In mehreren Bundesländern gab es Razzien bei Antifaschisten

Beweislage dünn, Repressionswille groß

Anfang November kam es in mehreren Bundesländern zu Haus­durch­suchungen bei Teilnehmern eines Protests gegen Rechtsextreme am 1. Mai im thüringischen Gera. Anti­faschisten sprechen von einem Einschüchterungsversuch.

Anfang November durchsuchte die Polizei in einem großangelegten Einsatz in Thüringen, Sachsen und anderen Bundesländern mehrere Objekte im Zusammenhang mit einer antifaschistischen Demonstration am 1. Mai in Gera. Mehrere Hundert Antifaschisten demons­trierten damals gegen eine rechtsextreme Demonstration von »Aufbruch für Gera«. Die Polizei bremste den antifaschistischen Demonstrationszug und setzte dabei Schlagstöcke und Tränengas ein. Einige der Demonstranten wurden eingekesselt, ihre Personalien aufgenommen.

36 nunmehr Beschuldigten wird vorgeworfen, einen Durchbruch zur rechtsextremen Demonstration versucht zu haben. Gegen sie wird unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Der Staatsanwaltschaft Gera zufolge wurden Laptops, Funkgeräte, Smartphones und andere elektronische Datenträger sowie eine scharfe Schusswaffe sichergestellt. Zu Festnahmen kam es nicht.

Viele Medien wie zum Beispiel der MDR berichteten, dass es am 1. Mai in Gera »aus dem linken Lager heraus zu aggressiven Ausschreitungen gegen die Polizei gekommen sein« soll und die »Demo-Teilnehmer« dabei »mit Stangen, Steinen, Flaschen und Bengalos auf eingesetzte Polizisten losgegangen« seien.

»Wir haben eine grundlegend friedliche Demonstration erlebt.« Madeleine Henfling, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im thüringischen Landtag

Madeleine Henfling, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im thüringischen Landtag, bestreitet diese Darstellung. Sie sei selbst als parlamentarische Beobachterin in Gera gewesen, sagte sie der Jungle World, und »anders als teilweise berichtet wurde, haben wir eine grundlegend friedliche Demonstration erlebt – auch im Moment des vermeintlichen Durchbruchsversuchs«. Angriffe mit Flaschen, Stangen oder Bengalos, welche die Polizei als Begründung für die Durchsuchungen anführte, habe sie nicht beobachtet.

Diese Behauptung habe die Polizei bereits »als unbelegt« zurückziehen müssen, sagte auch die Landesvorsitzende der Jusos in Thüringen, Melissa Butt, der Jungle World. Laut MDR hatte ein Polizeisprecher nach der Durchsuchung mitgeteilt, die Vorwürfe würden noch untersucht. »Es sieht alles sehr willkürlich aus«, meint Butt.

Sie selbst habe an der Demonstration in Gera teilgenommen »und war eher durch Zufall nicht in dem vorderen Teil und damit nicht im Kessel«, beschreibt die Jungsozialistin die Situation am 1. Mai. »Bei allem, was irgendwie links gelabelt werden könnte, tritt die Polizei immer deutlich aggressiver auf«, so Butt weiter, »dann sind sie eigentlich immer in Vollmontur anzutreffen, mit Helmen auf dem Kopf und Handschuhen an«. Die Polizeileitung sowie das Ordnungsamt hätten den Protestzug in eine Sackgasse geführt und über eine Stunde in dieser Situation verharren lassen, »ohne eine sichtbare Idee, wie es von da an weitergehen soll«. Sie bewertet den Einsatz als »völlig unverhältnismäßig«.

Das bestätigt auch die Landtagsabgeordnete Henfling: »Stundenlang war die Versammlung eingekesselt und der Zugang zu menschlichen Grundbedürfnissen eingeschränkt«. Im Nachhinein sei klar geworden, »dass mangelhafte Kommunikation, Routenänderungen und unklare Polizeitaktik zur Verwirrung und Missverständnissen aller Akteure beigetragen haben«.

Nach dem entgleisten Polizeieinsatz wurde von Seiten des Innenministeriums sowie der Polizeiführung Aufklärung versprochen. Es solle unter anderem geklärt werden, wie es zu dem stundenlangen Polizeikessel kommen konnte. Doch »statt dieser Aufarbeitung kam nun die Repression«, konstatiert Butt. Ihr zufolge können »viele, die regelmäßig auf Demonstrationen unterwegs sind, ein langes Lied darüber singen, wie die Polizei mit linkem Protest umgeht«. Im Gegensatz dazu werden »rechte Demonstrationen geschützt« und können »ungestört laufen«. In einer Stadt, die schon vor Jahren weitestgehend der AfD überlassen wurde, scheine es »der Polizei um die Zerschlagung von antifaschistischen Protesten zu gehen«.

Dissens, eine Antifa-Gruppe aus der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, sagte der Jungle World, die Staatsanwaltschaft Gera »sei für ihre unlau­teren Mittel gegen antifaschistische Strukturen bekannt«. Insbesondere der Staatsanwalt Martin Zschächner habe sich dabei hervorgetan. So beantragte dieser »in Verfahren Schädelvermessungen, um vermeintliche Vermummungen festzustellen, leitete Struktur­ermittlungsverfahren gegen Antifas in Saalfeld und gegen das ›Zentrum für politische Schönheit‹ ein«. Erst als zu­tage kam, dass Zschächner Geld an die AfD gespendet hatte, wurde er 2019 aus der Staatsschutzabteilung versetzt, die für politische Fälle zuständig ist.

Die derzeitigen konzertierten Repressionsmaßnahmen zielten darauf, antifaschistische Mobilisierungen nicht nur in Thüringen einzudämmen. Gleichzeitig versage die thüringische Justiz »in beeindruckender Regelmäßigkeit bei der Verfolgung von neonazistischen Strukturen«. Hinzu komme, so Charlotte Marx, Pressesprecherin von Dissens, weiter, »ein politischer Verfolgungswille, der sich auch in solchen Dingen wie dem Untersuchungsausschuss zu politisch motivierter Gewalt im Thüringer Landtag zeigt«. Eingesetzt von der CDU-Fraktion, unter dem Applaus der AfD, sollen im Ausschuss die Existenz vermeintlicher »linksextremer Terror­zellen« belegt werden. Bisher erfolglos, allerdings versucht die AfD auf diesem Wege, Akten zu laufenden Ermittlungen zu beantragen, etwa zu Brandanschlägen auf Immobilien der rechts­extremen Szene.

Auch Henfling kann die derzeitige Prioritätensetzung der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen »angesichts einer Welle rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie der Akti­vität rechter Netzwerke«. Vor diesem Hintergrund wirke die großflächige Durchsuchungsaktion überzogen.

»Man kämpft nicht mit Antisemiten gegen den Faschismus.« Die Gruppe »Antifaschistische Linke Esa« zur Begründunng, warum sie die geplante Demo in Eisenach absagte

Dass die Sicherheitsbehörden trotz Kessel, stundenlanger Beweissicherung und einem öffentlichen Aufruf, Videomaterial zur Verfügung zu stellen, ein halbes Jahr später und mit fadenscheinigen Begründungen bundesweit Wohnungen durchsuchen, zeigt aus Sicht der Erfurter Antifaschisten von Dissens zwei Dinge: »Die Beweislage ist dünn und der Repressionswille groß.« Die Durchsuchungen seien deshalb als Einschüchterungsversuch gegen radikale Linke zu betrachten. Nicht von ungefähr hätten sie nur knapp zwei Wochen vor einer geplanten Demonstration in Eisenach stattgefunden.

Eigentlich hätte die antifaschistische Demonstration in Eisenach am vergangenen Samstag stattfinden sollen, wurde dann aber kurz vorher abgesagt. Hintergrund war Streit um die Beteiligung der autoritär-kommunistischen Gruppe Young Struggle, die seit einiger Zeit auch in Leipzig in Erscheinung tritt. Sie hatte angekündigt, an der Demonstration in Eisenach teilzunehmen.

Die Stadt in Thüringen ist bekannt für ihre aktive und gewalttätige Nazi-Szene. Die geplante Demonstration hatte das Motto »Ihr kriegt uns nicht klein – Rechte Strukturen zerschlagen«. Eine Woche bevor sie stattfinden sollte, hatte die verantwortliche Gruppe »Antifaschistische Linke Esa« mitgeteilt, man wolle sich »deutlich gegen jeden Antisemitismus« positionieren. Deshalb seien Gruppen wie Young Struggle auf der Demonstration nicht willkommen. Weil Young Struggle ankündigte, trotzdem nach Eisenach zu kommen, wurde die Demonstration schlussendlich abgesagt. Die Entscheidung sei ihnen schwergefallen, hieß es in einer Erklärung der Organisatoren, denn die Demonstration sei notwendig und man habe lange da­rauf hingearbeitet. Aber: »Man kämpft nicht mit Antisemiten gegen den Faschismus.«