Dienstag, 23.08.2022 / 16:06 Uhr

Tunesiens Weg in die Präsidialdiktatur

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Ende der Demokratie? Ausstellung in Tunis 2012, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Aus dem tunesischen Büro der Rosa Luxemburg Stiftung stammt diese Analyse der jüngsten Entwicklungen im Land, die die Autorinnen und Autoren so zusammenfassen:

Es "zeichnet sich bereits jetzt ab, dass das Narrativ des «Leuchtturms der Demokratie» in Nordafrika und der arabischen Welt mit Blick auf Tunesien wohl überholt ist. Umso gravierender ist es, dass bislang keiner politischen Kraft eine Mobilisierung gelungen ist, die dem politischen Projekt Kais Saieds etwas entgegensetzen könnte."

Sie schreiben weiter:

Kais Saied hat Grund zur Freude: sein Verfassungsentwurf, über den Tunesiens Präsident am 25. Juli abstimmen ließ, wurde mit mehr als 94,6 Prozent der Stimmen angenommen. Die niedrige Wahlbeteiligung von nur 30,5 Prozent wurde stillschweigend übergangen, als die Wahlkommission am 16. August die Endergebnisse bekanntgab. Die neue Verfassung sieht eine deutliche Machtverschiebung vom Parlament zum Präsidenten vor. Ehemalige Kompetenzen des Premierministers soll in Zukunft das Staatsoberhaupt ausüben. Kontrollmechanismen gegenüber der Exekutive werden wohl weitgehend abgebaut, NGOs und Opposition befürchten daher ein Abdriften Tunesiens in die Präsidialdiktatur. (...)

Bereits am 4. Juli bezeichnete die Arbeiterpartei den Verfassungsentwurf als «Verfassung der Tyrannei». Der Zusammenschluss Front de salut national, dem auch die islamistische Ennahda-Partei angehört, schloss sich dieser Einschätzung später an. Auch die UGTT kritisierte, der Text sei nicht das Produkt eines wirklichen Dialogs. Trotzdem sprach die mächtige Gewerkschaft im Vorfeld keine Wahlempfehlung aus. Auch die EU äußerte sich nur zurückhaltend über Saieds politisches Projekt: Brüssels Außenbeauftragter Borrell nahm die niedrige Wahlbeteiligung «zur Kenntnis». Deutlicher war US-Außenminister Blinken, der sich besorgt über den Schutz von Grundrechten zeigte. Beide treibt aber die Sorge um, dass Tunesien sich vom Westen weiter entfernt, was wiederum Russland in die Hände spielen würde, das in Afrika erfolgreich an Einfluss gewinnt.

Zwar ist die Besorgnis groß, das gesicherte Wissen über Tunesiens neues politisches System dafür aber umso kleiner. Konkrete Informationen über die Rolle des Parlaments und des Verfassungsgerichts gibt es kaum – auch, weil die neue Verfassung vage bleibt und sich auf Gesetze beruft, welche erst noch verabschiedet werden müssen.