Im Lenbachhaus in München dreht sich eine Ausstellung um die Documenta

»Es gibt keinen Grund für die Documenta«

Das Münchner Lenbachhaus zeigt in der Ausstellung »Was von 100 Tagen übrig blieb … « künstlerische Arbeiten aus seiner Sammlung, von denen jede auch auf einer Documenta zu sehen war. Dabei blendet sie die Documenta 15 aber aus.

Was von der Documenta 15 übrig blieb, das sind zum einen die antisemitischen Unmöglichkeiten, die im vergangenen Jahr auf der Großausstellung gezeigt wurden. Zum anderen ist da die Beharrlichkeit, mit der sich die Kuratorinnen und Förderer der Documenta gegen Kritik sperrten und sich auf Teufel komm raus nicht eingestehen wollten, ­fundamental geirrt zu haben.

Der Titel einer Ausstellung im Münchner Lenbachhaus lässt da aufhorchen: »Was von 100 Tagen übrig blieb … « klingt nach dem Versuch einer Selbstkritik der kuratorischen, politischen und historischen Zusammenhänge der Documenta, nicht zuletzt weil er als Anspielung auf den 1989 erschienenen Roman »Was vom Tage übrigblieb« des britisch-japanischen Schriftstellers Kazuo Ishiguro verstanden werden darf. Dar­in geht es um die historische Fehleinschätzung des britischen Establishments, das unter Premierminister Neville Chamberlain dem Nationalsozialismus mit einer Appeasement-Politik begegnete.

Das ist aber nicht der gesamte Titel. »Die Documenta und das Lenbachhaus« lautet seine zweite Hälfte. Die bereits seit Juli vergangenen Jahres laufende Ausstellung präsentiert Werke aus der hauseigenen Sammlung, die alle eine Gemeinsamkeit besitzen: Jede von ihnen war auf einer der Documenta-Ausstellungen zu sehen, von der ersten Ausgabe 1955 bis zur 14. von 2017. Überraschenderweise, oder vielleicht doch wenig überraschend, wird die Documenta 15 in der Ausstellung explizit ausgeklammert – die Kontroverse über die ­antisemitischen Arbeiten kommt einfach nicht vor.

Alles, was hier zu sehen ist, ist also schon einmal auf einer Documenta gezeigt worden – das ist aber auch die einzige Verbindung zwischen den ausgestellten Arbeiten, wie das Lenbachhaus in seinem als Leit­faden bereitgestellten »Manual« wissen lässt. Dennoch existierten »anderweitige Bezüge und Anknüpfungspunkte: Einerseits in der exemplarischen Sichtbarkeit des kuratorischen Konzepts der jeweiligen Documenta anhand der Werke, andererseits am erkennbaren Einfluss der einzelnen Documenta-Ausgaben auf die Sam­mlungs­politik des Lenbachhauses.«

Streift man durch die Ausstellungsräume, dann fallen einem als Erstes die unzähligen neongelben Wandplakate auf, die von allen Seiten auf einen herableuchten – großformatige Poster auf weißen Wänden, denkbar eng bedruckt. Ist das noch ein lockender Signalfarbton oder womöglich schon eine Warnung? Sicher scheint nur: Hier wird mit heiklem Material hantiert. Und siehe da, während das Auge über die grellen Textblöcke hinwegfliegt, liest man immer wieder etwas über die Kontinuitäten des Nationalsozialismus in Bezug auf die Documenta.

Alles, was hier zu sehen ist, ist schon einmal auf einer Documenta gezeigt worden – das ist aber auch die einzige Verbindung zwischen den ausgestellten Arbeiten.

Auf der ersten vermeintlichen Weltausstellung wurden beispielsweise einige Werke von Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die dem Blauen Reiter nahestanden. Diese im Nationalsozialismus als »entartetet« diffamierten Bilder wurden in der jungen Bundesrepublik gezeigt, um ­Distanz zur Nazi-Zeit zu signalisieren – und täuschten gleichzeitig über die Verstrickungen einzelner Kuratoren in das NS-Regime hinweg, die spätestens seit der Ausstellung »Documenta. Politik und Kunst« im Berliner Deutschen Historischen Museum (18. Juni 2021 bis 9. Januar 2022) bekannt sind. Einer der Kura­toren der ersten Documenta, die zuvor Nazis waren, war Werner Haftmann, der Anfang der dreißiger Jahre Mitglied der SA und später auch der NSDAP wurde. Er war Mitgründer der Documenta und hatte neben Arnold Bode maßgeblichen Einfluss auf die kuratorischen Entscheidungen der ersten Ausgaben.

Nach ellenlangen Listen der einst ausgestellten Documenta-Künstler schon ein wenig ermüdet, beißt man sich weiter durch eine Auswahl der zeitgenössischen Pressekritiken, die wohl unterstreichen sollen, was auch Matthias Mühling, der Direktor des Lenbachhauses, in einem Interview mit dem Südwestrundfunk hervorhob: Die Documenta sei immer schon ein internationales Medienphänomen gewesen, das die wichtigsten gegenwärtigen Themen verhandelte. Sie sei Mal für Mal umstritten gewesen und habe nicht selten heftige Auseinandersetzungen ausgelöst. Solch eine Aussage kann man von den jüngsten Kontroversen so leicht nicht trennen und sie klingt dann auch ein wenig so, als wolle man aus der Not der vergangenen Ausgabe eine Tugend machen.

Während man sich den Blick auf die Kunst in manchen Räumen der Ausstellung erst freischaufeln muss, macht sich an anderer Stelle eindeutig die Prominenz breit. Da tauchen beispielsweise immer wieder Arbeiten des Aktionskünstlers und ehemaligen Wehrmachtpiloten Joseph Beuys auf. Wie Haftmann gehört auch Beuys zu diesen angeblich wiedergutgewordenen Deutschen. Einer von vielen, die sich nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland immer wieder als Opfer inszenierten und die eigene Täterschaft unter den Tisch fallen ließen. Einer, dem diese Täter-Opfer-Umkehr so gut gelungen ist, dass er von den Grünen sowie Studierenden ­gefeiert wurde und bereits zu Lebzeiten als einer der wichtigsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit glorifiziert wurde und vielfach auch heute noch wird.

Für das Lenbachhaus ist der 1921 in Krefeld geborene Künstler von besonderer Bedeutung. 1979 erwarb Armin Zweite, der damalige Museumsleiter, das Environment »Zeige deine Wunde« (1976). Damit nahm die Sammlung erstmals eine Arbeit eines Künstlers auf, dessen Lebensmittelpunkt nicht in München lag. Dieser Ankauf stellte die Weichen für eine interna­tionale oder eher internationalere Sammlungspolitik. Die Zusammenarbeit zwischen Museumsmitarbeitenden, Künstler und Sammlern war so fruchtbar, dass sogar ein kompletter Museumsflügel dauerhaft mit Beuys-Arbeiten eingerichtet wurde.

So scheint die prominente Platzierung der Werke von Beuys auch in der Sonderausstellung – darunter die »Bienenkönigin I« (1947–1952) und ein »Baumzertifikat. 7 000 Eichen in Kassel« (1983), das die vier von der Landeshauptstadt München gespendeten Eichen attestiert – vielmehr als eine Beweihräucherung der eigenen Sammlung.

Eines der eindrücklichsten Exponate in »Was von 100 Tagen übrig blieb … « stammt von der jüdischen Künstlerin Charlotte Posenenske. Gezeigt wurden die Arbeiten der Vertreterin des Minimalismus erstmals auf der Documenta 12 im Jahr 2007, lang nach ihrem Tod 1985. Im Lenbachhaus wird jetzt neben Skulpturen von ihr auch ein Flugblatt gezeigt, das sie anlässlich der Eröffnung der Documenta 4 im Jahr 1968 in Kassel verteilte. Dieses darf, obwohl es ja kein offizielles Ausstellungsstück war, als Schlüsselwerk gelten, mit dem sich die Documenta als Phänomen tatsächlich verstehen lässt.

Posenenske, die selten ein Blatt vor den Mund nahm, wendet sich darin an die »Kultur-Fatzken«. Sie kritisiert deren »ganze Apparatur der Auf- und Abwertung von eingebildeten und eingebläuten Werten« und schließt mit den Worten: »Es gibt keinen Grund für die Documenta. Sie ist ein Instrument. Sie steht einem System zur Verfügung, das sich ihrer bedient. Die Documenta vertritt alles das, was vom System gebraucht wird, um Progressivität vorzutäuschen.« Diese Aussage trifft auch auf die Documenta 15 des vergangenen Jahres zu. Für den Anschein von Weltoffenheit nahm man den Antisemitismus doch gerne in Kauf.

Die Ausstellung »Was von 100 Tagen übrig blieb … Die Documenta und das Lenbachhaus« ist noch bis zum 21. Mai in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München zu sehen.