Montag, 25.03.2024 / 22:20 Uhr

Mögliche Motive der irakisch-türkischen Annäherung

Von
Gastbeitrag von Hossam Sadek

Türkisch-irakischer Grenzübergang Ibrahim Khalil, Bildquelle: K24

Nach jahrelangen Spannungen infolge von türkischen Militäroperationen auf irakischem Gebiet hat sich unlängst das Tempo der Annäherung zwischen den beiden Ländern erhöht.

 

Bei einem hochrangigen Treffen in Bagdad vor einigen Tagen, an dem die Außen- und Verteidigungsminister, die Leiter der Nachrichtendienste sowie weitere Politiker, darunter der Chef der schiitischen Milizen von den Volksmobilisierungskräften Falih Fayyad teilnahmen, vereinbarten die Türkei und der Irak die Einrichtung mehrerer gemeinsamer ständiger Ausschüsse, die in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Handel, Landwirtschaft, Energie, Wasser, Gesundheit und Verkehr tätig werden sollen.

Im Anschluss an das Treffen begrüßte die Türkei die bereits im Dezember 2023 getroffene Entscheidung des irakischen Nationalen Sicherheitsrats, mit der die in der Türkei als terroristische Organisation eingestufte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auch im Irak zu einer verbotenen Organisation erklärt wird.

Der irakische Außenminister Fuad Hussein beschrieb auf der Plattform X das Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan und dessen Delegation als »fruchtbar«: »Wir erörterten ein breites Spektrum bilateraler und regionaler Themen.« Auch der geplante Irakbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im kommenden April sei Thema gewesen, twitterte Hussein und fügte hinzu: »Wir betonten die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Handel, Energie, Wasser, Bildung und allem, was im Interesse unserer beiden Länder liegt, zu verstärken.«

Türkischen Medien zufolge wurde am Rand der Gespräche eine Sicherheitsvereinbarung getroffen, welche die Einrichtung einer Pufferzone an der Grenze zwischen den beiden Ländern beinhaltet. Das Abkommen sehe vor, das nordirakische Gebiet, in dem sich seit einiger Zeit schon türkische Stützpunkte befinden, in einen »Sicherheitsgürtel« zur Bekämpfung der Arbeiterpartei Kurdistans umzuwandeln, der sich vom Berg Qandil bis nach Assos, etwa zweihundert Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, erstrecken soll.

Türkische Präsenz

Die Türkei verfügt über Militärstützpunkte im Nordirak, deren Zahl von Reuters auf »Dutzende« geschätzt wird. Sie beginnen an der irakisch-türkischen Grenze und erstrecken sich über die Berge bis weit in Gebiete des Gouvernements Ninive, was jene zweihundert Kilometer beträgt, von denen in dem jüngsten Abkommen die Rede ist. Vor der aktuellen Annäherung kritisierte die irakische Regierung diese türkische Präsenz wiederholt und protestierte gegen ihre Militäroperationen gegen die PKK auf irakischem Territorium. Aus Rücksicht auf die Beziehungen zur Türkei hat sie jedoch keine konkreten Schritte unternommen.

Der politische Analyst Murat Yetkin vertritt die Ansicht, dass der Besuch der hochrangigen türkischen Delegation in Bagdad als ein Schritt in Richtung eines umfassenden türkisch-irakischen Abkommens vor dem für April erwarteten Besuch Erdoğans im Irak, dem ersten solchen Besuch seit zwölf Jahren, betrachtet werden sollte.

Die Annäherung der Türkei an den Irak und die Förderung strategischer politischer und wirtschaftlicher Beziehungen werde das Gleichgewicht im Nahen Osten verändern, ist Yetkin überzeugt: »Es ist kein Zufall, dass sich die türkisch-irakischen Kontakte in jüngster Zeit gerade im Bereich der Sicherheit intensiviert haben. Aus türkischer Sicht war das Problem der Arbeiterpartei Kurdistans auf irakischem Gebiet die wichtigste Frage, bevor ein umfassenderes Abkommen erzielt werden konnte.« Der Erfolg des vertrauensbildenden Prozesses zwischen den beiden Staaten ebne nun den Weg für eine Einigung bei den Treffen Erdoğans mit dem irakischen Präsidenten Abdul Latif Rashid und Ministerpräsident Muhammad Shiaa Al-Sudani im kommenden April, ist sich Yetkin sicher.

Der Autor Mahmoud Alloush sieht jedoch weiterhin zwei Haupthindernisse für eine Annäherung: Das erste stehe im Zusammenhang mit der türkischen Militärpräsenz im Nordirak und der mangelnden Bereitschaft Ankaras, seine Truppen abzuziehen, bevor »die Arbeiterpartei Kurdistans beseitigt ist sowie der Schwierigkeit, im Falle eines türkischen Abzugs die Lücke mit kurdischen Peschmerga-Kräften und irakischem Grenzschutz zu füllen«. Das zweite Hindernis bestehe in der »iranische Besorgnis über die türkisch-irakische Annäherung. Die vom Iran unterstützten Gruppen der Volksmobilisierungskräfte unterhalten nämlich Bündnisbeziehungen mit der PKK in der irakischen Sinjar-Region.«

Wirtschaftliche Gründe

Der auf irakische Angelegenheiten spezialisierte türkische Wissenschaftler Bilgay Duman wiederum glaubt, der Irak besitze den klaren politischen Willen, die Annäherung an Ankara voranzutreiben und mit der Türkei bei der Bekämpfung der PKK zusammenzuarbeiten: »In dieser Phase ist es für Bagdad sehr wichtig, das PKK-Problem zu lösen, bevor es sich im Irak, der in den vergangenen zwei Jahren eine relative Stabilität in Sachen Sicherheit erreicht hat, wieder verschlimmert.«

Duman betonte die wirtschaftliche Bedeutung dieses Schrittes für die irakische Seite, die Entwicklungsprojekte fördern möchte, »insbesondere das Entwicklungsstraßenprojekt, das den Bau einer Eisenbahn- und Straßenlinie vom irakischen Hafen in Basra zur türkischen Grenze vorsieht, um den wirtschaftlichen Austausch zu forcieren«. Dazu sei es notwendig, die PKK zu beseitigen, »sowohl für die Sicherheit dieses Projekts als auch für die Zukunft des Iraks insgesamt«, nicht zuletzt, weil die Präsenz der Arbeiterpartei Kurdistans zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Türkei geführt habe.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch