Geheimdienst gegen tschetschenische Warlords

Gift vom Geheimdienst

Russlands Regierung stellt den Tschetschenien-Krieg als Feldzug gegen den islamistischen Terror dar. Doch die separatistische Bewegung ist gespalten, lokale Warlords haben sich selbständig gemacht.

Ein Patentrezept, um nicht vom russischen Geheimdienst FSB eliminiert zu werden, gibt es offenbar nicht. Da hatte der angeblich aus Saudi-Arabien stammende tschetschenische Guerillaführer Habib Abdel Rahman Khattab jahrelang darauf geachtet, sein Satellitentelefon nur in Ausnahmefällen zu benutzen, um nicht von russischen Streitkräften geortet werden zu können. Und doch nutzte ihm alle Vorsicht nichts. Vor einigen Wochen sandte ihm der russische Geheimdienst nicht etwa eine High-Tech-Rakete, sondern einen vergifteten Brief, überbracht von einem Vertrauten.

Wenig später wurde auch der Tod eines weiteren islamistischen Warlords gemeldet. Shamil Bassajew soll ebenfalls gestorben sein. Doch so sicher ist man zumindest bei ihm nicht: »Es handelt sich um das irre Gerede eines Betrunkenen«, ließ der Sprecher des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow nach dem Erhalt der brisanten Nachricht in der letzten Woche offiziell verkünden.

Immerhin aber war der Absender der Todesnachricht kein geringerer als Russlands Generalstabschef Anatoli Kwashnin. Lauthals verkündete er den Tod des derzeit wohl wichtigsten und einflussreichsten tschetschenischen Guerillaführers. Woher Kwashnin die Gewissheit über Bassajews Ableben nahm, ließ er allerdings offen. Über ein halbes Jahr lang habe die russische Armee von Bassajew nichts gesehen oder gehört, schob der General nach. Grund genug für weitreichende Todesspekulationen, zumindest im Tschetschenien-Konflikt. Nur nach heftigen Dementis, diesmal aus den eigenen Reihen, relativierte Kwashnin seine Todesbotschaft und erklärte: »Es ist möglich, dass Bassajew nicht mehr lebt, aber wir haben dafür keinen Beweis.«

Auch wenn Bassajew dem Jihad möglicherweise noch nicht entsagen musste, kann die russische Führung mit dem Tod Khattabs zumindest einen Erfolg verbuchen, der als gelungener Schlag im Kampf gegen den Terror gepriesen wird. Denn Bassajew und Khattab waren jene beiden Männer, die wegen ihres islamistischen Backgrounds von der russischen Regierung als Beweis dafür angeführt wurden, dass es beim russischen Tschetschenien-Feldzug weniger um den Kampf gegen die Sezession des kleinen Landes als um den Kampf gegen Terroristen geht, die mit al-Qaida in Verbindung stehen.

Damit waren Khattab und Bassajew besonders seit dem 11. September des Vorjahres jene dringend benötigten Figuren, um den Feldzug ideologisch an den von US-Präsident George W. Bush ausgerufenen »Krieg gegen den Terror« anzubinden. Sergej Ignatschenko, ein Sprecher des Geheimdienstes FSB, formuliert es so: »Das sind keine Nationalisten oder Unabhängigkeitskämpfer. Das sind disziplinierte internationale Terroristen, die ein einziges Ziel haben: die Macht zu erlangen und eine neue Weltmacht, basierend auf der Sharia, zu errichten«.

Dass die internationale Kritik am Tschetschenien-Feldzug leiser geworden ist, scheint zu einem noch rücksichtsloseren Vorgehen der russischen Truppen geführt zu haben. »Seit dem 11. September ist alles schlimmer geworden, und die zaghaften Versuche, die Menschenrechtsverletzungen der russischen Truppen intern aufzuklären, wurden wieder eingestellt«, urteilt Rachel Denber, die stellvertretende Direktorin von Human Rights Watch in New York.

Experten warnen aber auch vor simplen Erklärungsmodellen, die den tschetschenischen Separatismus als islamistische Bewegung darstellen. Zwar gelten Bassajew und Khattab als Speerspitze eines islamischen Fundamentalismus in Tschetschenien, doch sie sind nicht die einzigen, die dort gegen die russischen Truppen kämpfen. Vielmehr ist die Fraktion rund um Bassajew und seinen Leutnant Khattab nur eine von drei Gruppierungen, die derzeit in der Kaukasusrepublik aktiv sind.

Daneben gibt es auch noch jene des gewählten Präsidenten Aslan Maschadow und eine neue Gruppierung, deren politische Ziele vollkommen unklar sind. Ruslan Gelajew gehörte einst zum Stab von Aslan Maschadow, trennte sich allerdings nach einem persönlichen Streit von ihm und führt nun eine eigene schlagkräftige Truppe an. Sowohl Maschadow als auch Gelajew aber haben mit dem von Bassajew propagierten Fundamentalismus nach der Art der Taliban nichts zu tun.

Die Verbreitung des Islamismus ist eher eine Folge als eine Ursache des Konflikts. »Dschochar Dudajew, der erste Präsident, war ein säkularer Nationalist. Die Versorgung mit ausländischem Geld und islamischer Ideologie kam erst später. Die Rebellion in Tschetschenien bleibt vor allem eines: ein sezessionistischer Kampf«, widerspricht Alexander Iskanderian, der Direktor des Moskauer Zentrums für kaukasische Studien, den Erklärungsmodellen des Geheimdienst-Sprechers Ignatschenko.

Deshalb, so Anna Politkowskaja, die Tschetschenien-Korrespondentin der Moskauer Zeitung Nowaya Gazeta, könne der Konflikt auch nicht mit der Beseitigung der Verbindungen zwischen al-Qaida und in Tschetschenien operierenden Gruppierungen beendet werden. »Natürlich gibt es da Verbindungen. Aber es ist Unsinn, zu behaupten, dass der muslimische Fundamentalismus Rückhalt in der Bevölkerung Tschetscheniens hätte. Was jene tschetschenischen Führer anbelangt, die tatsächlich Verbindungen zu al-Qaida haben - nämlich Shamil Bassajew und al-Khattab - so waren die doch isoliert«, so Politkowskaja im Gespräch mit Jungle World.

Wladimir Putin hatte Mitte April anlässlich seiner Rede zur Lage der Nation ein Ende des russischen Engagements in Aussicht gestellt. »Von der Ankündigung Putins, den Krieg zu beenden, ist relativ wenig zu halten, weil er das schon mehrmals angekündigt hat«, kommentiert Rachel Denber. Schon wenige Stunden nach der Rede starben zwei Dutzend Polizisten in Grosny bei einem Angriff tschetschenischer Guerillas.

Wegen der Parzellierung Tschetscheniens in die Einflussgebiete diverser Fraktionen mit unterschiedlichen Zielen dürfte die Beseitigung einzelner Warlords Russland einem Sieg kaum näher bringen. Doch auch eine Lösung durch Verhandlungen wird erschwert. Ende letzten Jahres begann die russische Regierung Gespräche mit Maschadow, der aber schon lange nicht mehr die Macht hat, die unterschiedlichen Fraktionen zur Aufgabe zwecks politischer Verhandlungen zu bewegen. Wie in anderen Bürgerkriegsgebieten haben lokale Warlords an Einfluss gewonnen.

Und zumindest jene Gruppierung, die in der vergangenen Woche einen Anschlag in der Nachbarrepublik Dagestan verübte, dürfte wenig Interesse an einer friedlichen Lösung haben. Ausgerechnet bei den Siegesfeiern der russischen Armee am 8. Mai in der dagestanischen Stadt Kaspyisk starben 42 Menschen - vor allem Angehörige der Streitkräfte, aber auch 17 Kinder. Eine Mine wurde ferngezündet, als eine Gruppe Soldaten vorbeizog.

In Moskau sieht man den Anschlag als Attentat tschetschenischer Guerillas, denn Dagestan gilt als deren Rückzugsgebiet, und auch in Grosny kam es zu einem Anschlag auf die Siegesfeier, bei dem ein Polizist verletzt wurde. Der Geheimdienst FSB scheint davon auszugehen, dass dieses Attentat eine Racheaktion für den Tod Khattabs gewesen ist. Der Terrorismus sei »so gefährlich wie der Nazismus«, erklärte Putin bei einer Parade in Moskau. Die Attentäter bezeichnete er als »Abschaum«, die »wie Nazis behandelt werden müssen«.