Wohnraum im Osten
Deutschland sei kaum noch zu retten, das zeige »eine ernüchternde biologisch-mathematische Ist-Aufnahme«, heißt es auf der Website der rechtsextremen Initiative »Zusammenrücken in Mitteldeutschland«. »Die Umwandlung unserer Heimat in ein orientalisches Siedlungsgebiet wird knallhart umgesetzt«, ist im Telegram-Kanal zu lesen. »Daher: Zusammenrücken in Mitteldeutschland!«
In Ostdeutschland sei der Migrantenanteil noch gering, die Welt noch in Ordnung. Die Initiative will deshalb rechtsextreme Gesinnungsgenossen dabei unterstützen, nach Osten zu ziehen und dort »geballt zusammenzurücken«. Der sächsische Verfassungsschutz hat sie nun als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung unter Beobachtung gestellt. In der Begründung wird die Initiative in Zusammenhang mit anderen Bewegungen völkischer Siedler:innen gebracht. Mittels »des taktischen Zusammenzuges von völkisch-nationalistisch gesinnten Deutschen« wolle die Initiative »den ›Volkstod‹ abwenden und die ›eigene Art‹ erhalten«, sagte eine Sprecherin des sächsischen Verfassungsschutzes der Taz.
Bei der kürzlichen Vorstellung des Jahresberichts des Bundesamts für Verfassungsschutz sagte dessen Präsident Thomas Haldenwang, völkische Siedler versuchten, kleinere Gebiete zu vereinnahmen, um sich dort Rückzugsräume zu schaffen. Als Beispiele nannte er neben der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung die Initiative Zusammenrücken.
Die Verortung allein bei der völkischen Siedlerbewegung greift allerdings zu kurz, die Initiative Zusammenrücken findet in der extremen Rechten insgesamt Anklang. Bei der Initiative wirken unter anderem Anhänger rechtsextremer Kleinstparteien wie »Die Heimat« (vormals NPD) und »Der III. Weg« mit. Als zwei der führenden Köpfe der Initiative gelten Christian Fischer und Lutz Giesen. Sie waren beide früher bei der NPD und der mittlerweile verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv. Unter anderem weil er eine »Rasseschulung« organisiert hatte, bei der der NS-Propagandafilm »Der ewige Jude« gezeigt worden war, wurde Fischer 2010 wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Die meisten Gruppen der völkischen Siedlerbewegung propagieren eine zivilisationsfeindliche Vorstellung eines naturnahen, ursprünglichen Lebens auf dem Land. Die Initiative Zusammenrücken präsentiert sich da weniger gefestigt esoterisch, das Ziel scheint vor allem zu sein, Rechtsextreme zum Umzug nach Ostdeutschland zu motivieren, um dort politisch stärker zu werden. Als der bekannte Dortmunder Neonazi Michael Brück 2020 nach Chemnitz zog, war dies vorher auf den Kanälen von Zusammenrücken angekündigt worden.
Die meisten Gruppen der völkischen Siedlerbewegung propagieren eine zivilisationsfeindliche Vorstellung eines naturnahen, ursprünglichen Lebens auf dem Land.
»Das Ziel von Strategen wie Christian Fischer ist die Schaffung einer neonazistischen Zivilgesellschaft«, sagt André Aden, ein langjähriger Beobachter der sächsischen Nazi-Szene, der Jungle World. Das zeige sich zum Beispiel in der sächsischen Kleinstadt Leisnig, 50 Kilometer östlich von Leipzig, wo Fischer und andere völkische Siedler Medienberichten zufolge leben. Die Kleinstadt hat weniger als 7.000 Einwohner. Bei den dortigen »Montagsdemos« gegen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung traten die zugezogenen Nazis öffentlich in Erscheinung. Giese und Fischer hielten dort Reden.
Nach Angaben von Belltower News war bei diesen Demonstrationen außerdem Michael H. zu sehen, der zum Kreis der völkischen Siedler gehöre. Er betreibt demnach Leisnig.info, eine Nachrichtenplattform, die es als Telegram-Kanal und als Website gibt. Sie berichtet über harmlose Lokalnachrichten (»Neues aus dem Leisniger Stadtrat: Zum ehemaligen Penny-Markt gibt es Neuigkeiten«), verbreitet aber auch Inhalte rechtsextremer Parteien wie Die Heimat und der Freien Sachsen. Ebenfalls in Leisnig ansässig ist der rechtsextreme Adoria-Verlag.
Von der Initiative Zusammenrücken selbst bekomme man in Leisnig nicht allzu viel mit, sagt der dort lebende Martin* der Jungle World. Mutmaßliche völkische Siedler würden versuchen, in örtlichen Vereinen Anknüpfungspunkte zu finden und lokalpolitische Themen zu propagieren, wie etwa ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern in einem Wohngebiet. Ihre rechtsextreme Gesinnung stellten sie dabei aber in den Hintergrund. Zuzüge von Neonazis hat Martin nur vereinzelt bemerkt: »Man kriegt das meistens auch nur mit, wenn die in ihren Dreißiger-Jahre-Outfits durchs Dorf streifen, dadurch kann man das dann so ungefähr zuordnen.«
Auf ihrer Homepage stellt sich die Initiative Zusammenrücken als gut vernetzt dar. Dort sind Interviews mit bekannten Rechtsextremen zu finden. Interessenten könnten sich mit »regionalen Botschaftern« in verschiedenen ostdeutschen Regionen treffen. Diese stünden ihnen beim Umsiedeln beratend zur Seite. Manchmal könne man auch Grundstücke oder Wohnungen vermitteln.
Die jüngsten Wahlergebnisse in Ostdeutschland, wo im Landkreis Sonneberg in Südthüringen ein AfD-Mann zum Landrat und ein weiterer in Raguhn-Jeßnitz bei Bitterfeld zum Bürgermeister gewählt wurden, haben den rechtsextremen Siedlern offenbar Hoffnung gemacht. In ihrem Telegram-Kanal zeigte sich die Initiative deshalb erfreut über die »wirklich positive Entwicklung, die sich aktuell in Mitteldeutschland vollzieht«.
* Name von der Redaktion geändert.