Samstag, 20.05.2017 / 21:14 Uhr

Geänderte Regeln im Syrienkrieg?

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Mit dem Islamischen Staat (IS) im Irak und Syrien geht es rapide bergab: In Mosul kontrollieren die Jihadisten gerade noch ein Stadtviertel und auch in ihrer „Hauptstadt“ Raqqa werden sie von Milizen der Syrisch Demokratischen Front (SDF), die von der kurdischen YPG angeführt und vom US-Militär unterstützt werden, schwer bedrängt. Der IS befindet sich, trotz aller Gegenwehr, auf dem Rückzug (auch wenn er keinswegs verschwinden wird) und längst denken alle Akteure an die Zeit danach. Ob Iran, Assad, Hizbollah, Türkei, Freie Syrische Armee, Islamisten und ihre Unterstützer: Jeder will sich größtmögliche Vorteile sichern. Der Iran träumt von einem Landkorridor ans Meer, auch die syrische Schwesterpartei der PKK, die PYD spricht von einem Plan, ebenfalls ans Mittelmeer zu kommen. Das wiederum will die Türkei mit allen Mitteln verhindern. Zugleich versuchen Saudi Arabien, Jordanien und auch Israel, den Iran und seine Verbündeten aufzuhalten, indem sie ihnen wohl gesonnene syrische Rebellen unterstützen.

Bislang hielten die USA sich unter die von Obama ausgegebene Devise, dass man in Syrien einzig den Islamischen Staat bekämpfe. Konfrontationen mit der syrischen Armee, der Hizbollah, schiitischen Milizen und der russischen Luftwaffe ging das US-Militär bewusst aus dem Weg, ja koordinierte seine Einsätze sogar mit Moskau. Das ging solange gut, wie der IS große Teile Syriens und des Irak kontrollierte. In den vergangenen Monaten rückten von den USA ausgerüstete Milizen der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen den IS an der syrisch-jordanischen Grenze vor. Unterstützt werden sie dabei von US-Spezialeinheiten und wohl auch der jordanischen Armee.

Kürzlich eroberten sie die Kleinstadt An Tanf und bauten dort ein Militärlager aus. Nur: An Tanf liegt an der strategisch wichtigen Hauptstraße zwischen Bagdad und Damaskus, die zu sichern ein Hauptanliegen des Iran und seiner Alliierten ist, denn kontrollieren sie diese Straße, können sie auf dem Landweg Nachschub an Assad und die Hizbollah liefern. Die Zukunft Syriens wird nämlich vor allem davon abhängen, wer nach dem Ende des IS die Grenzen zum Irak kontrolliert.

Im Norden ist die von den USA unterstützte PYD, die in den vergangenen Wochen das von ihr kontrollierte Gebiet immer weiter ausdehnen konnte. Schon sehen sich die Iraner gezwungen den von ihnen anvisierten Landkorridor zwischen dem Iran und Syrien weiter nach Süden zu verlegen. Und aus dem Süden nun rückt die FSA, ein weiterer Verbündeter der USA vor. In Washington sitzt mittlerweile aber keine Administration mehr, die sehr viel Rücksicht auf iranische Belange nimmt, sondern ganz im Gegenteil den Iran als Hauptproblem im Nahen Osten bezeichnet. Seit Trump einen syrischen Militärflughafen bombardieren ließ, als Vergeltung gegen den erneuten Einsatz von Saringas durch syrische Truppen, ist in Moskau, Teheran und Damaskus klar, dass die Spielregeln in Syrien sich geändert haben. Sollten US-Verbündete nun die wichtigen Grenzübergänge zwischen Syrien und dem Irak unter Kontrolle bringen, würde das die Pläne des Iran nachhaltig durchkreuzen.

 

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Syrien im Mai 2017 (Rot: Unter Kontrolle des Regimes und des Iran, Grün: FSA und andere Rebellen, Gelb: PYD, Schwarz: IS)

 

Also ließ man Einheiten der Hizbollah und syrischer Milizen auf an Tanf vorrücken. In den Worten der staatlichen iranischen Farsnews zielte der Vormarsch darauf, einen „US-Plot“ zu verhindern, auf pro-Assad Seiten hieß es, man kämpfe dort gegen „zionists backed militants“.

Nur reagierte diesmal die US-Airforce:

„Der Sprecher einer vom Pentagon unterstützten Rebellengruppe berichtete am Donnerstag, Kampfflieger der von den USA angeführten Koalition hätten einen Konvoi syrischer und vom Iran unterstützter Milizen angegriffen, der sich auf den Militärstützpunkt in al-Tanf im Süden Syriens zubewegte. Dort sind Spezialstreitkräfte der USA stationiert. Muzahem al Saloum von der Maghawir al Thwra-Gruppe erklärte Reuters gegenüber, die Flieger hätten nach einem Zusammenstoß aufständischer Streitkräfte mit vorrückenden syrischen und iranischen Milizen, die sich 27 Km von dem Stützpunkt entfernt auf der Hauptverbindungsstraße von Damaskus nach Bagdad befunden hätten, angegriffen. ‚Wir meldeten der Koalition, dass wir von der syrischen Armee und Iranern angegriffen würden, und die Koalition kam und zerstörte den vorrückenden Konvoi’, berichtete Saloum.

Said Seif, ein Vertreter der vom Westen unterstützten, aufständischen Shahid Ahmed Abdo-Gruppe, die zur Freien Syrischen Armee gehört, sagte, das Eingreifen der USA werde den Aufständischen dabei helfen, ihr Territorium gegen künftige Einfälle der Armee und der vom Iran unterstützten Milizen zu sichern. Westliche Geheimdienstquellen erklärten Reuters gegenüber, die US-amerikanischen und britischen Spezialeinheiten seien dabei, den Stützpunkt in al-Tanf auszubauen, um die Kämpfer des Islamischen Staats aus der östlichen Provinz Deir Zor zu vertreiben, die sich vom Südosten Syriens in den Irak erstreckt. (Bericht auf ynetnews.com: „US-led coalition attacks Syrian army, Iranian-backed militia“)

Entsprechend heftig verurteilten Russland und die syrische Regierung den Angriff, denn in an Tanf könnten sich die bisherigen ungeschriebenen Regeln des Syrienkrieges nachhaltig ändern. Sollten die USA fortan häufiger auf Seiten der syrischen Rebellen in den Konflikt eingreifen, wäre eine weitere Luftwaffe im Spiel, die durchaus in der Lage ist, den Vormarsch vom Iran gestützter Milizen und Verbände zu stoppen. Plant Washington also, für längere Zeit die Grenzregion zu kontrollieren? Immerhin spricht die Trump-Administration davon, wieder ein engeres Bündnis mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten einzugehen. Sollte dies der Fall sein, werden weitere Zusammenstöße mit iranischen Verbündeten nicht vermeidbar sein.  Ein Konflikt, der sehr schnell weiter eskalieren kann, denn auch im Irak befinden sich schiitische Milizen und US-Truppen in Rufweite. Auf  Dauer wird der Iran zudem die Präsenz amerikanischer Truppen im Irak und Syrien nicht dulden wollen.

An Tanf könnte also der Beginn eines ganz neuen Kapitels des Syrienkrieges gewesen sein und die Zeiten, in denen die USA de facto mit dem Iran kooperierte scheinen damit Geschichte.

Zuerst erschienen auf Mena-Watch