Besuch bei der Kampagne »Recht auf Streik« in einem besetzten Haus

Anarchisten für Streikrechte

In einem besetzten Haus in Berlin-Mitte stellt sich die Kampagne »Recht auf Streik« vor.
Raucherecke Von

Das Publikum trug größtenteils Schwarz, hatte Nasenpiercings und Tattoos, von der Decke baumelte ein Kronleuchter und ein silberner Weihnachtsstern, auf einem Büchertisch lag das Kinderbuch »Kommunismus« von Bini Adamczak: Am Samstag hat die sich selbst als »anarchakommunistisch« bezeichnende Gruppe »Die Plattform« die Kampagne »Recht auf Streik« in die »Linie 206« eingeladen, ein besetztes Haus in Berlin-Mitte. Das Netzwerk »Recht auf Streik« gibt es seit 2022. Entstanden ist es aus der Solidaritätsbewegung im Zuge der Gerichtsprozesse von drei ehemaligen Gorillas-Fahrern. Denen hatte das Lieferdienst-Start-up, neben knapp 300 anderen, 2021 gekündigt. Der Grund: Die Rider hatten ohne Unterstützung einer Gewerkschaft – »verbandslos« – gestreikt. Drei Fahrer entschlossen sich zu einer Klage, die aber scheiterte.

Alexander Kübler, der außer »Recht auf Streik« auch der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angehört, stellt die Gruppe vor. Am 25. April hatte man eine Kundgebung vor dem Landesarbeitsgericht in Berlin gemacht. In zweiter Instanz bestätigte das Gericht dort die Kündigungen gegen die Rider. »Das Gericht setzt die reaktionäre Tradition des deutschen Streikrechts fort«, so ­Kübler.

Damit meint er die anhaltende Prägung des deutschen Streikrechts durch Hans Carl Nipperdey, einen führenden Arbeitsrechtler der NS-Zeit. Nach dem Krieg fällte er als Präsident des Bundesarbeitsgerichts ein bis heute wirksames Urteil, demzufolge ein Streik von einer Gewerkschaft organisiert sein muss, ansonsten gilt er als »verbandsloser« beziehungsweise »wilder« Streik. Außerdem gibt es in Deutschland die Rechtsauffassung, dass das Ziel des Streiks in einem Tarifabschluss bestehen muss, ansonsten handelt es sich um einen politischen Streik – zum Beispiel die Generalstreiks in Frankreich gegen die Rentenreform von Emmanuel Macron würden wohl darunter fallen. Ist eines der beiden Kriterien – verbandslos oder politisch – erfüllt, kann der Arbeitgeber klagen, kündigen oder Schadensersatz von den Gewerkschaften fordern.

Für die Kampagne »Recht auf Streik« ist das deutsche Streikrecht »eines der rückständigsten und restriktivsten (…) in Europa«, schreibt sie auf ihrer Website. In seinem Vortrag bezieht sich Kübler auf die Europäische Sozialcharta von 1961. Die dort garantierte Streikfreiheit sei weitreichender als die in Deutschland. Deren Sachverständigenausschuss habe Deutschland wegen seines pauschalen Verbots des Beamtenstreiks und des verbandslosen Streiks wiederholt gerügt. Kübler sagt: »Deutschland verstößt gegen das Völkerrecht.«

Benedikt Hopmann, Anwalt der drei Gorillas-Fahrer und langjähriger Kämpfer für ein liberaleres Streikrecht, sitzt auch im Publikum. »Bisher gibt es kein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu politischen Streiks«, sagt er. Den Fall mit den drei Ridern möchte er notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof nach Straßburg tragen. »An dessen Entscheidung müssten sich die deutschen Gerichte dann halten«, so Hopmann.

Ob das Erfolg verspricht, ist keineswegs ausgemacht. Ein Verdi-Sprecher verweist gegenüber der Jungle World auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Februar. Demnach seien Streikmaßnahmen von der Europäischen Menschenrechtskonvention nur gedeckt, wenn sie von Gewerkschaften initiiert sind.

Eine der drei Gorillas-Fahrer:innen, die türkischstämmige Duygu Kaya, ist auch auf der Veranstaltung. Viele Arbeiter:innen bei Gorillas seien migrantisch, sagt sie der Jungle World, manche hätten nur ein halbjähriges Working Holiday Visum. Gewerkschaftliche Organisation sei deshalb schwierig.

Einige der Anwesenden sind Mitglieder der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU. Vor dem anarchistischen A-Logo an der Wand fordert Kübler: »Wir müssen die Diskussion in die Gewerkschaften tragen.«