Montag, 06.02.2023 / 15:03 Uhr

„Die Zukunft gehört dem Koran“ - Demonstration von 'Muslim Interaktiv' In Hamburg

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Gastbeitrag von Jan Vahlenkamp

Bild: Jan Vahlenkamp

Rund 3500 Menschen demonstrierten am 4. Februar im Hamburger Stadtteil St. Georg gegen die Koranverbrennung, die sich am 21. Januar vor der türkischen Botschaft in Stockholm ereignet hatte. Aufrufer war die Gruppe „Muslim Interaktiv“, welche von den Behörden der verbotenen islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir zugerechnet wird.

 

Der Ort des Geschehens, die Straße Steindamm unweit des Hauptbahnhofes, mit seinen zahlreichen Kebab-Restaurants und Gemüseläden bildet gewissermaßen das Herz der orientalischen Community Hamburgs. Die Veranstalter hatten sich hier offenbar bewusst einen Ort ausgesucht, an dem bei einer Kundgebung gegen die „Schändung des Korans“ mit Wohlwollen und Zuspruch von Passanten und Anwohnern zu rechnen ist. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Großteil der gut organisierten Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet angereist kam. Die meist jungen Demonstranten hielten vielfach Korane und Schilder hoch, auf denen etwa „Ein Angriff auf den Qur‘an ist ein Angriff auf uns alle“, „Der Qur‘an ist unsere rote Linie“ oder „Stoppt die Islamhetze“ zu lesen war. Unter den Teilnehmern wurde eine strenge Geschlechtertrennung praktiziert; so fand sich der zahlenmäßig kleinere Frauenblock in gebührendem Abstand hinter dem größeren Männerblock auf der Straße ein. Laut Landesamt für Verfassungsschutz war zuvor in sozialen Netzwerken bereits kontrovers darüber diskutiert worden, ob Frauen überhaupt an der Veranstaltung teilnehmen sollten

Allah zufrieden

Der Kundgebungsredner begrüßte die Anwesenden mit der Ansage, dass Allah mit ihnen zufrieden sei und sie für ihr Kommen mit dem Paradies belohnt werden sollten. Er echauffierte sich über die in Stockholm stattgefundene Koranverbrennung und wies gleichzeitig darauf hin, dass es auch in Hamburg im letzten Jahr zu einem solchen Vorfall gekommen sei. Tatsächlich hatten damals Ex-Muslime aus der exil-iranischen Community vor dem „Islamischen Zentrum Hamburg“, das als Außenposten des Teheraner Regimes gilt, bei einer Kundgebung öffentlich den Koran verbrannt. Während der Vorgang in deutschen Medien damals kaum thematisiert wurde, hatte er seinerzeit zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und der Islamischen Republik Iran geführt.

 Dem Redner war die Empörung über diese „Schandtaten“ deutlich anzumerken, wenngleich er seinen Zuhörern versicherte, dass dem Islam kein Schaden zugefügt werden könne, da ihm, Allah und dem Koran schließlich unzweifelhaft die Zukunft gehören würde. Die Ungläubigen hingegen würden in der Hölle versammelt werden. Die Rede wurden von den begeisterten Zuhörern immer wieder mit der Parole „Takbir - Allahu Akbar“ („Gott ist am größten“), dem Glaubensbekenntnis Schahāda („Lā ilāha illā ʾllāh - Muḥammadun rasūlu ʾllāh“ - „Es gibt keinen Gott außer Gott - Mohammed ist der Gesandte Gottes“) und anderen Parolen unterbrochen.

LGBT-Agenda

In einer Mischung aus religiöser Predigt und politischer Ansprache wurde im weiteren Verlauf der Kundgebung vom Rednerpult aus den westlichen Staaten vorgeworfen, diese würden die Annahme ihrer Werte, Überzeugungen und Lebensanschauungen von den Muslimen einfordern und von ihnen erwarten, dass sie „edle Verse“ des Korans für nicht zeitgemäß und ungültig erklären. Solches werde man aber selbstredend nicht zulassen, man werde keine „LGBT-Agenda“ oder etwa die „Entblößung“ muslimischer Schülerinnen im Schwimmunterricht akzeptieren und sich seine muslimische Identität nicht nehmen lassen. Die Rhetorik wirkte hierbei gleichermaßen professionell wie kämpferisch. „Allah, nimm unsere Anwesenheit zur Verteidigung unseres Buches an“ betete der Redner zum Ende der Versammlung. Die Engel könnten bezeugen, dass sie nicht zu den „Schweigenden und Stillsitzenden“ gehörten. Als die Kundgebung nach rund anderthalb Stunden beendet war, erklärte ein Polizeisprecher der Presse, es habe keine Zwischenfälle gegeben und die Veranstaltung sei friedlich verlaufen. Einige Stunden danach war bereits ein professionell gestalteter Zusammenschnitt der Kundgebung auf den Seiten von „Muslim Interaktiv“ bei Instagram und Facebook zu sehen.

Nicht repräsentativ

Auch wenn bei der Versammlung stets die Umma und die „Einheit der Muslime“ beschwört wurde, so steht „Muslim Interaktiv“ mitnichten für die muslimische Community als Ganzes. Vom Landesamt für Verfassungsschutz wird sie im ideologischen Umfeld der Hizb ut-Tahrir („Partei der Befreiung“) verortet. Hizb ut-Tahrir ist 1953 in Ostjerusalem gegründet worden. Als Ziel gilt die Vereinigung der Umma in einem weltweiten modernen Kalifat. In Deutschland ist Hizb ut-Tahrir seit 2003 durch eine Verfügung des Bundesministeriums des Innern wegen ihrer Betätigung gegen den Gedanken der Völkerverständigung und der Befürwortung von Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele verboten. Seit 2020 existiert nun die Gruppe „Muslim Interaktiv“. Ein Jahr nach ihrer Gründung hatte sie bereits eine mediale und politische Aufmerksamkeit durch eine, ebenfalls auf dem Hamburger Steindamm abgehaltene, Kundgebung erregt, die als israelfeindlich und antisemitisch wahrgenommen wurde.

Stärkung der Radikalen

Zwar ist die angekündigte Zahl von 5000 Teilnehmern am Samstag nicht erreicht worden, dennoch dürften die Islamisten die Versammlung als Stärkung ihres radikalen Glaubensbekenntnisses empfunden haben. „Die Wirkungskraft von Kundgebungen darf nicht unterschätzt werden“ hatte ein Sprecher von „Muslim Interaktiv“ bereits im Vorfeld auf Instagram verkündet. Hier hat die Gruppe bisher 11.900 Follower. Gegenproteste gegen die Kundgebung gab es am Samstag keine, weder aus dem rechtspopulistischen Spektrum noch aus der linken Szene oder der bürgerlichen Zivilgesellschaft. Dies kann zum einen mit der relativ kurzen Zeitphase zwischen der öffentlichen Bekanntmachung der Veranstaltung und ihrem Auftakt erklärt werden, zum anderen dürfte aber auch eine gewisse Unbedarftheit in weiten Teilen der Bevölkerung zum Thema Islamismus eine Rolle spielen.

Das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hamburg plant am 13. Februar eine Online-Veranstaltung, in welcher die Aktivitäten von Hizb ut-Tahrir in der Hansestadt thematisiert werden sollen. Der Anlass hier ist die Tatsache, dass das Junge Forum bereits Anfeindungen durch Hizb ut-Tahrir-Anhänger an der Universität Hamburg erfahren musste.