Mittwoch, 24.11.2021 / 12:59 Uhr

Zeitungssterben im Libanon: Mit dem Daily Star stirbt ein weiteres Stück Freiheit

Von
Hannah Wettig

Bildquelle: Daily Star

Mit dem Daily Star stellt eine wichtige Stimme im Libanon ihr Erscheinen ein. Ein Nachruf.

 

Die letzte Nachricht des libanesischen Daily Star stammt vom 13. Oktober und ist eine „Botschaft an unsere Leser“: „Wir bedauern aufgrund von Bedingungen jenseits unserer Kontrolle das Updaten unserer Website vorübergehend einstellen zu müssen.“ Darunter findet sich der übliche Wahnsinn des Libanon: Die Zahl der Covid-Toten, drei Minister verklagen den Ermittler der Hafenexplosion, weil er gegen sie ermittelt, die USA protestieren, weil die Hisbollah die Bevölkerung mit iranischem Öl versorgt.

Schon seit Monaten konnte der englischsprachige Daily Star keine Gehälter mehr auszahlen. Anfang Oktober erhielten die verbliebenen Reporter die Kündigung. Zuletzt war die Zeitung nur noch Online erschienen mit mehr Agenturmeldungen als eigenen Berichten.

In der größten Wirtschafts-, Flüchtlings- und Gesundheitskrise, die das Land je erlebt hat, scheint der Niedergang des Daily Star nur ein weiteres Opfer. Doch mit ihm stirbt auch ein Stück dessen, was den Libanon in der Region zum Zufluchtsort für Freiheitsliebende macht. Trotz korrupter Regierung, Politikern (und inzwischen auch Politikerinnen) mit eigenen Milizen und syrischem Geheimdienst bleibt die Bevölkerung erstaunlich furchtlos und widerständig. Das liegt insbesondere an einer freien Presse und Verlagshäusern, die drucken, was anderswo zensiert wird.

Grenzen der Freiheit austesten

Der Daily Star gehörte zu diesen Zeitungen, die die Grenzen der Freiheit testeten, wenn auch nie genug, wie die Reporter fanden. Als ich von 2002-2005 dort arbeitete, drängelten mehrere von uns, es der französisch-sprachigen Tageszeitung L’Orient Le Jour gleichzutun und ein Feature über die breitgefächerte LGBT-Szene zu schreiben. „Unsere Leser sind konservativer,“ beschied der Chefredakteur. Er meinte: Es waren darunter mehr Muslime als bei französisch-sprachigen Zeitungen, die von Christen gelesen wurden. Doch riet er mir: „Mach doch etwas über HIV – da kannst Du das alles einbauen. Nur der Titel muss aussehen wie ein Gesundheitsartikel.“ Regelmäßig druckte der Daily Star kritische Kommentare über die islamistische Hisbollah. Verärgerte Anrufe des Hisbollah-Pressechefs führten in der Redaktion zu allgemeiner Heiterkeit. Als allerdings der syrische Geheimdienst einen vermeintlichen Selbstmordattentäter in die Redaktion der größten Beiruter Zeitung An-Nahar schickte (sein Gürtel stellte sich als Attrappe heraus), mussten wir vorsichtiger werden. Eine Reportage über syrische Schmuggler reichte der Chefredakteur vor der Veröffentlichung an die Sicherheitsbehörden weiter, obwohl es keine gesetzliche Zensur gab. Wir mussten die gewünschten Änderungen vornehmen. Als sich die Morde an Politikern und Journalistinnen häuften, erhielten wir ein Training zur Vermeidung von Anschlägen auf unser Leben.

Der Daily Star wurde 1952 von Kamal Mroue als erste englischsprachige Tageszeitung in einem arabischen Land gegründet und schaffte es in den Nullerjahren zum Vertragspartner der International Herald Tribune. Die Mroues sind eine schiitische Familie mit einem Geflecht von Wirtschaftsunternehmen, wirtschaftsliberal, Hisbollah-fern und politisch unabhängig. Jamil Mroue, der Sohn Kamals, gründete 1988 die Londoner Al Hayat, die lange als liberalste arabische Tageszeitung galt. Heute gehört der Daily Star der sunnitischen Hariri-Familie, des früheren Premierministers – von ihren Medien mussten viele inzwischen schließen. Viele Mitarbeiter des Daily Star wechselten nun zu L’Orient Today, der englischsprachigen Ausgabe von L’Orient le Jour, die mehreren Politikern des christlichen Lagers gehört.