Freitag, 24.02.2017 / 08:42 Uhr

Analytische Fake News

Von
Jörn Schulz

Wer sich bei Facebook herumtreibt, hat vermutlich schon etwas vom „Ordnungsversuch für die deutsche Medienlandschaft“ gehört, den der fake think tank polisphere veröffentlicht hat. Dass dort gedacht wird, erscheint als eine allzu wagemutige Behauptung, für die keinerlei Belege vorliegen. Beim Kopieren des US-amerikanischen Originals hat man sich nicht viel Mühe gemacht, die Bewertungen wurden meist übersetzt, und das nicht einmal besonders gut, denn „bias“ ist eher „Voreingenommenheit“ als eine neutrale „Ansicht“ und „in-depth“ steht im Nachrichtengeschäft eher für „detailliert“ und „gründlich recherchiert“ als für „tiefgründig“ („von Gedankentiefe zeugend; zum Wesen von etwas vordringend, es erfassend“, so der Duden). So kann die Wirtschaftswoche sicherlich als solides wirtschaftsliberales, schwerlich aber als sich durch Gedankentiefe auszeichnendes Medium gelten. Aber immerhin haben die tiefgründigen Denker beim Googeln offenbar gemerkt, dass „eindringlich“ nicht passt, dann nimmt man halt die nächste angebotene Übersetzung. Da fragt man sich natürlich, ob aus „questionable journalistic value“ mit Absicht „fragwürdige journalistische Werte“, aus dem Gebrauchswert des Mediums also ein Urteil über die Moral der Journalisten, geworden ist.

Nicht, dass es keine Eigenleistung gäbe. Man hat die Kategorie des „Altherren-Journalismus“ eingeführt, und der alte Herr ist zwar rechts, aber der einzige, der sich eindeutig, so er bei Cicero arbeitet, zur Komplexität erhebt. Aber kann ein Magazin mit dem Namen Cicero anders als tiefgründig sein? Cicero allerdings sagte: „Greise, die besonnen und weder grämlich noch unfreundlich sind, haben ein erträgliches Alter, Schroffheit aber und Unfreundlichkeit machen jedes Alter lästig.“ Vor allem für andere, was man bei der Cicero-Lektüre nicht selten spürt. Zudem drängt auch die Achse des Guten in diese Kategorie, doch kann man Leuten wie Henryk M. Broder sicher viel vorwerfen, aber nicht, dass sie vielschichtig und differenziert sind. Vielleicht hätte die Jungle World von Anfang an eine bessere Bewertung bekommen, wenn sie Epikur hieße.

Immerhin hat man für uns nun in der zweiten Version eine neue Kategorie erfunden: „Linke Weltverbesserer“. Jetzt sind wir komplexer als die Achse des Guten. Ätsch, Henryk! Aber wir laufen noch immer etwa zur Hälfte unter „Linke Verschwörungstheorien & Fake News“. Wir könnten jetzt beleidigt sein und den Anwalt anrufen, doch das hieße, diese PR-Stümperei, die jeder mit rudimentären Layout-Kenntnissen in einer Stunde zusammenbasteln kann, für satisfaktionsfähig zu erklären. Aber es besteht die Gefahr, dass einige naive Gemüter sie ernst nehmen. Im Dienste der Aufklärung scheue ich an sich keine Mühe, da mir aber manchmal die Worte fehlen, werde ich jetzt in Anlehnung an das von polisphere angewendete Verfahren „eine Einordnung mit Hilfe der Schwarmintelligenz vornehmen“.

Aber ich werde nicht den üblichen Fehler machen, der auf dem Irrtum beruht, dass, wenn zwei Menschen mit einem IQ von 120 gemeinsam etwas tun, ihr Werk dann einen IQ von 240 hat. Und hierzulande gilt bekanntlich: “Zehn Deutsche sind dümmer als fünf Deutsche.” Also frage ich lieber die Intelligenz, die mich und andere Menschen, die sie nicht verscheuchen, umschwärmt. Ich führe häufig Dialoge mit ihr, doch obwohl wir weiterhin gute Freunde sind, ist sie in letzter Zeit etwas unruhig, häufig wirkt sie depressiv. Vielleicht sollte ich mich erstmal nach ihrem Befinden erkundigen.

„Hey, Intelligenz, wie geht’s denn so.“

„Das weißt du ganz genau. Leicht hatte ich es nie, aber in letzter Zeit… Aus dem Weißen Haus haben sie mich gerade vertrieben, darüber haben wir uns doch oft genug unterhalten, und in Frankreich hassen sie mich auch. Ich fühle mich wie ein Dinosaurier nach dem Asteroideneinschlag.“

„Hmm ja, aber umso wichtiger ist doch zu versuchen, das Schlimmste…“

„Ja, ja, schon gut. Was ist es diesmal? Polisphere. Soso. Hm. Also, zunächst möchte ich betonen, dass ich mit dem Lobbyismus-, Networking- und Consulting-Geschäft nichts zu tun habe. Man braucht mich dort nicht. Ja, meinen Namen nennt man hin und wieder, aber wenn ich dort mal herumschwärme, bemerkt man mich gar nicht. Hier zum Beispiel: ‚Deutlich wurde noch einmal, dass es stark vom persönlichen Standpunkt abhängt, ob man unsere Perspektive teilt.‘ Ja, wer hätte das gedacht. Und dann: ‚Hier bleibt also noch viel Raum für die eine oder andere Dissertation.‘ Anmaßung ist wirklich noch milde ausgedrückt für die Behauptung, man habe da eine Grundlage für Dissertationen geschaffen.“

„Ich bemerke, dass du in letzter Zeit immer emotionaler wirst. Solltest nicht gerade du als Intelligenz…”

„Wenn es um meine Existenz geht, werde ich doch wohl das Recht haben, auch mal sauer zu werden. Also, diese fake news-Angelegenheit ist eine ernste Sache. Früher hat man gelogen, wenn man geglaubt hat, niemand könne es einem beweisen. Heute lügt man einfach weiter, nachdem man überführt worden ist. Und hat damit Erfolg. Wenn man etwas dagegen unternehmen will, ist eine gewisse Sorgfalt angebracht. So, und nun schauen wir uns die Sache nochmal grundsätzlich an, ich bin ja nicht hier, um Werbung für deine Zeitung zu machen. Also, das Problem fängt schon beim Original an, das zwar etwas seriöser ist, sich aber einer sachlich nicht haltbaren Konstruktion bedient.“

„Du meinst die imaginäre, angeblich neutrale Mitte?“

„Unter anderem. Der Mainstream ist auch Partei, Mitte kann so etwas wie einen Konsens der Mehrheit bezeichnen, aber der ist natürlich nicht neutral. Und nicht immer seriös. Du ahnst sicherlich, wie wenige Mainstream-Wirtschaftsjournalisten sich in den Jahren 2007/2008 mit mir unterhalten haben, und danach ist es nicht besser geworden. Für die Beurteilung der Qualität eines Mediums sollten Kriterien wie Seriösität der Recherche und des Umgangs mit Quellen, Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Standpunkts – also, ich will das jetzt nicht alles aufzählen, jedenfalls ist es keine Frage des politischen Standpunkts. Es gibt natürlich Grenzen. Konservative und Linke können hochwertigen Qualitätsjournalismus machen, Faschisten und Stalinisten nicht. Das liegt daran, dass…“

„Hey, ich muss bald los in die Kneipe. Verschieben wir das auf ein anderes Mal.“

„Einverstanden. Kommen wir zur Y-Achse. Was, bitteschön, sollen analytische Verschwörungstheorien und fake news sein? Eine Verschwörungstheorie oder eine Falschmeldung erfüllt hohe Standards? Na, herzlichen Glückwunsch! Ein verständiger Mensch, dem das vorgelegt wird, kann da gar keine Einordnung vornehmen. Davon abgesehen: Glaubst du im Ernst, die Leute, deren Meinung da eingeflossen ist, kennen alle diese Medien tatsächlich?“

„Eher wohl nicht.“

„Eben. Und was ist von einer Einordnung zu halten, die bestenfalls auf Halbwissen beruht? War eine rhetorische Frage. Wenn du nicht schon unruhig herumrutschen würdest, weil du in die Kneipe willst, hätte ich zum Thema Schwarmintelligenz noch einiges zu sagen. In Kürze nur so viel: Ich habe damit nichts zu tun.“

„Vielen Dank für das Gespräch.“