Trauer, True Crime und die Doku »Echt – Unsere Jugend«

Mit Echt in den Eskapismus

Popkolumne. Die Boyband Echt, der Essay von Daniel Schreiber und ein Soundtrack für das Krimi-Diner.
Die Summens Von

Der schönste Eskapismus ist der verträumte Blick zurück in die eigene Jugend: Noch einmal zum ersten Mal »Twin Peaks« gucken, Björk und Mudhoney hören, Bukowski lesen. Aktuell vergnügen sich aber viele mit der Jugend von anderen: Die Rede ist von der Doku »Echt – Unsere Jugend« – abrufbar in der Mediathek der ARD. Die dreiteilige, vom ehemaligen Frontmann der Teenie-Band Echt, Kim Frank (Jahrgang 1982), liebevoll produzierte Coming-of-Age-Serie ist tatsächlich echt sehenswert, triggert fast vergessene Erinnerungen an die eigene aufregende Jugendzeit zwischen larger than life und traurigem Pickel-Face – auch wenn man kein Junge war.

Die Doku zeigt die Geschichte der als Schülerband gestarteten Echt aus Flensburg, die mit ihrem vom Britpop und Grunge beeinflussten Sound Ende der neunziger Jahre eine gute Alternative zu Eurodance und HipHop in der Bravo- und Viva-Welt waren – und durchaus das Zeug zu mehr gehabt hätten. Aber das spießige Indie­lager hat sie damals eher ignoriert – auch wenn sie am Ende sogar von der Spex gemocht wurden. Die Bilder ihrer eigenen, ständig und überall mit hingeschleppten »Echt-Cam« bieten einen seltenen Blick in eine Zeit, in der noch niemand ein Smartphone besaß.

Pandemie, Klimawandel, der Krieg in der Ukraine, »Diktatoren neuen Schlags« sind nur einige der Indikatoren, die darauf hinweisen, dass eine »Ära der Stabilität« unwiderruflich vorbei ist.

Aus dem kollektiven Unbewussten scheint auch mal wieder das neuste Buch des Journalisten und Kunstkritikers Daniel Schreiber zu stammen. Ausgehend von seiner eigenen Unfähigkeit, nach dem Tod seines Vaters zu trauern, sinniert er in »Die Zeit der Verluste« während eines Stipendienaufenthalts in Venedig über dieses Gefühl – sowohl persönlich als auch politisch.

Pandemie, Klimawandel, der Krieg in der Ukraine, »Diktatoren neuen Schlags« sind nur einige der Indikatoren, die darauf hinweisen, dass eine »Ära der Stabilität« unwiderruflich vorbei ist. Doch »wie lässt sich der Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts ins Auge blicken? Wie einer schwindenden Aussicht auf eine freundliche Zukunft?« Das Essaybändchen liefert ein paar tröstliche Denkansätze.

Doch nochmal zurück in unsere Jugendzeit: True crime, bevor wir den Begriff überhaupt kannten, liefert seit 1968 die von Eduard Zimmermann konzipierte Fernsehsendung »Aktenzeichen XY … ungelöst«. Wer daheim gerne ein Krimi-Diner mit seinen Freund:innen abhält, hat dafür jetzt den perfekten Soundtrack: Denn endlich gibt es den Original-Score von Ernst-August Quelle käuflich zu erwerben.

Im Anschluss empfehlen wir von Reverend Dabelers Frankfurter Jazzrock-Schule »Edition Nr. 1«, die soeben als 10-Inch-Vinyl mit Notenheft erschienen ist. Next-Level-Eskapismus mit Orgel: in eine Schule flüchten, die es nie gegeben hat.