Der ehemalige Betriebsrat Theo Steegmann und seine Rolle beim Krupp-Streik in Duisburg-Rheinhausen 1987/1988

Die Hütte brennt

Ende der achtziger Jahre beteiligten sich Zehntausende an Streiks und Protesten gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen. Einer der Anführer des Arbeitskampfs, der damals 32jährige Betriebsrat Theo Steegmann, ist Ende Juli verstorben.

Fast 100 Jahre lang bildete das Krupp-Stahlwerk den wirtschaftlichen Mittelpunkt des Duisburger Stadtteils Rheinhausen auf der westlichen Rheinseite. Doch kurz vor Weihnachten 1987 schockierte der Krupp-Konzern den Stadtteil: Am 26. November wurde bekannt, dass das Hüttenwerk mit 6.000 Beschäftigten komplett geschlossen werden sollte. Fast jeder Familie im Ort drohte ein Arbeitsplatzverlust.

Rasch breitete sich Empörung im Viertel aus: »Advent, Advent, die Hütte brennt.« Vier Tage nach der Bekanntgabe der Schließungspläne fand eine außerordentliche Betriebsversammlung im Stahlwerk statt, an der über 10.000 Personen teilnahmen – fast doppelt so viele, wie im Werk beschäftigt waren. Es sollte der Beginn eines 160 Tage langen Streiks werden, eines der längsten Arbeitskämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik. An dessen Planung und Organisation von Anfang an beteiligt war der damals 32jährige Theo Steegmann, der gerade erst mit einer linken Mehrheit zum gleichberechtigten stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrats im Rheinhausener Stahlwerk gewählt worden war.

Die Stimmung auf der Versammlung war zunächst deprimiert. In wortreichen Reden drückten Arbeiter aus, wie resigniert sie waren. Die Versammelten bewarfen den Vorstandsvorsitzenden der Krupp Stahl AG, Gerhard Cromme, mit Eiern, Lehm und anderen Gegenständen. Landtags- und Kommunalpolitiker von SPD und CDU hielten Wahlkampfreden, ohne den Arbeitern irgendetwas Konkretes versprechen zu können. Die Führung der IG Metall verweigerte dem Rheinhausener Betriebsrat zunächst die Unterstützung für Streik und Straßenprotest.

 Die Werkskantine der Krupp-Hütte wurde zum Tagungsort eines Komitees umfunktioniert, hier trafen sich täglich Hunderte Bürgerinnen und Bürger aus der Region.

Was sollte nun werden? Als Helmut Laakmann, Abteilungsleiter im Krupp-Stahlwerk, an das Mikrophon trat und, abgestimmt mit dem Betriebsrat, eine Brandrede für einen Streik hielt, drehte sich die Stimmung. »Das ist unsere Chance, Geschichte zu schreiben. Auge um Auge, Zahn um Zahn«, rief Laakmann. Die Halle tobte. Abends um 20 Uhr zeigte die »Tagesschau« Szenen aus der bald berühmten Betriebsversammlung. Diese vom Betriebsrat initiierte Bewegung war keineswegs von der IG Metall geplant gewesen.

Noch in derselben Nacht, vor Beginn der Frühschicht, bauten Hunderte Stahlarbeiter in Rheinhausen Straßensperren auf. Sie riegelten Bundesstraßen ab und sperrten eine Autobahnauffahrt. Der Duisburger Stadtteil Rheinhausen war für zwei Tage fast abgeriegelt. Knapp 16 Stunden lang blockierten die Männer eine dreispurige Rheinbrücke. Hinter Straßensperren und vor den Werkstoren hatten sich Tausende von Stahlarbeitern und ihre Familien versammelt und drohten, Stahlbrammen auf die Autobahn zu werfen und die A 2 zu besetzen.

Der Streik im Krupp-Stahlwerk war beschlossene Sache, doch erst eine Woche später entschloss sich die IG-Metall-Führung zur Unterstützung: Vollstreik in der Stahlindustrie des Ruhrgebiets und DGB-Aktionstag mit Fackelzug. Der Autobahnverkehr im Ruhrgebiet lag an diesen Tagen lahm. An dem Stahlaktionstag der IG Metall am 10. Dezember beteiligten sich 100.000 Stahlkocher, Bergleute und andere Arbeiter. Bei einer Großkundgebung aller Stahlbetriebe in Duisburg am 20. Januar 1988 wurde die Rheinbrücke von Duisburg-Hochfeld nach Rheinhausen von 50.000 Protestierenden besetzt und auf den Namen »Brücke der Solidarität« getauft, den sie bis heute trägt. Zur Mahnwache vor dem bald bundesweit bekannten Tor 1 des Rheinhausener Werks mit seinen Körben voll glühenden Kokses, an denen sich die Arbeiter aufwärmten, kamen über viele Wochen Tausende, um ihre Solidarität zu zeigen.

Theo Steegmann ist am 25. Juli im Alter von 67 Jahren in Duisburg verstorben

2012 im Duisburger Rathaus bei der Abwahl von  Oberbürgermeister Sauerland (CDU). Theo Steegmann ist am 25. Juli im Alter von 67 Jahren in Duisburg verstorben

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picture alliance / dpa | Bernd Thissen

Die Werkskantine der Krupp-Hütte wurde zum Tagungsort eines Komitees umfunktioniert, hier trafen sich täglich Hunderte Bürgerinnen und Bürger aus der Region. Biker veranstalteten Soli-Motorradkorsos. Rundum im Revier gründeten sich Fraueninitiativen unter dem Motto »Das Krupp-Werk muss leben«. 12.000 Schülerinnen und Schüler in Duisburg demonstrierten und ließen dafür ihren Unterricht ausfallen. Die damals noch bisweilen radikal gestimmten Grünen waren ebenso anwesend wie alle möglichen kirchlichen und sozialen Gruppen. Der Betriebsrat gab jede Woche einen Aktionsplan heraus, der von Großveranstaltungen bis zur kleinen Gesprächsrunde mit internationalen Gästen reichte.

Auch Prominente solidarisierten sich. Herbert Grönemeyer, Rio Reiser und Die Toten Hosen sangen beim »Aufruhr«-Festival im Frühjahr 1988 vor 40.000 Zuschauerinnen und Zuschauern im Walzwerk auf dem Krupp-Gelände. Die 1989 erstmals ausgestrahlte »Tatort«-Folge »Der Pott« mit Götz George in der Rolle des Kommissars Schimanski nimmt sympathisierend Bezug auf den Arbeitskampf in der Stahlindustrie.

Im Hintergrund feilte die Betriebsratsgruppe um Theo Steegmann an neuen Konzepten für das Werk, um Krupp an der Stilllegung zu hindern. Die Vergesellschaftung der Stahlindustrie war im Ruhrgebiet seit Jahren gefordert worden. Universitäten in Dortmund und Duisburg hatten dazu geforscht und sowohl betrieblich als auch öffentlich darüber informiert. Im Jahr 1983 hatte die IG Metall die Vergesellschaftung in ihr stahlpolitisches Programm aufgenommen. Der damalige SPD-Bundesvorsitzende Hans-Jochen Vogel unterstützte die Forderung beim landesweiten DGB-Aktionstag »Rheinhausen muss leben« im Dezember 1987.

Im Frühjahr 1988 erarbeitete der Betriebsrat mit Unterstützung der IG Metall und von Hüttenfachleuten ein detailliertes alternatives Produktionskonzept für das Werk. Vor allem der linke Sozialdemokrat Theo Steegmann dachte dabei auch über neue ökologische Produktlinien für das Stahlwerk nach. Er hatte früh, bei der Bundestagswahl im Jahre 1983, zur Wahl der damals noch in weiten Teilen ökosozialistischen Grünen aufgerufen und war deshalb aus der SPD ausgeschlossen worden, trat aber später wieder in die Partei ein.

Was blieb, war die Erinnerung an die Solidarität und das Selbstbewusstsein in der von den Folgen der Krise der Montanindustrie gebeutelten Stadt.

Am Ende erreichte der Arbeitskampf nicht die angestrebten Ziele, war aber nicht gänzlich erfolglos. Er endete im Mai 1988 mit einer sogenannten Schlichtung unter Vermittlung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD). Der Stilllegungsbeschluss des Konzerns blieb bestehen. Krupp wurde verpflichtet, 1.500 Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Als kurz darauf die Stahlkrise einem Boom wich, die Nachfrage wieder stieg und Krupp die Schließung der Hütte auf das Jahr 1993 verschob, verbesserte sich die Verhandlungsposition von Betriebsrat und Gewerkschaft. Sie handelten einen Sozialplan für die Belegschaft aus, der sich sehen lassen konnte: Den über 52jährigen Stahlarbeitern wurde bis zur Rente 80 Prozent ihres Einkommens gezahlt und den Jüngeren Arbeit in anderen Werken angeboten.

Um an die geschlossene Hütte und den damit verbundenen Arbeitskampf zu erinnern, baute Steegmann ein Archiv auf, das in der Bezirksbibliothek Rheinhausen zu besichtigen ist. Er hielt Vorträge und gab immer wieder Interviews. Beruflich blieb er zunächst dem Krupp-Werk in Rheinhausen treu, begleitete den Abriss und die Sanierung des Geländes. Anschließend ging er – er hatte neben seiner Arbeit bei Krupp an der Universität Duisburg Wirtschaftspädagogik studiert – als Leiter der Abteilung Weiterbildung zu Nirosta, einer Tochterfirma von Thyssen-Krupp, dem Konzern, das 1999 aus einer Fusion der ehemaligen Familienunternehmen Thyssen und Krupp hervorgegangen war. Als Nirosta 2012 an den finnischen Konzern Outokumpu verkauft wurde, wechselte Steegmann wieder in den Betriebsrat. Ab September 2013 koordinierte er den Europäischen Betriebsrat von Outokumpu.

Der Arbeitskampf in Rheinhausen konnte den Niedergang des Industriearbeitermilieus im Ruhrgebiet nicht aufhalten. Was aber blieb, war die Erinnerung an die Solidarität und das Selbstbewusstsein in der von den Folgen der Krise der Montanindustrie gebeutelten Stadt. Steegmann war es auch, der nach dem verheerenden Unglück bei der Duisburger Loveparade im Jahr 2010 den Bürgerentscheid initiierte, der zur Abwahl des damaligen CDU-Oberbürgermeisters Adolf Sauerland führte.

Die Stahl- und Hafenstadt Duisburg, Steegmanns Stadt, steckt immer noch mitten in der Transformationskrise. Gerade die Entwicklungen im Ruhrgebiet zeigen die Notwendigkeit einer Umgestaltung des fossilen Kapitalismus, die sich von neoliberalen Doktrinen abwendet. Die geplante Dekarbonisierung der Energieversorgung für die Stahlproduktion bei Thyssen-Krupp Steel in Duisburg, die von Bund und Land mit rund zwei Milliarden Euro gefördert wird, erinnert an die Konzepte einer alternativen ökologischen Produktion in der Stahlindustrie aus den achtziger Jahren – und damit auch an Theo Steegmann, der am 25. Juli im Alter von 67 Jahren in Duisburg verstorben ist.