In Russland sollen »Geschlechtsumwandlungen« für Trans-Personen verboten werden

Normangleichende Operation

In Russland sollen sogenannte Geschlechtsumwandlungen verboten werden. Die Debatte über das Gesetz dient auch dazu, antiwestliche Stimmungen zu schüren.

Mit sogenannten Geschlechtsumwandlungen soll in Russland bald endgültig Schluss sein. Sie sind seit 1997 legal, doch am Mittwoch voriger Woche stimmten alle im Saal anwesenden Abgeordneten der russischen Staatsduma in erster Lesung für eine Gesetzesänderung, die jegliche auf eine sogenannte Geschlechtsumwandlung zielende medizinische Eingriffe verbietet. Ausnahmen sollen nur für normangleichende Operationen uneindeutiger Genitalien im Kindesalter möglich bleiben. Auch Änderungen der Geschlechtsangabe im Pass sind nicht mehr erlaubt, sollte das Gesetz in Kraft treten. Inhaltliche Änderungen am vorliegenden Text dürfen noch bis zum 28. Juni erfolgen, dann soll die abschließende Abstimmung stattfinden.

Pjotr Tolstoj, stellvertretender Duma-Vorsitzender und einer der führenden Politiker der Partei Einiges Russland, stellte in seiner Rede klar, es gehe bei dieser Frage um nicht weniger als den Schutz der nationalen Interessen. Die russische Verfassung kenne nur Männer und Frauen, »nichts dazwischen«, und der Bewahrung traditioneller russischer geistig-moralischer Werte komme eine lebenswichtige Bedeutung zu. In dem Zusammenhang wies er darauf hin, dass die Kämpfer in Russlands sogenannter Spezialoperation – dem Krieg gegen die Ukraine – nach ihrer Rückkehr von der Front ein Land vorfinden sollen, das sich moralisch verändert habe, »ein neues souveränes Russland – als Einheitsfront frei von westlichem Einfluss«. Nicht zu erwähnen vergaß er, dass bei diagnostiziertem Transsexualismus eine Befreiung vom Wehrdienst möglich sei.

Ansonsten entstand bei der Parlamentsdebatte der Eindruck, die Wortführer wüssten gar nicht, wovon sie reden. Manchen ging sogar die aktuelle Fassung des Gesetzentwurfs nicht weit genug, weil sie darin noch Lücken ausmachen wollten, die geschlossen werden müssten. Es steht demnach zu befürchten, dass in der kommenden Woche über einen Text mit weiteren Einschränkungen abgestimmt wird.

Aufgrund der in den vergangenen Jahren immer weiter verschärften Kriminalisierung jeglicher Form von »homosexueller Propaganda« ist selbst Aufklärungsarbeit risikobehaftet.

Aufschlussreich ist, wie fadenscheinig die Grundlagen sind, auf denen die Argumentation der Befürworter aufbaut. In einer dem Gesetzestext beiliegenden Erklärung verweisen die Autoren auf einen angeblich erschreckenden Anstieg von Geschlechtsänderungen. Nach Angaben des russischen Innenministeriums seinen zwischen 2016 und 2022 insgesamt 2.990 Anträge auf die Ausstellung eines neuen Passdokuments mit veränderter Geschlechtsangabe gestellt worden – mit steigender Tendenz. Seien es im ersten Jahr der angeführten Periode noch 142 Anträge gewesen, habe die Zahl im vergangenen Jahr 996 betragen.

Es folgt die Behauptung, die Kosten für eine operative sogenannte Geschlechtsumwandlung lägen höchstens bei knapp über 300 Euro, wobei die erforderlichen medizinischen Nachweise ohne Probleme in praktisch jeder russischen Privatklinik erworben werden könnten, die Hürden einer sogenannten Geschlechtsumwandlung also viel zu niedrig seien. Dar­über, wie viele derartige Nachweise ausgestellt worden seien und wie häufig es tatsächlich zu operativen Eingriffen kommt, hat das Gesundheitsministerium hingegen keine Kenntnis. Es führt schlichtweg keine entsprechende Statistik.

Nicht nur die Duma ist sich einig, auch aus der Gesellschaft regt sich so gut wie kein Widerspruch. Aufgrund der in den vergangenen Jahren immer weiter verschärften Kriminalisierung jeglicher Form von »homosexueller Propaganda« ist selbst Aufklärungsarbeit risikobehaftet. LGBT-Organisationen bewegen sich fast immer am Rande der Legalität, wurden aufgelöst oder dürfen nicht mehr sein als Anlaufstellen mit Unterstützungsangeboten. Vor der Duma-Debatte hatte sich allerdings die Journalistin und Publizistin Ewa Merka­tschowa, die dem Menschenrechtsrat des Präsidenten angehört, gegen eine Gesetzesverschärfung ausgesprochen. Dem russischen Online-Nachrichtenportal Lenta.ru erklärte sie – und widersprach der Gesetzesbegründung direkt –, dass für eine sogenannte Geschlechtsumwandlung in Russland ohnehin schon hohen Hürden überwunden werden müssten und die für einen medizinischen Eingriff notwendigen Unterlagen nur mit großem Aufwand zu bekommen seien. Der gesamte Prozess, so Merkatschowa, dauere Jahre.

Pjotr Tolstoj und der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin nutzten ihre Auftritte bei der Parlamentsdebatte auch, um antiwestliche Stimmungen zu schüren. Wolodin nutzte gar das Wort »Satanismus«, um zu charakterisieren, wie in den USA angeblich Geschlechtsumwandlungen bei Kindern und Jugendlichen durch Propaganda forciert würden. Ein Dorn im Auge ist den beiden außerdem die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene »Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme«, die weltweit als wichtigste Grundlage zur Einstufung medizinischer Diagnosen gilt und auch in Russland Anwendung findet. In der über fast 30 Jahre lang gültigen Version, der sogenannten ICD-10, galt Transsexualismus noch als Geschlechtsidentitätsstörung, in der seit 2022 verbindlichen Version ICD-11 hingegen findet der Begriff Gender-Inkongruenz Verwendung. Damit rückten Psychologie und Medizin ab von der Klassifikation als Störung und hin zu dem, was Trans-Personen eigentlich ausmacht – nämlich sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zu identifizieren.

Nun ist Russland zwar Mitglied der Vereinten Nationen, aber russische Parlamentarier fühlen sich nicht daran gebunden und wollen souverän entscheiden – gegen das, was sie als Vorgaben aus dem Westen bezeichnen. Im Verlauf der jüngsten Duma-Debatte gab Gesundheitsminister Michail Muraschko bekannt, dass im Auftrag von Präsident Wladimir Putin ein Institut zur Verhaltenserforschung Homosexueller eingerichtet werde. Das deutet darauf hin, dass die russische Führung sogenannte Konversionstherapien zur »Heilung« von Homosexualität ermöglichen könnte, so die Vermutung des LGBT-Portals Parni plus. Gegen solche Praktiken sprechen sich die Vereinten Nationen explizit aus.