Eine Kritik der Festschreibung von Identitäten im Antirassimus

Im Kreis der Identitäten

Seite 2 – Repression für alle
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Die Fokussierung auf äußerlich sichtbare Merkmale setzt sich auch in anderen Fragen fort. Nur wer bereit ist, sich vor der »Community« zu outen, erhält auch das Recht auf ­Anerkennung seiner Erfahrungen. Das Outing funktioniert mit der Angabe von Positionen (weiß/cis/he­tero/männlich/trans/POC und so weiter). Bei dem Zusammenschluss »Kanak Attak« ging es Ende der Neunziger noch um das genaue Gegenteil. In dessen Manifest wendeten die Mitglieder sich damals gegen Identitätspolitik: »Kanak Attak fragt nicht nach dem Pass oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Pass und der Herkunft.«

Es scheint, als ginge es dagegen heute darum, so viele Diskriminierungsmerkmale wie möglich vorweisen zu können. Nur wer betroffen ist, erhält die Legitimation zu handeln. Dabei gibt es eine klare Rangordnung, welche Diskriminierung schwerer wiegt. Häufig gilt Rassismus als schlimmste Form der Diskriminierung. Doch die Überwindung von Unterdrückungsstrukturen scheint kaum prioritär zu sein, schließlich würde das mit dem Verlust der Identität einhergehen und folgerichtig zu deren »Unsichtbarkeit« führen. Auch die individuelle Erfahrung darf nicht mehr generalisiert werden. Doch erst das würde eine strukturelle Diskriminierung erkennbar machen.

In den Marginalisierten und Unterdrückten haben Teile der Linken ihr neues emanzipatorisches Subjekt gefunden. Wenn diese jedoch die ihnen zugeschriebenen Identitäten nicht anerkennen, zum Beispiel wenn schwarze Personen nicht kontinuierlich in positiver Absicht auf ihre Hautfarbe reduziert und mit den ­damit vermeintlich einhergehenden Erfahrungen assoziiert werden wollen, werden sie häufig zu sogenannten »Token« erklärt, die sich von Weißen manipulieren ließen. Darin lassen sich deutlich autoritäre Denkmuster erkennen.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen von Rassismus wäre hilfreich, um politische Lösungsansätze zu entwickeln. Stattdessen verfällt der Diskurs in einen Dualismus, der nur Opfer und Täter kennt. Zuweilen hat es den Anschein, als wären die Aktivistinnen der critical whiteness in einer Schleife von Schuldzuweisungen und Schuldbekenntnissen gefangen. Sie agieren als Tugendwächter der Linken. Verhaltensweisen und Sprachgebrauch werden ­genauestens beobachtet. Das wird nicht zur Überwindung jeglicher Diskriminierungsmuster führen, geschweige den zu emanzipatorischen Handlungen. Gegen die als böse empfundenen Machtverhältnisse werden stattdessen eigene Machtstrukturen aufgebaut. Das Resultat ist Repression für alle.

Leider ist die Linke besonders anfällig für Schuldzuweisungen. Schließlich möchte kein Linker Täter sein, als Rassist oder Sexist bezeichnet werden. Denn es sind ja die ­Linken selber, die sich zur Aufgabe gemacht haben, Unterdrückung ­anzuprangern und zu bekämpfen; ihr Selbstbild erlaubt es ihnen daher gar nicht, sich dem Vorwurf auszusetzen, diskriminierend zu agieren. So emanzipatorisch wie möglich zu sein, lautet der allgemeine linke Anspruch.

Emanzipatorische Ideen, die es ­ermöglichen, um einen Zugewinn von Freiheit und Gleichheit für alle Menschen zu streiten, haben sich aus der Praxis des Intersektionalismus und der critical whiteness nicht ergeben. Stattdessen entwickeln sich immer mehr homogene Gruppen, die miteinander um die Gunst der Aufmerksamkeit konkurrieren. Ein gemeinsames Ziel ist auf diesem Weg verlorengegangen.

Der Blick muss wieder auf die rassistischen Zustände der Gegenwart gerichtet werden, das gesamt­gesellschaftliche Unrecht und nicht nur die Thematisierung von Identitäten muss wieder im Fokus stehen. Begegnungen auf Augenhöhe müssen angestrebt werden, um ein solidarisches und politisches Handeln erst wieder möglich zu machen, denn erpresste Solidarität ist keine. Erfahrungen muss Raum gegeben werden, durch sie wird schließlich strukturelle und institutionelle ­Diskriminierung erst sichtbar. Aber sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt oder als Mittel für einen Machtdiskurs genutzt werden.

Während Teile der Linken noch an ihren Identitäten feilen, wird in Deutschland fleißig abgeschoben, Familiennachzug wird erschwert, Menschen werden täglich Opfer rassistischer Gewalt, Unterkünfte von Geflüchteten brennen, die Residenzpflicht soll beibehalten werden, das Asylrecht wird verschärft. Die AfD sitzt im Bundestag. Da sollte doch ein gemeinsamer Nenner zu finden sein.