Der türkischen Regierung nahestehende Islamverbände finden keine klaren Worte gegen den Terror

Das Spiel der Islamverbände

Der Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet hetzte nach dem Angriff der Hamas gegen Israel. Ihm untersteht der deutsche Verband Ditib – auch dort fand man zunächst keine klaren Worte gegen den Hamas-Terror.

Kritik an der Zusammenarbeit des deutschen Staates mit Islamverbänden gibt es schon länger. Sie richtet sich nicht nur, aber insbesondere gegen jene Verbände, die von der autokratisch-islamistischen türkischen Regierung beeinflusst werden: die Türkisch-Islamische Union (Ditib) und die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Nun hat der Angriff der Hamas auf Israel die Islamverbände wieder einmal auf die Probe gestellt: Wie positionieren sie sich angesichts des Terrors zum jüdischen Staat Israel, zu den terroristischen Anschlägen gegen ­Zivilisten? Distanzieren sie sich von antisemitischen Reaktionen auf den Krieg, die zum Beispiel aus der türkischen Religionsbehörde Diyanet zu hören waren, der die Ditib unterstellt ist?

In der jüngsten Freitagspredigt, die Ali Erbaş, der Präsident der Diyanet, als Reaktion auf den Angriff der Hamas hielt, sagte dieser nämlich, Israel sei »wie ein rostiger Dolch, der im Herzen der islamischen Geographie« stecke. Heiko Heinisch, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle Politischer Islam in Österreich, findet im Gespräch mit der Jungle World dafür klare Worte: Es han­dele sich um eine eindeutig »islamistische Aussage«. Ali Erbaş vertrete mit dieser Äußerung die Idee, dass »jedes Land, das einmal islamisch war, immer islamisch bleiben muss«. Relevant für Deutschland ist dies, weil der Diyanet nicht nur sämtliche Moscheen in der Türkei unterstehen, sondern auch die an die Diyanet angeschlossenen Moscheeverbände im Ausland – inklusive der Ditib.

»Antisemitismus, die Unterstützung von Hamas und die Feindschaft gegen Israel gehören zur DNA der Milli Görüs«. Heiko Heinisch, Mitglied wissenschaftlicher Beirat der Dokumentationsstelle Politischer Islam in Österreich

Ali Erbaş ist, wie der türkische Prä­sident Recep Tayyip Erdoğan, in der Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei sozialisiert worden. Über die ideologischen Hintergründe dieser Organisation hat Heiko Heinisch gemeinsam mit Hüseyin Çiçek und Jan-Markus Vömel gerade erst eine Studie für die DPI verfasst. Sie kommt zu dem Schluss, dass »Antisemitismus und auch die Unterstützung von Hamas und die Feindschaft gegen Israel zur DNA der IGMG gehören«, so Heinisch gegenüber der Jungle World. Die antisemitische und israelfeindliche Ideologie gingen auf den Gründer der Bewegung, Necmettin Erbakan, zurück. Erbakan glaubte an eine zionistische Weltverschwörung, der zufolge »die Zionisten« die Kontrolle über den »weltweiten Imperialismus« und die »politische Vorherrschaft auf der Erde« erlangt hätten und so die »gesamte Menschheit« ausnutzen könnten. Schriften, die solche antisemitischen Vorstellungen verbreiten, werden weiterhin »völlig unkritisch über den Buchhandel der IGMG vertrieben«, warnt Heinisch.

Die Ditib in Deutschland hat nach den Angriffen eine Freitagspredigt veröffentlicht, in der es sehr allgemein hieß: »Als Muslime verurteilen wir alle terroristischen Handlungen, unabhängig davon, von wem sie ausgehen und gegen wen sie gerichtet sind.« Man verurteile aber auch »jegliche Art von Besatzungsversuchen«. Eren Güvercin von der muslimischen Alham­bra-Gesellschaft, die sich für einen libe­ralen Islam einsetzt, kritisiert die Haltung der Ditib und der anderen Islamverbände scharf. »Die relativierenden Aussagen zum Terror der Hamas haben eine fatale Wirkung. In den nächsten Wochen wird die Stimmung auch bei uns in Deutschland noch aggressiver werden. Eine Religionsgemeinschaft sollte gerade jetzt in diesem Kontext ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Da versagen die muslimischen Verbände gerade auf ganzer Linie«, sagte Güvercin der Jungle World. Auf die Frage, welche der Predigten in den zahlreichen Moscheeverbänden der Ditib verlesen wurden, antwortet Güvercin der Jungle World, dass man nicht ganz ausschließen könne, dass in einigen Gemeinden auch die Diyanet-Predigt verlesen worden sei: »Die Imame der Ditib sind Beamte der Diyanet, werden von ihr ausgebildet und bezahlt, und Ali Erbaş ist die höchste religiöse Autorität dieser Imame.«

Auch eine Stellungnahme des Zen­tralrats der Muslime vom 8. Oktober 2023 sorgte für Kritik. Darin wurden zwar die »Angriffe der Hamas auf Zivilisten« verurteilt, allerdings nicht ohne gleichzeitig israelischen Siedlern und der israelischen Armee vorzuwerfen, »seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die al-Aqsa Moschee« anzugreifen.
Dass kein Verband in der Lage sei, die Hamas klar und eindeutig als Terrororganisation zu bezeichnen, hält Eren Güvercin für »beschämend«. Er hat eine klare Forderung: »Die Politik muss für ihre Religionspolitik Konsequenzen ziehen und darf diesem Treiben der Verbände nicht mehr tatenlos zuschauen. Das ist meine Erwartung als deutscher Muslim an meine Regierung.«

In Nordrhein-Westfalen gab es zumindest eine Reaktion der Landesregierung. Die lud die Spitzen der vier großen Islamverbände für Montagnachmittag zu einem Gespräch ein. In der Einladung hieß es, es sei für den „Zusammenhalt in unserem Land von großer Bedeutung, dass auch von Ihrer Seite eine klare und unmissverständliche Distanzierung von den terroristischen Gräueltaten erfolgt, die die Hamas“ begangen habe. Die Einladung richtete sich an die Landesvorsitzenden des Zentralrats der Muslime, der Islamischen Kulturzentren, der IGMG und der Ditib. In einer  gemeinsamen Erklärung mit der Landesregierung hieß es nach dem Treffen, das Gespräch habe in konstruktiver und offener Atmosphäre statgefunden. Es bestehe Einigkeit, dass „die Gräueltaten der Hamas gegen die israelische Bevölkerung uneingeschränkt zu verurteilen und die Geiseln von der Hamas unverzüglich freizulassen sind.“ Die Ditib hatte sich angesichts der Einladung zuvor allerdings beleidigt gezeigt. Dadurch sei suggeriert worden, dass „die islamischen Religions­gemeinschaften erst zu einer richtigen Positionierung ermahnt werden“ müssten. Das zu suggerieren war der Ditib freilich ganz alleine gelungen.