Freitag, 30.12.2022 / 23:02 Uhr

Hochrangiges Treffen zwischen syrischen und türkischen Verteidigungsministern

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Nach dem Regen, Flüchtlingslager in Syrien, Bildquelle: Twitter

Während die Lage in den Flüchtlingslagern immer schlimmer wird, versucht Russland auf einen Ausgleich zwischen der Türkei und Syrien hinzuarbeiten mit dem Ziel, die USA aus dem Norden des Landes zu verdrängen. 

 

Zum ersten Mal seit Jahren trafen sich in Moskau hochrangige Minister aus Syrien und der Türkei. Eingeladen von ihrem russischen Amtskollegen, sprachen, auch in Anwesenheit des türkischen Geheimdienstchefs, die Verteidigungsminister aus Damaskus und Ankara über eine mögliche künftige Kooperation.

Bislang galt die Türkei als prominentester Unterstützer der syrischen Opposition, vor allem islamischer Gruppierungen im Nordwesten des Landes, der sich entweder unter direkter Kontrolle der Türkei befindet oder wo sie, wie in Idlib, indirekt eine maßgebliche Rolle spielt. Zugleich kündigt Ankara seit längerer Zeit an, eine neue Offensive gegen die von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierten Gebiete im Nordosten des Landes (Rojava) zu planen.

Dagegen wehrten sich bislang nicht nur die USA, die dort eine militärische Präsenz unterhalten und mit der PYD im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) verbündet sind, sondern auch die russische Regierung. Auch Russland ist in Rojava militärisch präsent, ebenso die syrische Armee, die etwa in der Stadt Qamishli weiterhin den Flughafen und andere offizielle Gebäude kontrolliert.

Für die Türkei stellt die PYD eine mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK eng verbundene terroristische Organisation dar, deren Präsenz an der Grenze als Bedrohung der nationalen Sicherheit wahrgenommen wird. 

Seit Längerem schon versucht Russland auf einen Ausgleich zwischen der Türkei und Syrien hinzuarbeiten. Ziel ist vor allem, die USA aus dem Norden des Landes zu verdrängen. Bislang zeigte sich die türkische Regierung wenig angetan, sich mit Vertretern aus Damaskus zu treffen. Das hat sich nun geändert. Offenbar hofft man in Ankara darauf, dass Moskau grünes Licht für die geplante Invasion in Rojava geben wird. Im Gegenzug scheint man bereit, die diplomatischen Beziehungen mit Syrien zu intensivieren.

 

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Protest in Al Bab am 30.12, Bildquelle:  Omar Haj Kaddour

 

Dies stößt auf Protest in Syrien, wo an der Grenze zur Türkei mehrere hundert Menschen gegen das Treffen protestierten.

Welche Auswirkungen eine solche Annäherung auf die von Rebellen kontrollierten Gebiete in Nordwestsyrien haben wird, ist unklar. In Idlib leben auch über eine Million Binnenvertriebene aus dem Rest des Landes, die nun befürchten, mittelfristig könnte sich die Türkei aus der Region zurückziehen und sie dem syrischen Machthaber Assad überlassen.

Politisches Spiel mit Vertriebenen

Die Lage dieser Geflüchteten verschlechtert sich währenddessen weiter. Nahrungsmittel und Heizmaterialien sind fast unerschwinglich, das Leben in Zeltlagern über Jahre hinweg führt zu Schwächung und einer Unzahl von Krankheiten, die kaum behandelt werden. So kam es wegen mangelndem bzw. verschmutztem Trinkwasser in der Vergangenheit zu Choleraausbrüchen; und gerade eben wurden viele dieser Lager von heftigen Überschwemmungen heimgesucht

Trotzdem versucht die Türkei den Eindruck zu vermitteln, die Gebiete im Nordwesten Syriens, die sich nicht unter der Kontrolle Assads befinden, seien sicher für Rückkehrer. Seit einiger Zeit schiebt sie die Türkei, wie etwa Human Rights kritisiert, in ihr Heimatland ab und will künftig Hunderttausende repatriieren

Im beginnenden türkischen Wahlkampf spielt schon jetzt die Frage, was mit den Millionen von Menschen, die im Lauf des vergangenen Jahrzehnts in die Türkei geflohen sind, geschehen soll, eine bedeutende Rolle. Die Opposition überbietet sich förmlich mit Ankündigungen, wie viele sie möglichst rasch repatriieren wolle. Während die kemalistische CHP schon seit Längerem für eine Annäherung an Assad wirbt, unterstützten bislang Erdogan und die AKP eher die syrische Opposition. Dies scheint sich nun langsam zu ändern. 

Die Gemengelage in Syrien allerdings bleibt bestehen und es ist kaum davon auszugehen, dass sich die Türkei und Russland langfristig über eine tragfähige Lösung werden einigen können. Kurzfristig hofft Moskau auf eine Entlastung seines Militärs in Syrien und die Türkei auf grünes Licht zum Einmarsch in Rojava. Was danach geschehen soll, ist völlig offen, denn an der Lage in Syrien hat sich ja nichts geändert.

Das Land ist de facto pleite, die wichtigsten Einnahmequellen sind Drogen und internationale Hilfe. Das syrische Pfund verliert weiterhin an Kaufkraft und Assad ist nach wie vor abhängig von massiver Unterstützung aus dem Iran und Russland, die allerdings beide gerade selbst mit internen Krisen zu kämpfen haben. Im Iran etwa verfällt die Währung gerade in atemberaubendem Tempo, während täglich Tausende von Menschen gegen das Regime auf die Straße gehen.

In Syrien sind laut UNO 1,2 Millionen Menschen mehr von Hilfe abhängig als im vergangenen Jahr: insgesamt 15 Millionen Menschen, während laut Weltbank im Jahr 2021 insgesamt 18,3 Millionen Menschen in Syrien lebten. Kurzum, die Lage hat sich 2022 erneut nur verschlechtert. Der einzige Unterschied zu früher besteht darin, dass der Konflikt international kaum noch auf Interesse stößt, und solange es zu keinen neuen heftigen Kämpfen oder Fluchtbewegungen kommt, wird sich daran auch nichts ändern. 

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch