In der russischen Teilrepublik Baschkortostan gab es große Proteste

Rare Rangelei in Russland

Ein Gerichtsurteil gegen einen nationalistischen Umweltschützer löst einen Aufstand weit weg von Moskau in der Republik Baschkortostan aus. Tausende stoßen bei einem Protest mit der Polizei zusammen.

Es waren die größten Proteste seit Kriegsbeginn. Sie fanden in keiner der russischen Metropolen statt, sondern in dem sogar von Ufa, der Hauptstadt der Föderationsrepublik Baschkortostan, weit entfernten Ort Baimak im Ural-Gebirge nahe der Grenze zu Kasachstan. Für den 17. Januar war dort die Urteilsverkündung gegen den wegen Volksverhetzung angeklagten Fail Alsynow angekündigt, einen bekannten Anführer der verbotenen nationalistischen Bewegung Baschkort, die eine große Anhängerschaft in der Titularnation der Republik, den Baschkiren, hat. Sie schaffte es, Tausende auf die Straße zu bringen, um bei minus 20 Grad vor dem Gerichtsgebäude Solidarität mit dem frisch Verurteilten zu bekunden.

Polizeisondereinheiten hatten sich rundherum in Stellung gebracht. Als Alsynows Anwalt per Megaphon das Strafmaß mitteilte – vier Jahre Haft in einer regulären Strafkolonie anstelle, wie von der Anklage gefordert, in einer mit erleichterten Haftbedingungen und Option auf Freigang – reagierte die Menge mit Wut und lauten Sprechchören von »Freiheit!« und »Die Kraft liegt in der Einheit«. Die Versammelten versuchten, den Abtransport Alsynows zu verhindern, die Ordnungskräfte reagierten darauf mit Tränengas, Blendgranaten und Schlagstöcken. Bis in den Nachmittag hinein dauerten die Auseinandersetzungen, es soll Dutzende Verletzte gegeben haben.

Der in Ufa wohnende Alsynow hatte sich nach seinem Geschichtsstudium einer baschkirisch-nationalistischen Organisation mit dem klingenden Namen Kuk bure (»Himmelswolf«) angeschlossen, die sich für die Förderung der baschkirischen Sprache einsetzte, aber auch handgreifliche Auseinandersetzungen mit russischen Nationalisten und jungen gewalttätigen Männern aus dem Kaukasus austrug. Vor knapp zehn Jahren gründeten er und Ruslan Gabbasow mit Baschkort die mittlerweile bedeutendste oppositionelle Kraft in der Republik. Ihre Kernforderungen beziehen sich auf die Stärkung der baschkirischen Sprache, mehr Autonomie, Nationalitätenquoten für die Zusammensetzung der baschkirischen Regierung und die Nationalisierung der profitablen Bergbauindustrie, deren Gewinne größtenteils an russische Unternehmen in anderen Regionen fließen.

Das Erfolgsrezept der Bewegung ist simpel, lässt sich aber nicht beliebig auf andere Regionen übertragen. Die Botschaften von Baschkort richteten sich vor allem an das jüngere Drittel der baschkirischen Bevölkerung.

Das Erfolgsrezept der Bewegung ist simpel, lässt sich aber nicht beliebig auf andere Regionen übertragen. Die Botschaften von Baschkort richteten sich vor allem an das jüngere Drittel der baschkirischen Bevölkerung, insbesondere an jene, die kompakt in ländlichen Gebieten siedeln. Dort existieren horizontale Netzwerke, die den Protest so effektiv machen. Das Putin-Regime mit seiner sogenannten Machtvertikale hat über viele Jahre darauf hingewirkt, solche Netzwerke zu zerstören, nicht zuletzt in Gegenden mit einer relevanten nichtrussischen Bevölkerungsgruppe, auch in Baschkortostan. Trotzdem ist dort der gesellschaftliche Zusammenhalt ausgeprägt, was nicht nur ethnisch-national begründet ist, sondern auch durch eines der wenigen Erfolgserlebnisse basisorientierter Bewegungen der vergangenen Jahre: die Massenproteste am Berg Kuschtau im August 2020.

Damals setzten sich Tausende vehement gegen den von einem großen Chemieunternehmen geplanten Kalksteinabbau auf einem für die Baschkiren bedeutenden Naturdenkmal zur Wehr. Moskauer Geschäftsleute hatten den Zuschlag dafür bekommen und wurden unterstützt von der Republikführung, die letztlich auf das Projekt verzichtete, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Damals gehörte Alsynow zu den Organisatoren und Anführern des Protests.

Es ist wohl auch eine Folge der damaligen Niederlage, dass Radij Chabirow, Oberhaupt der Republik Baschkortostan und ehemaliger einflussreicher Kreml-Beamter, das jetzige Strafverfahren gegen Alsynow im vergangenen Sommer persönlich mit einer Anzeige in Gang gebracht hat. Als Anlass diente eine Kundgebung in der Region Baimak, die sich gegen einen geplanten Tagebau zur Goldgewinnung richtete, der erhebliche Umweltschäden mit sich bringen könnte. Als bekanntester Redner führte Alsynow dort aus, dass keine echten Wahlen mehr stattfänden, den Baschkiren ihr Land und ihre Sprache streitig gemacht würden und »unsere Jungs« ihr Leben in der Ukraine verlören, anstatt ihr eigenes Land zu schützen. Vor Gericht ging es allerdings darum, dass der Angeklagte gegen Arbeitsmigranten aus Zentralasien gehetzt habe; die Verteidigung sprach von einem Missverständnis aufgrund einer falschen Übersetzung aus dem Baschkirischen.

Der andauernde russische Krieg gegen die Ukraine trägt zu einer Radikalisierung bei, auch von nationalistischen Gruppen.

Chabirow hatte die Niederschlagung des Protests in Baimak unter anderem mit der Bekämpfung separatistischer Bestrebungen in Verbindung gebracht. Das allerdings stellt eine gezielte Übertreibung dar und dient eher der Diffamierung. Er beschuldigte Alsynow und den im litauischen Asyl lebenden Gabbasow, sie hätten zum Partisanenkrieg und zur Abspaltung von Russland aufgerufen. Da Baschkortostan komplett von anderen zu Russland gehörenden Regionen umgeben ist, ließe sich eine solche Intention schwerlich in die Praxis umsetzen. Dazu kommt, dass die bisherigen Proteste in Baschkortostan von einer politisch eher indifferenten Menge getragen werden, die sich mehr für das interessiert, was ihre unmittelbaren Lebensumstände beeinflusst, als für einen Umbau des Staatswesens.

Der andauernde russische Krieg gegen die Ukraine trägt allerdings zu einer Radikalisierung bei, auch von nationalistischen Gruppen. Baschkortostan gehört zu den Regionen mit der höchsten Zahl an beim Fronteinsatz ums Leben gekommenen Soldaten. Vorige Woche häuften sich in baschkirischen Telegram-Kanälen Aufrufe, sich am Krieg nicht zu beteiligen. Der Staat reagierte wie immer – mit Repression. Wegen Organisierung und Teilnahme an Massenunruhen und Widerstand gegen die Staatsgewalt laufen bereits Strafermittlungen gegen eine Person, weitere Festnahmen sind zu erwarten. Staatliche Fernsehkanäle berichteten nur ganz am Rande oder gar nicht über die Vorfälle. Damit lässt sich die Situation zwar vorerst unter Kontrolle bringen, Gründe für weitere Proteste nehmen indes zu.