»New Blue Sun« von André 3000, »Baumgartner« von Paul Auster und »West End Girls« von den Sleaford Mods

Tausend Arschtritte und eine Koloskopie

Popkolumne. André 3000 rappt nicht mehr, der erkrankte Paul Auster macht weiter, Sleaford Mods bleiben groß.
Die Summens Von

Damit hat die Welt nicht gerechnet! Das von Millionen HipHop-Fans seit mehr als zehn Jahren sehnlichst erwartete neue Album von André 3000 ist gar keine Rap-Platte, sondern flächige Flötenmusik im melodischen Fluss, die an Minimalisten wie Steve Reich oder Esoteriker wie Laraaji erinnert. »Worüber soll ich in meinem Alter rappen? Über meine Darmspiegelung?!«, sagt der 48jährige Musiker, der spätestens seit »Hey Ya«, dem Welthit seines HipHop- und P-Funk-Pop-Duos Outkast aus dem Jahr 2003, als absolute ­Prominenz gilt.

Es bereitet durchaus Freude, die empörten Kommentare seiner Fans in den sozialen Medien zu lesen. Die me­ditativ friedlichen Flötentöne auf der EP »New Blue Sun« triggern offenbar nur Hass und stoßen auf Unverständnis. Viele Fans wünschen sich stattdessen ­lieber Raps über seine Darmspiegelung! Wenn sich Idiotie auf Kolos­kopie reimt …

Im typischen Darmspiegelungsalter ist auch der titelgebende Held von Paul Austers neustem Roman »Baum­gartner«. Zehn Jahre nach dem Badeunfall seiner geliebten Frau kämpft er immer noch schwer mit seiner Trauer und seinen Erinnerungen. Erst eine Reihe von Unfällen und ein gespenstisches Telefonat mit der Verstorbenen bewirken, dass der 71jährige sich auf das letzte Kapitel seines Lebens einlässt.

»Baum­gartner« ist ein typischer Auster, der mal eben in surreale Welten abdriftet, von merkwürdigen Zufällen erzählt und autobiographisches Material meisterhaft fiktionalisiert.

Der Kurzroman ist ein typischer Auster, der mal eben in surreale Welten abdriftet, von merkwürdigen Zufällen erzählt und autobiographisches Material meisterhaft fiktionalisiert. Möge der Autor die Anfang des Jahres bei ihm diagnostizierte Krebserkrankung, deren Kenntnis zwischen den Zeilen immer mitschwingt, überstehen!

Überleben müssen die nächsten Monate auch wieder zahllose Obdachlose den kalten Winter. Die britische Wohltätigkeitsorganisation Shelter wird dieses Jahr von den Sleaford Mods unterstützt, die eine ­packende Version des Pet Shop Boys-Hits »West End Girls« aufgenommen haben. Alle Einnahmen gehen an die Organisation.

Mäkelige Fans dürfen sich im Netz gerne darüber auslassen, was nicht schon wieder alles an dieser pünktlich zum Weihnachtsgeschäft lancierten Coverversion falsch ist. Die erst in reiferen Jahren berühmt gewordenen Sleaford Mods bleiben eine verlässliche Größe im internationalen Popzirkus – egal, ob die über 50jährigen rich kids beim Coachella-Festival Leuten in den Arsch treten oder für eine Wohltätigkeitsorganisation die Pet Shop Boys covern.