Samstag, 08.02.2020 / 18:09 Uhr

Region in Irakisch Kurdistan beendet weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Von
Hannah Wettig

Nach fünfzehn Jahren Kampagne erklärt eine Region in Irakisch Kurdistan sich für frei von Genitalverstümmelung (FGM)

Bildergebnis für fgm kurdistan

(Ein FGM freies Dorf in Kurdistan, Bild: Judit Neurink)

 

In der irakisch-kurdischen Region Garmian wurde seit über einem Jahr kein einziger Fall mehr bekannt, dass ein Mädchen genital verstümmelt worden sei. Noch vor 15 Jahren lag hier die Rate weiblicher Genitalverstümmelung dort bei 80 Prozent. Das ist ein bemerkenswerter Erfolg der Aufklärungskampagne, die die irakisch-deutsche Organisation Wadi dort seit 15 Jahren bestreitet. Es ist sogar fast einzigartig: 

Am 6. Februar, dem internationalen Tag gegen FGM wurden die positiven Resultate in der Hauptstadt der Region vorgestellt:

“This historic moment will be celebrated on February 6, the world-wide day against FGM, in the capital of Garmiyan,” WADI said in a press statement.

“The whole campaign started in 2004 in Garmiyan and mainly because of hard work and awareness-raising, attitudes there changed,” WADI official Thomas von der Osten-Sacken told Kurdistan 24.

However, he added that in some regions near Erbil and Rania there are still FGM cases being recorded. “Although it is declining everywhere, luckily. Including in Halabja. But this relates [the decline] a lot what is done against it.”

From its offices in Sulaimani, workers from WADI have tirelessly worked with residents, authorities, and religious leaders that have been willing to speak to them. They have also made hundreds of trips to rural areas where FGM is most common to speak to villagers and give classes and presentations to educate women and local officials on the grave emotional trauma and serious health risks it poses.

In vielen Ländern Afrikas versuchen NGOs, manche mit großen UN- oder EU-finanzierten Programmen, seit Jahrzehnten weibliche Genitalverstümmelung zu bekämpfen. In einigen Ländern gibt es nennenswerte Rückgänge, in den meisten recht geringe. Seit Jahrzehnten wird auf Konferenzen diskutiert: Wie schaffen wir es FGM (female genital mutilation) in einer Generation abzuschaffen? Dass es nicht schneller geht, ist jedem klar. Denn es sind oft die Großmütter, die darauf bestehen. Sie müssen vom Gegenteil überzeugt werden, oder es muss eine neue Generation Großmütter eine andere Meinung haben.

Den einzig bekannten und untersuchten Fall einer kompletten Aufgabe der Praxis in rund 20 Jahren gab es bei einem Beduinen-Stamm in Israel.

Gründe für den Erfolg

Zum Erfolg der Frauen-Teams von Wadi haben meines Erachtens drei Dinge beigetragen. Von Anfang an haben die kurdischen Frauen die Führung übernommen. Gemeinsam mit verschiedenen Frauenorganisationen konnte Wadi 2011 die Parlamentarierinnen gewinnen, eine Gesetzvorlage einzubringen, die häusliche Gewalt mit expliziter Nennung von weiblicher Genitalverstümmelung unter Strafe stellt. Es war die erste Gesetzesvorlage, die nicht von der Regierung eingebracht wurde. Als das Parlament dem Gesetzentwurf zustimmte, war somit auch ein wichtiger Schritt in der noch jungen Demokratie genommen.

Dass irakisch-Kurdistan eine junge Demokratie ist mit einer lebendigen Zivilgesellschaft ist sicherlich ein weiterer Grund für den schnellen Erfolg der Aufklärungskampagne. Die Menschen wollen Veränderung. Nach der Befreiung von der Diktatur Saddam Husseins, den Milizen im innerkurdischen Bürgerkrieg, dem Islamismus wollen sie auch die Befreiung der Frau und die Befreiung von der Repression in der Familie.

Gewalttätige Gesellschaften

Wadi hat diese Verbindung unterschiedlicher gesellschaftlicher Themen von Anfang an zusammengedacht – und das ist womöglich der wichtigste Grund für den Erfolg der Kampagne. Die Abschaffung von weiblicher Genitalverstümmelung, Gleichberechtigung von Männer und Frauen, demokratische Mitbestimmung, gewaltfreie Erziehung von Kindern und auch das Bewusstsein, dass man die Natur schützen muss, gehören zusammen. Was das genau bedeutet versuche ich auch in diesem Interview mit Radio Dreyeckland etwas näher zu erläutern. 

Die Gesellschaften im Nahen Osten sind unglaublich gewalttätige Gesellschaften, auch wenn die Kriminalitätsstatistiken niedrig sind. Repressive Folterregime, schlagende Patriarchen, die keine Widerworte erlauben, auch von ihren Söhnen nicht, Ehrenmorde, Prügelstrafen in der Schule, das Quälen von Tieren haben das Leben von Generationen geprägt. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass das alles nicht gut war und aufhören muss. Wenn man all diese Themen gleichzeitig und miteinander verbunden diskutiert, ergibt das für viele Menschen Sinn – viel mehr als wenn man ihnen erzählt, dass weibliche Genitalverstümmelung gesundheitlich schädlich ist.