In einer Privatklinik in Hannover wird angeblich ein iranischer »Todesrichter« behandelt

Verdacht auf Mordsbesuch in Hannover

Gegner des iranischen Regimes demonstrierten am Samstag in Hannover vor einer Privatklinik, weil sie dort den »Todesrichter« Hossein-Ali Nayyeri vermuteten.

Am Samstag demonstrierten Exil­iraner:innen in Hannover – allerdings nicht vor einem iranischen Konsulat, sondern vor einem Krankenhaus. Die Demonstrierenden waren überzeugt, dass der iranische Geistliche Hossein-Ali Nayyeri seit einigen Wochen in der neurochirurgischen Privatklinik International Neuroscience Institute (INI) behandelt werde, auch wenn die Klinik­leitung dies dementiert.

Nayyeri ist als »Todesrichter« bekannt, er war 1988 für Massenhinrichtungen an politischen Gefangenen verantwortlich. »Stop protecting murderers«, lautete das Motto des Protests. Mina Ahadi, eine der Organisatorinnen der Demonstration, erklärte: »Wir verlangen, dass die deutsche Justiz sich nicht an die Seite des mörderischen Regimes stellt und Nayyeri entkommen lässt.«

Bereits am 7. Juli stellte Volker Beck, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Strafanzeige, auch weitere Anzeigen gegen Nayyeri wegen Mordes gingen bei der Staatsanwaltschaft ein. Aufgrund der schleppenden Ermittlungen hatte Beck bereits Mitte Juli eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft in Hannover eingelegt, die der Jungle World vorliegt. »Falls der Beschuldigte Hossein-Ali Nayyeri in Hannover jetzt flieht, handelt es sich um Strafvereitelung im Amt«, schrieb Beck darin.

Am Montag teilte die Staatsanwaltschaft jedoch mit, es gebe keine Hinweise darauf, dass Nayyeri in Hannover sei. Der Leiter der Klinik, Madjid Samii, hatte zuvor in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung dementiert, dass Nayyeri sich in der Klinik aufhalte.

Nayyeri war einer der Hauptverantwortlichen der Massenhinrichtung politischer Gefangener im Sommer 1988 im Iran. Der dafür zuständigen »Todeskommission« gehörte neben Nayyeri auch der heutige iranische Präsident Ebrahim Raisi an. Amnesty International geht davon aus, dass damals »mindestens 5.000 Gefangene gezielt ermordet worden sind, um jeden politischen Dissens zu ersticken«.

Die Massenhinrichtungen von 1988 gehören zu den schwersten Menschenrechtsverbrechen in der Geschichte der Islamischen Republik.

Vor einem Jahr äußerte sich Nayyeri zu dem damaligen Massenmord in einem Interview mit der staatlichen iranischen Institution Islamic Revolution Document Center. »Was sollten wir unter solch kritischen Umständen tun? Wir mussten entschiedene Urteile fällen«, sagte er. Die Massenhinrichtungen von 1988 gehören zu den schwersten Menschenrechtsverbrechen in der Geschichte der Islamischen Republik. Der Iran-Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Javaid Rehman, forderte deshalb vor zwei Wochen erneut ein Ende der Straflosigkeit und eine internationale Untersuchung der Massaker von 1988. Das Stockholmer Landgericht zeigte im Sommer vorigen Jahres, dass dies möglich ist. Dort wurde der ehemalige iranische Staatsanwalt Hamid Nouri, der ebenfalls der Todeskommission angehörte, zu lebenslanger Haft verurteilt. Nouri war 2019 bei seiner Einreise nach Schweden verhaftet worden.

In der Hannoveraner Privatklinik wurden schon zuvor Repräsentanten der Islamischen Republik Iran und anderer autoritärer Regime behandelt – im Januar 2018 zum Beispiel Ayatollah Mahmoud Hashemi Shahroudi, der von 1999 bis 2009 Oberster Richter war und Menschenrechtlern zufolge mehrere Todesurteile gegen Minderjährige fällte. Shahroudi hatte vom Auswärtigen Amt ein Visum erhalten. Als das bekannt wurde und Exiliraner:innen vor der Klinik protestierten, eskortierte die niedersächsische Polizei Shahroudi zum Hamburger Flughafen. Zu dem Zeitpunkt prüfte die Generalbundesanwaltschaft bereits ein Verfahren wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschheit.

Der Hirnchirurg Madjid Samii war in Hannover gut bekannt mit Gerhard Schröder (SPD), der bis ab 1990 Ministerpräsident in Niedersachsen war, ­bevor er im Herbst 1998 Bundeskanzler wurde. Im Frühjahr 1998 hatte das Land Niedersachsen mit 83,2 Millionen Mark für den Bau von Samiis Klinik ­gebürgt. 2009 reisten Schröder und Samii gemeinsam in den Iran, dort traf der ehemalige Bundeskanzler unter anderem den damaligen Staatspräsidenten und Holocaust-Leugner Mahmoud Ahmadinejad. 2015 reiste Samii mit dem damaligen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in den Iran. Samii ist in Teheran aufgewachsen und im Iran eine prominente Figur. »Das ist der Franz Beckenbauer des Iran«, schwärmte Ga­briel damals.

2016 ging es erneut in den Iran, diesmal mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD). Auf der Reise eröffnete Samii eine Klinik des INI in Teheran; eine dritte Dependance wurde 2019 in Peking eröffnet. Nimmt man diese Vorgeschichte als Maßstab, scheint es unwahrscheinlich, dass deutsche Behörden die Menschenrechtsverbrechen der Islamischen Republik Iran jemals so ernsthaft verfolgen, wie es in Schweden geschehen ist.