Welches Ziel hat die türkische Militäroffensive und wer profitiert davon?

Erdoğans Korridor

Seite 2 – Die »Operation ­Olienzweig« ist mit Russland und dem Iran koordiniert

 

Seit Beginn des Aufstandes in Syrien im Jahr 2011 blieben die Kurdengebiete weitgehend unbehelligt vom Terror des Assad-Regimes. Dessen Truppen zogen sich kampflos zurück. Die Gebiete wurden unter eine protostaatliche Selbstverwaltung gestellt.

Gelegentlich paktierten die Kurden auch mit der syrischen Armee, wie im Jahr 2016 bei der Belagerung Aleppos. Die YPG (schon unter dem Namen SDF – Demokratische Kräfte ­Syriens – firmierend) eroberte die letzte Nachschublinie der eingeschlossenen Rebellen und besiegelte damit deren Schicksal. Im November 2017 kam es zum offenen Konflikt zwischen FSA und SDF in der nordsyrischen Stadt Manbij. Wie die Nachrichtenseite Al-Monitor berichtet, sorgten Zwangsrekrutierungen der SDF in der Stadt für Unmut in der Bevölkerung. Lokale Angehörige der FSA organisierten Proteste gegen die Praxis und wurden kurzerhand verhaftet.

Im jüngsten militärischen Konflikt in Nordsyrien kamen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge etwa 28 Zivilisten und rund 90 Kämpfer ums Leben. Doch zum Jahresbeginn 2018 haben sich die Konfliktlinien in Syrien deutlich verschoben. Bislang fanden die Gefechte grob ­gesagt an zwei Fronten statt: das Assad-Regime gegen Rebellen und eine breite Allianz aus Kurden und die Rebellen gegen den Islamischen Staat. Das Kalifat ist nunmehr Geschichte und Assads Armee hat zumindest westlich des ­Euphrat kaum mehr Kontrahenten. Die Fortdauer des Bürgerkriegs resultiert aus einem verstärkten Engagement ausländischer Truppen – in diesem Fall der türkischen – und dem schleichenden Rückzug der USA aus Syrien.

Angesichts der türkischen Offensive hat sich die YPG nun an die Zentralregierung in Damaskus gewandt und um Hilfe gebeten.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gab zu, die »Operation ­Olienzweig« vorab mit Russland und dem Iran koordiniert zu haben. Dutzende russische Militärbeobachter zogen vor den ersten türkischen Luftangriffen aus Afrin ab – wohl auch, weil sich die Kurden nicht auf den Deal einließen, Afrin an das Assad-Regime abzutreten, um weiterhin von Russland protegiert zu werden.

Die Reaktion der USA auf die türkische Landnahme ist erschreckend blass, wenn man bedenkt, dass es sich bei den SDF um den bislang engsten Verbündeten der Amerikaner in Syrien handelt. Die USA lieferten nicht nur Rüstungsgüter, sondern unterhalten auch mehrere Militärbasen im von den SDF kontrollierten Gebiet mit rund 2 000 Soldaten. Die haben nun großflächige Sternenbanner an ihren Humvees angebracht, um nicht selbst Opfer türkischer Luftangriffe zu werden.

In dieser absurden Konstellation, in der ein Nato-Land den Verbündeten eines anderen, zudem der größten Militärmacht der Welt, angreift, spricht US-Außenminister Rex Tillerson von einer »Stabilisierung der Lage« und dem Versuch, »mit legitimen türkischen Sicherheitsinteressen übereinzukommen«. Die Reaktion der Türkei klang weit weniger weichgespült: »Die USA sollen sich umgehend aus der Region Manbij zurückziehen«, sagte Çavu­şoğlu Ende ­Januar. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Ana­dolu. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die USA dieses Angebot annehmen und damit endgültig aus dem syrischen Bürgerkrieg aussteigen. Die SDF hätten damit ihre letzte Schutzmacht verloren und müssten sich nach neuen Ver­bündeten im Kampf gegen die Türkei umsehen.

Unterdessen dürften in Damaskus die Sektkorken knallen. Die türkische ­Offensive im Norden bindet nicht nur die verbleibenden Kräfte der FSA. Der Angriff auf die Kurdengebiete torpediert auch die dortigen Bestrebungen nach Autonomie – die syrische Armee hatte sich dessen bislang nicht angenommen. Seit Ende Januar sorgt ein von Russland verhandelter Waffenstillstand mit den Rebellen in Ghouta zudem für eine ­ruhige Front im ­Süden. Da stört es auch nicht, dass die syrische Opposition nicht an den anstehenden Friedensgesprächen im russischen Sotschi teilnehmen will.

Ein weiterer Profiteur ist zweifelsohne Erdoğan. Mit dem militärischen Eingreifen in Syrien untermauert er nicht nur den Anspruch der Türkei auf die Rolle der Ordnungsmacht im Nahen Osten, sondern schafft auch die Vor­aussetzungen für die Rücksiedlung der rund 3,5 Millionen syrischen Flücht­linge in seinem Land.

Die syrischen Kurden hingegen erleiden in ihren Bestrebungen nach ­Eigenstaatlichkeit eine herbe Niederlage. Für sie bleibt die Lehre, dass ohne eine Schutzmacht aus dem Ausland keine Siege errungen werden können.