Samstag, 18.11.2023 / 22:22 Uhr

7. Oktober: Kein Massaker an Juden, sondern ein antisemitisches

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Auf der Kundgebung auf dem Frankfurter Opernplatz am 16.11, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Antisemitischen Morden fallen nicht nur Juden zum Opfer, sondern all jene, die von Antisemiten dafür gehalten werden.

 

Gestern fand auch in Frankfurt eine Kundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel statt, zu der verschiedene städtische und zivilgesellschaftliche Organisationen geladen hatten. Immer wieder war da die Rede von den Massakern an Juden am 7. Oktober.

Solche Aussagen verschweigen ungewollt, dass sich sowohl unter den Toten als auch den in den Gazastreifen Verschleppten viele israelische Araber sowie Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus Thailand und anderen asiatischen Ländern befinden.

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Kundgebung vor der Alten Oper, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

 

Daran erinnert auch Jamal Warraqi, ein muslimischer Israeli, der bei der Identifizierung der Leichen hilft:

He said many Muslims were also killed in the assault, recalling how he took care of two Arab women wearing hijab, shot by the attackers, and three Arab bus drivers from east Jerusalem who got shot in the head.

Indem man auch ihnen gedenkt und sie nicht dem Vergessen anheimgibt, betont man zugleich, dass eben antisemitischen Mördern keinesfalls nur Juden zum Opfer fallen. Man sollte an den zynischen Spruch von Joseph Goebbels erinnern, dass er bestimme, wer Jude sei. Der nämlich fasst zusammen, was Antisemitismus als Weltanschauung ausmacht: Die so genannten Nürnberger Rassegesetze erklärten nämlich plötzlich auch deutsche Staatsbürger zu Juden, die weder sich selbst als solche empfanden noch nach halachischer Definition welche waren. Ihre künftigen Mörder hatten entschieden, dass es "jüdisches Blut" gebe, das Menschen, durch deren Adern es angeblich fließen würde, zu Mitgliedern einer feindlichen Gegenrasse mache, die auszulöschen sei.

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Die St. Augustin Kirche in den Ruinen des Warschauer Ghettos 1945, Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Wer sich je die wenigen Überreste angeschaut hat, die vom Warschauer Ghetto übrig geblieben sind, wird dort auch auf die St. Augustin Kirche stoßen, in der es im Ghetto jeden Sonntag Gottesdienste gab für gläubige Katholiken, die allerdings laut Nürnberger Gesetzes als Juden deportiert worden waren.

So bestimmt der Antisemit, wer Jude ist und wer als solcher kein Recht hat, zu leben. So wie Hamas nach dem 7.10 erklärte, sie hätte ja nur Kombattanten und keine Zivilisten angegriffen und damit meinte, dass jeder jüdische Israeli für sie Kombattant sei, da ja jede/r irgendwann in der Armee dient oder gedient hat, so sind eben Gastarbeiter oder israelische Araber Kollaborateure oder Judenfreunde. Irgend eine Erklärung, daran mangelt es ihnen nie, wird ihnen schon einfallen, warum unter den Opfern auch so viele Nichtjuden waren.

Dass Antisemiten es eben keineswegs "nur" auf Juden abgesehen haben gerät so leicht in Vergessenheit und so erscheinen dann auf Reden Juden doch immer wieder als eine Minderheit, die man beschützen müssen. Dabei geht es um weit mehr; mit den Rassegesetzen hebelten die Nazis bewusst und gezielt Staatsbürgerschaft aus, wie sie seit dem 18. Jahrhundert in den meisten westlichen Ländern galt, und ersetzten sie durch eine Volkszugehörigkeit, die auf Rasse nicht Nationalität fußte.

Dies sei, schrieb mir in einer Email, Niklas Lemberger , und besser könnte ich es nicht ausdrücken, "ein ganz wichtiger Aspekt, "der in der Konsequenz eigentlich deutlich machen sollte dass Antisemitismus in dem Sinne - so sehr es nach den üblichen zivilgesellschaftlichen Worthülsen klingen mag - das Problem aller Menschen einer Gesellschaft ist. Nur dass die meisten sich einreden, er sei nicht das eigene Problem sondern dass der Juden alleine, und wenn man sich nicht einmischte, dann könne es einen auch nicht „aus Versehen“ treffen. Dabei sollten der Wahn und der Furor des Antisemitismus eigentlich schon Anzeichen genug dafür sein, dass es mit Gesellschaften, in denen man ihn dominant werden lässt, bergab geht. Nicht nur ist der Verrat an den Juden bereits ein Verrat an Demokratie, Menschenrechten, Aufklärung und Freiheit; aber die Krise, mit der er so eng verwoben ist, wird auch ohne „echte“ Juden nicht verschwinden, so dass im hitlerschen Sinne dann welche zu erfinden sind. Und Beispiele für ein solches Erfinden gibt es ja aus praktisch „judenfreien“ Gesellschaften zur Genüge.