Dienstag, 26.12.2023 / 23:44 Uhr

Wendepunkt im Krieg im Sudan?

Von
Gastbeitrag von Hossam Sadek

Flüchtlinge aus dem Sudan, Bildquelle: EU Civil Protection and Humanitarian Aid

Der Kampf um die Macht im Sudan erlebt einen dramatischen Wendepunkt, nachdem es den Schnellen Eingreiftruppen gelungen ist, die Kontrolle über große Städte im Westen und im Zentrum des Landes ohne größere Kämpfe zu übernehmen.

 

Vor einigen Tagen übernahmen die Schnellen Eingreiftruppen (RSF) die Kontrolle über die Stadt Wad Madani, die Hauptstadt des Bundesstaates Al-Jazira im Zentralsudan, nachdem die Kämpfe nur zwei Tage gedauert hatten und die Armee, die zweite Partei im militärisch ausgetragenen Machtkampf, sich plötzlich zurückgezogen hatte. Wad Madani ist nach Khartum die zweitgrößte Stadt des Sudans und gilt als wichtige landwirtschaftliche Metropole. Nach Angaben des sudanesischen Journalisten und politischen Analysten Yasser Mahjoub befindet sich in Wad Madani das weltweit größte landwirtschaftliche Projekt mit Fließbewässerung.

Nach dem Ausbruch des Kriegs zwischen der sudanesischen Armee und den Schnellen Eingreiftruppen am 15. April wurde ein Großteil der Handels- und Wirtschaftsaktivitäten nach Wad Madani verlagert, das 86 Kilometer südlich von Khartum liegt. Am vergangenen Dienstag teilte die Armee mit, eine Untersuchung bezüglich des Rückzugs ihrer Streitkräfte aus Wad Madani eingeleitet zu haben: »Die Truppen der Ersten Division haben sich aus Wad Madani zurückgezogen, und wir untersuchen die Gründe und Umstände.«

Die neuesten Entwicklungen bleiben jedoch nicht auf Wad Madani beschränkt. So erklärten die Schnellen Eingreiftruppen, alle wichtigen Städte an jener Straße zu kontrollieren, die Khartum mit den Provinzen Gezira und Sennar, die mehr als dreihundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt sind, verbindet. Die Schnellen Eingreiftruppen beherrschen bereits mehr als achtzig Prozent der Städte und des Territoriums in den Regionen Kordofan und Darfur, wobei es widersprüchliche Meldungen über die Lage in El Fasher, der größten Stadt in der Region Darfur, gibt.

Die Armee unter der Führung des Chefs des Übergangsrats für Souveränität, Abdel Fattah al-Burhan, und die Schnellen Eingreiftruppen unter der Führung von Muhammad Hamdan Daglo führen seit Mitte April eine bewaffnete Auseinandersetzung um die Kontrolle über die Macht, was nach Angaben der Vereinten Nationen zum Tod von mehr als 12.000 Menschen und zu mehr als sechs Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen geführt hat.

Verändertes Gleichgewicht

Angesichts der jüngsten Entwicklungen vor Ort erklärte die Afrikanische Entwicklungsorganisation (IGAD), am Dienstag einen Kontaktausschuss gebildet zu haben, um die Umsetzung eines jüngst ausgearbeiteten Fahrplans zu beschleunigen, der international breite Zustimmung gefunden hat.

In diesem Zusammenhang betonte die Autorin Sabah Al-Hassan, wie wichtig die internationalen und regionalen Bemühungen zur Lösung der Krise sind. »Die IGAD verfügt über historische Erfahrungen bei der Lösung von Konflikten in afrikanischen Ländern und hat durch die Bestimmungen der Afrikanischen Menschenrechtscharta einen klaren Beitrag zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ländern durch Dialog und Schutz der Bevölkerung geleistet«, sagte Al-Hassan, nach deren Meinung eine politische Lösung der Krise durch die IGAD immer noch möglich sei.

Der Militärexperte und Generalmajor a. D. Mazen Ismail schloss nicht aus, dass durch die jüngst zu beobachtenden schlechten Leistungen der Armee auch die übrigen Großstädte in die Hände der Schnellen Eingreiftruppen fallen könnten. Der Politologe Omar Al-Badrabi ist der Ansicht, dass der Vormarsch der Schnellen Eingreiftruppen ins Landesinnere diesen Kräften militärische Vorteile verschafft hat, die sie ermutigen werden, weiter in den Osten und Norden des Landes vorzudringen.

Nicht nur sei durch die jüngsten Ereignisse das Vertrauen in die Armeeführung erschüttert und diese unter Druck gesetzt, die Schnellen Eingreiftruppen befänden sich auch in einer besseren Verhandlungsposition. Wenn sich die militärischen Verhältnisse also nicht bald ändern, werden die Schnellen Eingreiftruppen laut Al-Badrabi nach dem Krieg eine wichtige militärische und politische Rolle im Sudan spielen.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch