Nationalistische Scharfmacher haben in Moskau den »Club verärgerter Patrioten« gegründet

Hardliner und Außenseiter

Der in Moskau gegründete »Club verärgerter Patrioten« vereint russische Nationalisten, die eine entschlossene Mobilmachung und die Unterdrückung aller Kriegsgegner fordern. Den Gründer der Söldnerarmee Wagner, Jewgenij Prigoschin, betrachten sie ebenso als Staatsfeind wie angebliche Verräter im Staatsapparat.

Seit sich abzeichnete, dass die umfassende Invasion der Ukraine Russland keinen schnellen Sieg bescheren würde, tritt Igor Girkin, alias Strelkow, als einer der schärfsten Kritiker der russischen Kriegsführung in Erscheinung. Dabei ist der ehemalige Verteidigungsminister der sogenannten Volksrepublik Donezk, der ab 2014 führend auf russischer Seite am Krieg in der Ostukraine beteiligt war, alles andere als ein Gegner der Invasion. Er beklagt vielmehr, dass diese nicht entschlossen genug durchgeführt werde. In regelmäßigen Videosendungen im Internet und vor den mittlerweile 800.000 Abonnenten seines Telegram-Kanals wirft er der russischen Regierung Versagen vor, dringt darauf, offiziell den Krieg zu erklären, statt von einer »Spezialoperation« zu sprechen, und fordert eine totale Mobilmachung von Armee und Gesellschaft. Die gesamte Wirtschaft solle »für den Sieg« arbeiten.

Das bekräftigte er erneut bei einer Pressekonferenz in Moskau am 12. Mai. »Wir sind in einen langwierigen Krieg geraten, auf den unsere Wirtschaft völlig unvorbereitet war«, bemängelte Girkin. Es war der erste Presseauftritt seines Anfang April gegründeten »Clubs verärgerter Patrioten« (KRP), der eine Ausweitung der russischen Kriegsanstrengungen fordert, um die ihrer Ansicht nach drohende Nieder­lage abzuwenden.

Für die Misserfolge der russischen Armee macht Girkin nicht nur die angeblich vom Westen gesteuerte Opposition, Saboteure im Staatsapparat, die insgeheim den Krieg ablehnten, und den Sittenverfall in der Gesellschaft verantwortlich. Eine besondere Gefahr geht aus seiner Sicht auch von Jewgenij Prigoschin und seiner Söldnertruppe Wagner aus, in der Girkin »eine Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung« der Russischen Föderation sieht.

Der Anführer der »verärgerten Patrioten«, Igor Girkin, sieht Russland vom Zusammenbruch bedroht und warnt für den Fall einer Niederlage vor einem »neuen Februar 1917«.

Dass der überzeugte Monarchist Girkin sich plötzlich um die republikanische Verfassung Sorgen macht, war nicht die einzige Überraschung der Pressekonferenz. Girkin befürchtet einen Zusammenbruch Russlands und warnte für den Fall einer Niederlage im Ukraine-Krieg vor einem »neuen Februar 1917«. Um das abzuwenden, rief er zur Einigung der »roten« und »weißen« Patrioten auf, also der sowjetnostalgischen mit den antikommunistischen Nationalisten.

Dass Girkin nicht mehr nur als einer der zahlreichen nationalistischen Influencer im Internet auftritt, sondern mit dem »Club verärgerter Patrioten« eine Organisation gegründet hat, die militärische Hardliner versammelt, ist auch Ausdruck sich verschärfender Konflikte im Lager der Kriegsbefürworter. Die Rivalität und Feindschaft zwischen Girkin und Prigoschin tragen diese schon seit Kriegsbeginn über die sozialen Medien aus. Beide beschuldigen sich gegenseitig, den Staat zu destabilisieren.

Girkin, ein ehemaliger Oberst des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB und Veteran des zweiten Tschetschenien-Kriegs, inszeniert sich seit 2014 als Kriegsheld, der im Donbass für Russland zur Tat geschritten sei. Er gibt sich als Militär- und Wirtschaftsexperte und scheute in der Vergangenheit keine Diskussionen mit Vertretern der verschiedenen Fraktionen der Opposition, einschließlich Aleksej Nawalnyjs und des Sozialisten Boris Kagarlizkij. Bereits nach seiner Rückkehr nach Russland aus dem Donbass 2014 kritisierte der zu einem Medienstar gewordene Veteran die russische Staatsführung dafür, dass sie den Krieg gegen die Ukraine zu zögerlich führe. Das mit der Ukraine geschlossene Minsker Abkommen bezeichnete er als »Verrat«.

Über eine reale Machtbasis verfügte Girkin jedoch nicht, und erst recht nicht über eine Privatarmee wie Prigoschin. Dieser pflegte vor der Invasion ein Image als Gastronomieunternehmer mit Nähe zu Putin und leugnete bis Beginn der »Spezialoperation« seine Verbindungen zur Gruppe Wagner, die zuvor vor allem in Afrika und in Syrien zum Einsatz gekommen war. Erst im Verlauf des Kriegs übernahm er in der Öffentlichkeit die Rolle eines Warlords, der persönlich in russischen Gefängnissen Söldner rekrutierte und in dramatischen Videoansprachen von der Front aus die Armeeführung dafür angriff, dass sie seine Truppen nicht ausreichend mit Munition versorge. Girkin wirft er Feigheit und »Nörgelei« vor.

Girkin drängt bereits seit Beginn der Invasion auf eine entschlossene Mobilmachung, was er mit Schwärmereien über eine nationalistische Läuterung der Gesellschaft durch den Krieg verbindet. Seine KRP gibt nach wie vor die Eroberung Kiews, »der Mutter der russischen Städte«, und die Eingliederung eines Großteils der Ukraine in die Russische Föderation als Kriegsziel an. Prigoschin wiederum rechtfertigte das Anwerben von Gefängnisinsassen mit Formulierungen wie: »Entweder es kämpfen sie, oder eben eure Kinder.« Er spricht von den Ukrainern als würdigem Gegner und schlug dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj mal ein Duell, mal direkte Verhandlungen vor. Die Militärführung kritisiert er für ihre Unfähigkeit, ohne dabei viel zu den politischen Zielen des Krieges zu sagen.

Girkins Club, der kürzlich in Sankt Petersburg ein Büro eröffnete, ist keine parteiähnliche Struktur, sondern eher eine Vereinigung von vor allem im Internet aktiven Figuren aus der zweite Reihe der staatstreuen Nationalisten. Auffällig ist unter den Mitgliedern die hohe Anzahl von Veteranen, die nach Abschluss des Minsker Abkommens aus ihren Positionen in den »Volksrepu­bliken« Donezk und Luhansk herausgedrängt wurden und in der russischen Politik keine Karriere machen konnten. Pawel Gubarew beispielsweise ist ein ehemaliges Mitglied der neonazistischen Organisation Russische Nationale Einheit (RNE) und war kurzzeitig »Volksgouverneur« der sogenannten Volksrepublik Donezk; der als »Gespenst von Noworossija« bekannte Militärchirurg Wladimir Grubnik wiederum hatte angeblich 2014 den Anti-Maidan-Untergrund in Odessa mitorganisiert.

Der Club ist eine Stimme derjenigen, die nicht einfach nur den Krieg unterstützen, weil er vom Staat als zweckmäßig deklariert wird, sondern die in jedem anderen Ende des Kriegs als einem klaren russischen Sieg einen Verrat an nationalen Interessen sehen würden.

Mit dabei ist auch Michail Aksel, einer der Anführer der Nationalbolschewistischen Partei, die in Russland seit 2007 zwar offiziell verboten, aber unter dem Namen Drugaja Rossija (Anderes Russland) weiter aktiv ist und ab 2014 Freiwillige für den Krieg im Donbass mobilisierte. Ein weiteres bekanntes Mitglied ist der ehemalige Gouverneur der Region Pskow, Jewgenij Michailow, der in der Vergangenheit in der Präsidialverwaltung Russlands und als Vorsitzender des Ministerrats der »Volksrepublik« Donezk wirkte. Der Publizist Wladimir Kutscherenko, besser bekannt unter dem Pseudonym Maksim Kalaschnikow, ist Mitglied in der Kleinpartei Partija Dela (Partei der Tat). Mit dem ehemaligen Oberst der sowjetische Luftstreitkräfte, Wiktor Alksnis, ist außerdem ein Politiker zu den »verärgerten Patrioten« gestoßen, der sich während der Perestroika öffentlich dafür eingesetzt hatte, die Sowjetunion auch mit Gewalt zusammenzuhalten.

Im Programm des Clubs wird die Einschränkung der Migration aus den ehemaligen Sowjetrepubliken gefordert; gleichzeitig solle die Einbürgerung von ethnischen Russen und Angehörigen der »eingeborenen Völker« Russlands erleichtert werden. Außerdem sollen zum Krieg Mobilisierte nicht nur an der Front, sondern auch in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden. Gefordert wird auch eine protektionistische Wirtschaftspolitik.

Das Paradox des Clubs besteht darin, dass trotz des erklärten Ziels, die Staatsräson rücksichtslos durchzusetzen, eine Plattform für die Kritik an der militärischen und politischen Führung geschaffen wurde. Einerseits warnen die »Patrioten« davor, dass Äußerungen der Unzufriedenheit die Lage destabilisieren könnten, und wollen einen drohenden Zerfall der Staatsmacht verhindern; andererseits beklagen sie, dass Parteigründungen und die Teilnahme an Wahlen in Russland faktisch nicht möglich seien, Korruption und soziale Konflikte eine effektive nationale Mobilisierung verhinderten und seit 2014 nichts für die Entwicklung der de facto von Moskau aus regierten »Volksrepubliken« in der Ostukraine unternommen worden sei.

Der Club ist eine Stimme derjenigen, die nicht einfach nur den Krieg unterstützen, weil er vom Staat als zweckmäßig deklariert wird, sondern die in jedem anderen Ende des Kriegs als einem klaren russischen Sieg einen Verrat an nationalen Interessen sehen würden. Die Suche nach den Verrätern in der Regierung und der Armee, die für das drohende Scheitern verantwortlich sind, beschäftigt sie schon jetzt. Fraglich ist deshalb, wie lange solche Hardliner noch die Rolle einer loyalen Opposition spielen werden. Über eigene Truppen – wie der von ihnen angegriffene Prigoschin – scheinen sie jedoch zumindest bisher nicht zu verfügen.