Die neue Regierung in Bulgarien will sich politisch stärker zur EU orientieren

Lieber Brüssel als Moskau

Erst nach langen Verhandlungen kam in Bulgarien eine Koalitionsregierung zustande. Sie will die EU-Integration vorantreiben. Dagegen kämpft die rechtsextreme Partei Wasraschdane, die mit der russischen Politik sympathisiert.

Rumen Radew blieb stur. Es gebe »keine militärische Lösung«, daher seien »mehr und mehr Waffen« keine Lösung des »Konflikts«, wie der parteilose bulgarische Präsident den Ukraine-Krieg beharrlich nennt. Eine »ausgleichende Position« sei unmöglich, konterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, da Russland »die Nato, Europa und die Europäische Union zerstören« wolle.

Mit den meisten seiner bulgarischen Gesprächspartner:innen verstand sich Selenskyj bei seinem Staatsbesuch am Donnerstag vergangener Woche besser als mit Radew. Die neue bulgarische Regierung unter Ministerpräsident Nikolaj Denkow hatte Selenskyj wohl auch eingeladen, um international ihre Haltung zu demonstrieren. Bereits Ende Juni hatte sie beschlossen, der Ukraine erneut eine große Menge an Waffen und Munition zu liefern – eine Entscheidung, die Radew lange hatte blockieren können, weil es seit der vorletzten Wahl im Oktober 2022 nur Übergangsregierungen gab und Koalitionsverhandlungen gescheitert waren.

Die jüngste Wahl im April war die fünfte innerhalb von zwei Jahren gewesen. Gewonnen hatte sie das Bündnis der Parteien Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) und Union der Demokratischen Kräfte (SDS), allerdings mit 25,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das Bündnis aus »Wir setzen den Wandel fort« (PP) und Demokratisches Bulgarien (DB) lag mit 23,5 Prozent nur knapp zurück. Nach wochenlangen Verhandlungen fanden GERB-SDS und PP-DB schließlich zu einer Regierung »der nationalen Rettung« zusammen, die am 6. Juni vereidigt wurde. Sie soll der rechtsextremen und putinistischen Partei Wasraschdane (Wiedergeburt), die 13,6 Prozent der Stimmen erhalten hatte, jegliche Einflussnahme verbauen und die EU-Integration vorantreiben.

Das konservativ-liberale Kabinett führt zunächst Ministerpräsident Denkow (PP), seine Stellvertreterin ist Marija Gabriel (GERB). Es wurde vereinbart, dass die beiden in neun Monaten die Posten tauschen; weiter als eineinhalb Jahre hat man nicht geplant, weil Bulgarien dann voraussichtlich der Euro-Zone beitreten wird und sich andere politische Kräfteverhältnisse einstellen könnten. Der GERB-Vorsitzende Bojko Borissow, der dreimal als Ministerpräsident amtiert hatte, aber wegen Korruptionsvorwürfen umstritten ist – er war im vorigen Jahr im Rahmen von Ermittlungen einen Tag in Polizeigewahrsam –, verzichtete auf eine weitere Amtszeit.

Auch in der Justiz gab es einen Wechsel. Generalstaatsanwalt Iwan Geschew, dem Korruption, Politisierung der Justiz und Verstöße gegen die Bürgerrechte vorgeworfen werden, wurde abgesetzt – allerdings erst, nachdem er mit Borissow, der ihn 2019 ins Amt gebracht hatte, in Streit geraten war. Am 12. Juni stimmte der Oberste Justizrat, die höchste Verwaltungsbehörde des Justizwesens, mit 16 zu vier Stimmen für die Absetzung Geschews, Präsident Radew unterzeichnete den Erlass am 15. Juni. Anfang Juli verkündete Geschew die Gründung der Partei Gerechtigkeit für Bulgarien, deren Werte »Gott, Familie und Vaterland« seien.

Mitte Juni wurde die Vorführung des Spielfilms »Close« beim Sofia Pride Film Festival von rechtsextremen Demon­strant:innen unterbrochen, die das Jugenddrama als »eine Bedrohung für die nationale Identität und Werte Bulgariens« ansahen.

Der Erfolg dieses Projekts ist fraglich, fest etabliert und aktiv im rechten Kulturkampf ist hingegen Wasraschdane, deren Anhänger:innen mit Wladimir Putin und der Politik Russlands sympathisieren. Ihr Vorsitzender Kostadin Kostadinow proklamierte, er werde mit keiner der anderen Parteien koalieren. Wasraschdane fällt immer wieder mit schrillen Tönen auf. Der Abgeordnete Emil Jankow beispielsweise möchte politische Gegner:innen in Belene sehen, einem ehemaligen Arbeitslager der Volksrepublik Bulgarien, in dem von 1949 bis 1959 Regimegegner:innen unter extrem harten Bedingungen inhaftiert waren. Kostadinow wiederum tat sich bereits mehrfach mit abfälligen Aussagen über Roma hervor, die er unter anderem als »Parasiten« bezeichnete. Seine politischen Gegner:innen nannte er kürzlich »Dreck, der vernichtet werden« müsse. Die Staatsanwaltschaft Sofia gab bekannt, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen Kostadinow wegen Anstiftung zu Gewalt und Hass eingeleitet habe.

Auf der Straße machte die Partei in den vergangenen Monaten mit gewalttätigen Aktionen von sich reden. So wurde Mitte Juni die Vorführung des Spielfilms »Close« beim Sofia Pride Film Festival von rechtsextremen Demon­strant:innen unterbrochen, die das Jugenddrama als »eine Bedrohung für die nationale Identität und Werte Bulgariens« ansahen. In ihm erzählt der belgische Regisseur Lukas Dhont die Geschichte einer innigen Jungenfreundschaft, die zerbricht. Es ist ein Film über die Macht des Anpassungsdrucks in ­einer Gesellschaft mit normierten Geschlechterbildern.

Einige Demonstrant:innen, die nationalistische Symbole und T-Shirts mit dem Logo von Wasraschdane trugen, drangen in das Kino ein, fotografierten und filmten das Publikum und bezeichneten die Anwesenden als Pädophile. Die Polizei schützte die Veranstaltung nicht. Die nichtbinärgeschlechtliche Transgender-Aktivistin Galina Lacheva berichtete im Gespräch mit der Jungle World: »Ich war von einer Menge umgeben, darunter der Wasraschdane-Abgeordnete Slawtscho Krumow. Die Menge rief: ›Keine Schwulenparade in meiner Stadt.‹«

Auch in Warna, der drittgrößten Stadt Bulgariens, verübten Anhänger:innen von Wasraschdane Übergriffe, die zum Abbruch einer Vorführung von »Close« führten. Dmitrij, ein Flüchtling aus Russland, schilderte im Gespräche mit der Jungle World die Situation so: »Meine Freunde und ich wurden bei der Vorführung angegriffen. Sie schrien Dinge wie ›Sterbt, Scheißkerle‹, warfen Flaschen, spuckten und drohten damit, uns umzubringen. Als wir versuchten, durch den Hintereingang zu entkommen, wurde mein Freund mehrmals angegriffen und keiner der Angreifenden wurde von der Polizei belangt. Das hat ihnen das Selbstvertrauen gegeben, uns später sogar im Taxi anzugreifen.« Nach den Vorkommnissen in Warna organisierte Dmitrij den ersten Queer-Pride-Protest in der Stadt.

Eine Vorführung von »Close« in Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, wurde ebenfalls von Wasraschdane-Anhänger:innen gestört, unter ihnen Emil Jankow. Der Film konnte trotz der chaotischen Situation mit Verspätung gezeigt werden.

Wasraschdane agitiert gegen Nato und EU. Die Partei kämpft derzeit vor allem gegen den Beitritt Bulgariens zur Euro-Zone, der für 2025 angestrebt wird und, so Kostadinow, »zu einem Bürgerkrieg führen« könne. Am 21.Mai bewarfen im Rahmen einer Protestveranstaltung, die sich gegen die Unterstützung der Ukraine richtete, Anhänger:innen von Wasraschdane und mehrere Abgeordnete der Partei in Sofia das Gebäude der Vertretung der EU-Kommission mit Farbbeuteln. Auf der Facebook-Seite der Partei hieß es, der Protest richte sich »gegen die Einmischung Brüssels in innere Angelegenheiten«.