nicht so hart und intensiv daran arbeiten muss, sondern der Abstand vieles klärt und löst.

Karies ist seit dem Abgang eures Gitarristen Jan Rumpela zu einem Trio geschrumpft. Inwiefern hat sich dadurch eure Arbeitsweise, aber auch euer Sound verändert?
Ich würde sagen, das geht so ineinander über: Es hat sich wie gesagt schon beim vorigen Album so ergeben, das wir innerhalb eines Dreivierteljahres in Sessions aufgenommen haben. Dieses Mal waren es knapp zwei Jahre. Ich würde sagen, die größte Veränderung war die, dass jetzt Paul (Schwarz; derzeitiger Drummer von Karies, Anm. d. Red.) dabei war, der auch bei Levin Goes Lightly und Human Abfall spielt. Er ist im Zuge der Pandemie Teil einer Tonstudiogemeinschaft geworden, wo er sich dann auch die entsprechenden Aufnahmeskills angeeignet und zusätzlich eine Fortbildung gemacht hat. Heute arbeitet er hauptberuflich als Engineer und Produzent. Das war für uns also eher die maßgebliche Veränderung im Vergleich zu früheren Produktionen: dass wir dieses Mal von seinen Fähigkeiten entsprechend profitieren konnten.
Das ist auch noch mal ein Unterschied zu früheren Produktionen, dass sozusagen die wesentlichen Produktionsentscheidungen dieses Mal nicht ausgelagert wurden, sondern innerhalb der Band verwaltet wurden. Auch wenn es mit Max Rieger (Produzent der ersten drei Karies-Alben und Musiker der Band Die Nerven; Anm. d. Red.) natürlich sehr komfortabel war, weil er sich da um alles gekümmert hat (lacht). Und nicht zuletzt mussten wir jetzt auch nicht dafür zahlen, einen Produzenten zu engagieren, wodurch wir auch die Möglichkeit hatten, mehr auszuprobieren. Letztlich gab es aber doch eine Deadline, da wir von der »Initiative Musik« gefördert wurden und die finanziellen Mittel für das Album zweckgebunden waren.

Euer Gitarrist Benjamin Klaus Schröter hatte von eurem Antrag bei der »Initiative Musik« und seiner ambivalenten Haltung dazu schon im vergangenen Jahr in ­einem Interview mit dem Kaput Mag berichtet. Das heißt, der Aufwand hat sich gelohnt und die Geldströme sind geflossen?
Ja, genau.

Teilst du denn seine ambivalente Haltung? Wörtlich sagte er: »Ungeiler, unsexier geht es ja eigentlich nicht«, was er auf den bürokratischen Aufwand, aber auch auf die damit einhergehende affirmative Haltung zu staatlichen Strukturen bezogen hat.
Ich habe das ehrlich gesagt sehr pragmatisch gesehen. Nachdem wir das vorige Album aufgenommen und Konzerte gespielt hatten, haben wir einfach gemerkt, dass wir immer noch im Minus sind durch die Produktionskosten, und daher war für mich dann klar, dass der Schuldenberg nicht noch weiter anwachsen sollte. Man ist natürlich mit geringen Budgets auch darauf angewiesen, dass die dazugehörigen Videoproduktionen, die Artwork-Gestaltung und vieles mehr von Leuten aus dem Bandumfeld sozusagen als Hobby nebenher übernommen werden. So ein riesiges Netz an Leuten, die dafür in Frage kommen, haben wir als Band aber leider gar nicht. Und unabhängig davon finde ich es auch ­zunehmend wünschenswert, Leute für die von ihnen erbrachte Arbeit entsprechend bezahlen zu können, was ohne externe Mittel aber wiederum kaum möglich ist. Nicht zuletzt gehen mit Bezahlungen ja auch gewisse Verbindlichkeiten einher. Denn einer Person, die umsonst für einen ein Video produziert, kann man ja nicht ohne weiteres sagen: Du, da ist jetzt halt die Deadline, wär echt cool, wenn du mal fertig wirst (lacht).

»Nachdem wir das vorige Album aufgenommen und Konzerte gespielt hatten, haben wir einfach gemerkt, dass wir immer noch im Minus sind durch die Produktionskosten.«

Gleichzeitig ist es natürlich aber auch bitter, wenn man bedenkt, dass wir das jetzt schon seit zehn Jahren machen, und trotzdem müssen wir am Ende feststellen: Wir haben immer noch kein eigenes Budget für zum Beispiel eine Videoproduktion, weshalb wir das ohne Förderung halt privat zahlen müssten. Und entlohnen können wir auch immer nur externe, aber nicht unsere eigene Arbeit, die wir in die Band ­stecken.
Staatsnähe als solche finde ich dann auch nicht weiter problematisch, weil mir die immer noch lieber ist als eine Haltung, die besagt: Das müssen die Individuen jetzt eben alle untereinander regeln. Problematisch in Bezug auf die Kooperation mit der »Initiative Musik« ist für mich eher die Frage: Was für einen Per­sonenkreis erreicht die Institution überhaupt? Da merke ich schon, dass es natürlich auch ein bestimmtes privilegierteres Milieu ist, das überhaupt Kenntnis von den entsprechenden Fördertöpfen hat und in der Lage ist, die dazugehörigen Unterlagen zu bearbeiten.

Ihr wohnt alle drei mittlerweile wieder in Stuttgart. Lange Zeit wurdet ihr stark mit der dort lokalen Musikszene assoziiert. Ist die noch so umtriebig wie vor zehn Jahren? Und ist sie für euch noch ein wichtiger Bezugspunkt?
Nein, die Szene von damals gibt es im Grunde genommen nicht mehr. Viele Protagonisten von damals sind nach Berlin oder in andere Städte gezogen und auch in einer ganz anderen Lebenssituation als damals.

Und mit jüngeren Bands gibt es keine nennenswerten Berührungspunkte mehr?
Ich würde sagen, dass Paul mit seinem Studio da noch ein entsprechender Ankerpunkt ist. Levin (von Levin Goes Lightly; Anm. d. Autors) wiederum hat das Artwork für die aktuelle Platte gemacht. Insofern gibt es natürlich noch Berührungspunkte. Ich selbst aber arbeite mittlerweile und bin daher einfach ausgelastet, weshalb ich von der Subkultur nicht mehr so viel mitbekomme.

Apropos Berufstätigkeit: Inwiefern leiden darunter am Ende eure Bandaktivitäten? Es ist schon auffällig, dass seit dem vorigen Album immerhin fünf Jahre vergangen sind und ihr auch nicht oft aufgetreten seid. Als ihr angefangen habt, wart ihr ja Studenten.
Ja klar, unsere Berufstätigkeit hat die Bandaktivitäten natürlich sehr beeinträchtigt. In den Anfangsjahren hatten wir noch entsprechend lange Semesterferien, und es war auch möglich, mal während des Semesters unterwegs zu sein, um Konzerte zu spielen. Jetzt ist es eben so, dass nahezu der gesamte Jahresurlaub für Bandaktivitäten draufgeht. Und dazu kommt dann noch, dass wir die schon erwähnten Schulden haben, die beglichen werden müssen. Daher wäre die Vorstellung, jetzt den Job um 20, 30 Prozent zu reduzieren, um wieder mehr Zeit für die Band zu haben, vollkommen utopisch.

Gab es zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Band Diskussionen darüber, wie aktiv ihr sein wollt? Dass also vielleicht jemand schon mitten im Berufs­leben stand, während ein anderer mehr Flexibilität für die Band eingefordert hat?
Nein, den Konflikt gab es bei uns eigentlich nicht. Es war eher so, dass wir zusammen gemerkt haben, dass die Vorstellung, davon auch nur annähernd leben zu können, einfach nicht aufgeht. Deshalb ist schon lange klar, dass die Band ein Hobby ist und dass wir alle arbeiten gehen müssen, damit wir uns dieses Hobby überhaupt leisten können.
Die finanzielle Abhängigkeit geht natürlich immer einher mit einem ziemlichen Professionalisierungsdruck, so dass man permanent das Gefühl hat, dieses oder jenes machen zu müssen. Und ich glaube, bei uns wird es dahingehend auch keine Entwicklung mehr geben: Wenn es gut läuft, werden wir das aktuelle Niveau an Aktivitäten halten. Wenn nicht, wird es halt weniger werden. Gerade sind wir in einem Prozess der Entprofessionalisierung. Und ehrlich gesagt ist es eigentlich auch ein Gefühl der Erleichterung, von der Band nicht so abhängig zu sein.

Zumal bei der Formulierung »­davon leben können« immer die Frage bleibt, wie man am Ende konkret lebt: als Künstler in aller Regel eben höchst prekär.
Ja, wobei wir mit Karies selbst vom Prekär-davon-leben-Können immer weit entfernt gewesen sind. Als deutschsprachige Band ist man da auch immer sehr limitiert, und ich glaube, im Ausland hätte das einfach auch nicht besonders gut funktioniert.

Werdet ihr die neuen Stücke auch als Trio live spielen oder euch Verstärkung holen?
Das ist tatsächlich alles noch offen. Es war schon nach der Veröffentlichung von »Alice« das Problem, dass die darauf enthaltenen Songs nicht wirklich gezündet haben auf der Bühne, weil sie eben auch nicht live im Studio eingespielt wurden. Von daher war uns ohnehin klar, dass wir einen neuen Ansatz finden müssen. Jetzt sind wir nur noch zu dritt, was das Ganze nicht einfacher macht. Die Idee ist, dass wir zukünftig viel mit Backingtracks arbeiten werden. Das Problem dabei ist, dass wir für unsere alten Songs erst mal Backingtracks produzieren müssen. Deshalb kann es durchaus sein, dass wir noch ein oder zwei Jahre dafür brauchen werden. Oder wir entscheiden uns irgendwann, gar nicht mehr live zu spielen. Das ist gerade noch offen, und wir haben aktuell auch nicht die Ressourcen für schnelle Entscheidungen.

Der Titel »Tagträume an der Schaummaschine I« legt nahe, dass eine Fortsetzung geplant ist …
Ja, da ist auf jeden Fall noch einiges an Material vorhanden und wir ­haben natürlich auch Lust, das irgendwann herauszubringen.

Karies: Tagträume an der Schaum­maschine I (This Charming Man)