Donnerstag, 02.02.2017 / 17:02 Uhr

Trumpology: “Better to get your news directly from the president"

Von
Jörn Schulz

Trumpology? In der Zeit des Kalten Krieges waren die Pläne, aber auch die Machtstrukturen der sowjetischen Führung ein gut gehütetes Geheimnis. Die sowjetischen Medien folgten eher einem no news- als einem fake news-Konzept, waren aber für die politische Analyse nicht sehr ergiebig, sofern man auf die übliche Weise nach Informationen suchte. Deshalb enstand die Kremlinology, die durchaus Erkenntnisse bringen konnte. Es ging unter anderem um Feinheiten der Formulierung (erhielt ein Funktionär den ihm zustehenden lang anhaltenden, nicht endend wollenden Applaus, oder nur einen lang anhaltenden Applaus?), Fragen des Ranges (wie an barocken Fürstenhöfen war in der Sowjetbürokratie die Frage der Sitzordnung von eminenter Bedeutung) und versteckte Hinweise (beispielsweise veranstalteten in den achtziger Jahren DDR-Nuklearbetriebe viele Unterhaltungsevents, dies konnte als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Atomdebatte drüben angekommen war).

Die USA haben immer noch die besten Medien der Welt, eben deshalb will Trump sie aus dem Meinungsbildungsprozess ausschalten, soweit es ihm möglich ist.

Die USA haben immer noch die besten Medien der Welt, eben deshalb will Trump sie aus dem Meinungsbildungsprozess ausschalten, soweit es ihm möglich ist. “Better to get your news directly from the president. In fact, it might be the only way to get the unvarnished truth”, empfiehlt Lamar Smith, Vorsitzender des Wissenschaftskomitees des Repräsentantenhauses. “The media should be embarrassed and humiliated and keep its mouth shut and just listen for awhile“, fordert Steve Bannon.

Trumps Twitter-Botschaften sind im Vergleich zu den Reden von KPdSU-Generalsekretären von erfrischender Kürze („Damned Trotskyists tryin’ to kill me. Me, greatest job creator ever. All saboteurs, spies & liars. So sad. Have to get rid of them. Bang Bang. #comrademauserworking“, hätte Stalin, ein Pionier der fake news, wohl getwittert), aber ebenso alternative truth, und während man bei hohen sowjetischen Funktionären wenigstens wusste, wie und warum sie ihren Posten bekommen hatten, geben Team Trump und seine Funktionsweise noch viele Rätsel auf.

Die Trumpology muss sich natürlich zum Teil anderer Methoden bedienen als die Kremlinology. Sprachliche Feinheiten haben überraschenderweise hin und wieder Bedeutung, etwa wenn Trump sagt, Mexiko werde die Mauer eventuell indirekt bezahlen. Fragen der Rang- und Sitzordnung sind in Trumps Weißem Haus wichtig, die Kriterien der Interpretation sind aber noch unklar. Geheimnisvoll sind vor allem die Machtstrukturen, etwa die Bedeutung solcher Berater wie Bannon oder der Einfluss der Minister, etwa von Verteidigunsgminister James „Mad Dog“ Mattis, dem wohl einzigen Intellektuellen im Kabinett.

Was ein rechtsextremer Hetzer wie Bannon will, ist nicht schwer zu ergründen. Was aber erhoffen sich nicht eben sympathische, aber wenigstens in ihrem Fachbereich kompetente Leute wie Rex Tillerson von eine Regierungsteilhabe, die ihnen in der Geschichtsschreibung bestenfalls die milde Benotung eintragen kann, sie wären wie Schlafwandler in etwas hineingestolpert, dessen Folgen sie nicht hätten absehen können? Man kann es ja nicht oft genug wiederholen: Wenn die Rechten sich von ihrer ökonomischen Vernunft, also der Bindung an Kapitalinteressen, verabschieden, ist das im höchsten Grade alarmierend. Die „Pragmatiker“ glauben wohl tatsächlich, sie könnten Trump einhegen und für ihre Zwecke nutzen. Trump braucht sie, weiß aber, dass das republikanische Establishment seine Partei gern zurückgewinnen möchte. Wer wird wessen nützlicher Idiot sein?

Wenngleich nicht so kultiviert wie die Corleones, nutzt Trump aus der organisierten Kriminalität bekannte Methoden des Personalmanagements und bedient sich diverser Formen der feudalen Intrige, wie „Game of Thrones“ sie derzeit einem größeren Publikum bekannt macht.

Hilfreich ist hier das Profiling. Die Taten von Serienmördern mögen Außenstehenden irrational erscheinen, gehorchen aber einer eigenen Logik. So ist es auch bei Trump. Wenngleich nicht so kultiviert wie die Corleones, nutzt er zudem aus der organisierten Kriminalität bekannte Methoden des Personalmanagements und bedient sich diverser Formen der feudalen Intrige, wie „Game of Thrones“ sie derzeit wieder einem größeren Publikum bekannt macht (es liegt nahe, ihn mit Ramsay Bolton oder Joffrey Baratheon zu identifizieren, es gibt aber auch Parallelen zu Tywin Lannister).

Sicher ist, dass es an Trumps Hof zwei Lager gibt, Trumpisten, also direkt dem Präsidenten verbundene Mitarbeiter, und republikanisches Establishment, denen sich alle ohne feste Zugehörigkeit zuordnen müssen. Ein Bündnis von rechtsextremen Ideologen und pragmatischen Reaktionären, das nicht ewig halten kann, zumal Machtkämpfe innerhalb der Lager die Situation verschärfen.

Leute wie Scott Pruitt wissen, dass Trump die USA ruinieren wird, wenn er alle seine Ziele durchsetzen kann. Vermutlich planen sie, ihn abzuservieren, sobald Deregulierung, Privatisierung und Sozialabbau bewältigt sowie die midterm elections 2018 gewonnen sind. Das Material für ein Impeachment zu finden, ist kein Problem: Betrug an der „Trump University“, conflict of interest wegen der Fortführung seiner Geschäfte durch Familienmitglieder, die auch an der Regierung beteilgt sind, Mafiakontakte… Doch selbst wenn beispielweise eindeutig bewiesen werden kann, dass Trump Geld für die russische Mafia gewaschen hat, werden viele seiner Anhänger das nicht glauben. Das Impeachment wird die Partei spalten. Um den Schaden möglichst gering zu halten, muss der richtige Moment abgewartet und das Impeachment-Verfahren spektakulär werden. Unternimmt man aber nichts, muss das Establishment damit rechnen, dass Trump nach dem Vorbild der Tea Party die Vorherrschaft über die Partei gewinnt und festigt.

Trump kann durch Mobilisierung seiner Basis genehme Kandidaten für die midterm elections durchsetzen und republikanische Dissidenten strafen. Er weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das republikanische Establishment sich gegen ihn wendet. Er muss also seine Gefolgschaft bei Laune halten und alle anderen Mittel nutzen, um möglichst viele Republikaner in ein Abhängigkeitsverhältnis bringen.

In diesem Lichte sollten seine Dekrete und Tweets betrachtet werden. Sie dienen nicht allein dem offiziellen Zweck, sondern sind auch Mittel der Machtsicherung. So ergibt auch scheinbar Irrationales Sinn. Dass die Menschenmenge bei seiner Amtseinführung größer gewesen sein muss als bei Obama, mag ein narzisstischer Tick Trumps sein. Seinen Pressesprecher Sean Spicer diese dreiste Lüge vertreten zu lassen, war aber auch ein Loyalitätstest (“if you want to ascertain if someone is truly loyal to you, ask them to do something outrageous or stupid.”) und ein Initiationsritus (“by requiring subordinates to speak untruths, a leader can undercut their independent standing, including their standing with the public, with the media and with other members of the administration.”).

Wenn Sie „Game of Thrones“ kennen, erinnern Sie sich vielleicht an die Szenen, in denen Joffrey seinen Onkel Tyrion erniedrigt – ein Loyalitätstest und auch ein Mittel, Tyrions independent standing zu unterminieren. Joffrey hat da seinen Spaß, man mag darüber rätseln, ob er die politische Dimension begreift. Trump begreift sie zweifellos, und er kann solche Tricks gezielter einsetzen. Lassen wir die derzeit viel diskutierte Frage, ob Trumps psychische Verfassung politisch relevant ist, hier einmal beiseite. Wenn man Spaß an solchen Spielen hat, geht die Arbeit sicher leichter von der Hand, und Trump scheint sich recht gut zu amüsieren. Entscheidend ist aber, dass sie für den Machterhalt essentiell sind.

In größerem Ausmaß gilt das auch für den travel ban. Er bleibt unterhalb der Schwelle, die ernsthafte politische und ökonomische Folgen für die USA hätte. Betroffen sind etwa 200 Millionen Muslime (und einige Millionen Nichtmuslime, vor allem Christen, aber auch Juden und Bahai), denen gemeinsam ist, dass ihre Regierungen, sofern sie überhaupt ihr Land kontrollieren, diplomatisch nichts zu melden haben und ihre Staaten ökonomisch irrelevant für die USA (und Trumps Geschäfte) sind. Hielte man solche Einreiseverbote tatsächlich für ein Mittel der Terrorbekämpfung, müssten auch Saudi-Arabien, Pakistan und andere Länder auf der Liste stehen.

  Der travel ban ist zunächst eine (kurzfristig betrachtet) kostengünstige Maßnahme zur Befriedigung der rassistischen Ressentiments.

Zunächst handelt es sich also um eine (kurzfristig betrachtet) kostengünstige Maßnahme zur Befriedigung der rassistischen Ressentiments der Gefolgschaft Trumps, die entweder nicht weiß, dass überwiegend saudische Terroristen für 9/11 verantwortlich waren und die Boston-Attentäter aus Russland kamen, oder der solche Details egal sind. Vor allem aber war es ein Loyalitätstest in größerem Ausmaß, zumal die Maßnahme rechtlich fragwürdig ist. Jeder, der es besser weiß, musste zumindest schweigen. Trump konnte so die Loyalität eines beachtlichen Teils des Staatsapparats testen und die Demokraten aus der Reserve locken. Wer sich widersetzte, wie Sally Yates, Attorney General für die Übergangszeit, wurde gefeuert.

Der travel ban war aber auch ein Initiationsritus. Yates Argumentation, dass die Maßnahme im Licht der Äußerungen Trumps als diskriminierend und daher verfassungswidrig zu werten ist, ist schlüssig. Juristisch eindeutig ist die Sachlage aber nicht. Andererseits war der travel ban, der vermutlich nicht aus Inkompetenz, sondern in voller Absicht chaotisch vollstreckt wurde, offenkundig antihumanitär und ungerecht für viele unschuldige Betroffene. Diesmal genügte es noch, mit dem Präsidenten an die Grenzen des Legalen zu gehen und einen Fünfjährigen vier Stunden zu internieren – Spicer verteidigte dies: “To assume that just because of someone’s age and gender that they don’t pose a threat would be misguided and wrong.” Mit dem Gehorsam kann Trump insgesamt zufrieden sein. Nächstes Mal wird er vielleicht mehr verlangen.