Riot-Grrrl Kathleen Hanna wird 50

Die radikalen Möglichkeiten der Lust

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Zwar fällt Riot Grrrl chronologisch in die sogenannte Dritte Welle des Feminismus, gleichwohl unterschied sich diese Bewegung in ihrer festen Affirmation des DIY-Gedankens, dem strikten Antikommerzialismus und dem ungeduldigen Verwerfen hochtrabenden Hoffens auf Veränderung im Symbolischen grundlegend von der zeitgenössischen Anhängerschaft der Performativitätstheorie Judith Butlers, die Geschlecht als ­reines Resultat von Sprechakten verstehen. Diese Strömung sollte an den Hochschulen Einfluss gewinnen, im Verlauf der Neunziger dann ­absolute Dominanz in der feministischen Debatte erlangen und bis in die Gegenwart wesentlich bestimmen, was als Geschlecht gilt. An Kathleen Hannas Referenzen lässt sich diese Differenz in Anspruch und Vor­gehen gut aufzeigen. Ihre erste bewegungsinterne Bezugsgröße war, wie sie oftmals anekdotisch berichtet hat, die Demokratin, Juristin und Zionistin Bella Abzug, die sie einst als Neunjährige auf einer Demonstration hatte vortragen hören, zu der ihre sie Mutter mitgenommen hatte. In der Jugend kam sie über »Le Deuxième Sexe« von Simone de Beauvoir zum Feminismus. Zu Zeiten von ­Bikini Kill nannte sie Julia Kristeva als theoretische Inspiration, während Le Tigre den Songtitel »Fifty Years of Ridicule« Shulamith Fire­stones »Dialectic of Sex« entlehnten. Politischer Pragmatismus, das ­Wissen um die Schubkraft des Libidinösen und Kunst gingen bei Hanna stets blendend zusammen.

Emma Goldmans ­berühmtes Diktum, dass sich eine Revolution daran bemessen lasse, ob sie tanzbar sei, war hier Programm. Die ostentative Freude daran, zu ­unterhalten, war dem Anspruch nicht abträglich. Was zuvor schon bei Riot Grrrl Arbeitsprinzip gewesen war – Frauen die Angst vor vermeintlich »männlichen« Instrumenten zu nehmen, Wissen weiterzugeben, Freundschaften zu pflegen und im Experimentellen eine Chance zu ­sehen –, wurde von Le Tigre erfolgreich erneut angewandt

Sie und ihre Mitstreiterinnen hatten jahrelang gegen eine Wand aus Vorurteilen und Häme anzukämpfen. Zu den dümmsten Klischees, die schon früh über Riot Grrrl zirkulierten, zählt jenes einen antifeminis­tischen Klassiker wiederholende Ressentiment, dass es sich um eine männerfeindliche Bewegung handle. Unter umgekehrten Vorzeichen ­findet sich das heutzutage in der stereotypisierten Verachtung des »weißen, heterosexuellen Cis-Manns« wieder, jedoch fällt die Anhängerschaft dieser Formel weit hinter das von Riot Grrrl Geleistete zurück. Mit dem ­einen wie dem anderen Vorbehalt wird unter anderem die Rolle von Musikern und Sängern in den entsprechenden Bands (Bikini Kill, Huggy Bear, Pussycat Trash) unterschlagen. Dass die Revolte von ­Anfang an von Männern unterstützt worden ist, bleibt, was das historische Gesamtbild anbelangt, zwar ein Randaspekt, ist aber nicht nur ­gegenüber den Verleumdern von Riot Grrrl hervorzuheben. Ob als befreundete Band, wie im Falle der mit Bikini Kill tourenden Nation of Ulysses, ob als Labelbetreiber (wie Slim Moon, Kill Rock Stars; Gary Walker, Wiiija; Ian MacKaye, Dischord) oder als Produzenten (wie Tim Green und John Goodmanson): Auch Männer lernten aus der Sache und unterstützten das feministische Anliegen, wo sie konnten. Zahlreiche Songs aus der Riot-Grrrl-Ära würden heutzutage zudem wohl mit Triggerwarnungen versehen – weil sie erlittene Gewalt offen thematisierten oder sich zu ironisch gaben und vor allem zu kritisch über andere herzogen. Die von Riot Grrrl geäußerte scharfe Ablehnung des Indie-Business nahm Frauen nicht aus, und besonders herb wird für viele der Umstand gewesen sein, dass die Einwände auch gegen andere Musikerinnen gerichtet wurden. Tanya Donelly durfte sich im Song »Li’l Mommy« von The Fakes anhören, dass ihre Band Belly »fucking boring« sei, und einer ganzen Reihe weiterer Protagonistinnen erging es nicht besser. Courtney Love, damals Sängerin von Hole und bereits selbst für Seitenhiebe ­bekannt, antwortete dafür 1993 mit »20 Years in the Dakota«, einem Song über die auch von Kathleen Hanna verehrte Yoko Ono: »Riot grrrls, think you can stop me? / You’re forever in her debt / I know you haven’t saved me / And you haven’t saved her yet.«

Spätestens 1994 war die Aufbruchphase vorüber. Die Bezeichnung »Riot Grrrl« war längst zum Stigma verkommen. Als in diesem Jahr die ersten beiden EPs von Bikini Kill auf CD wiederveröffentlicht wurden, betonte die Drummerin Tobi Vail in den Liner Notes, dass sich die Gruppe nie als »Riot-Grrrl-Band« bezeichnet habe, als welche sie medial längst ­firmierte. Innere Widersprüche, aufkommende Leidensolympiaden – etwa hinsichtlich der Frage, wessen Missbrauch schlimmer war –, aber auch äußerer Druck durch sensationslüsterne Medien, die sich bisweilen nicht scheuten, für ein kleines Leserinnenpublikum verfasste Aufarbeitungen sexueller Gewalterfahrungen aus Fanzines voyeuristisch aufzu­bereiten, sowie die nicht enden wollende Gewalt auf Konzerten, die sich vom feministischen Einspruch gar noch weiter provoziert gab, trugen zum Zerfall bei.

Als Riot Grrrl Mitte der neunziger Jahre als Be­wegung tot war, schlug sich dies auch musikalisch in einer überaus düsteren Wendung nieder. »Real Fiction« von The Fakes, »Weaponry Listens to Love« von Huggy Bear oder auch das erste, selbstbetitelte Album von ­Sleater-Kinney, das zu Unrecht im Schatten seiner Nachfolger steht, ­legen davon Zeugnis ab. Diejenigen, die diese Phase überstanden, legten dafür alsbald erheblich an Professionalität zu. Im Frühjahr 1996 waren es gleich drei Bands, die ihr jeweils zweites Album präsentierten: Bikini Kill mit »Reject All American«, Team Dresch mit »Captain, my Captain« und Sleater-Kinney mit »Call the Doctor«. Von diesen konnten sich einzig letztere als musikalische Instanz ­etablieren, um zu einer von Kritikern wertgeschätzten Größe heranzuwachsen.

Bikini Kill lösten sich derweil auf, Kathleen Hanna veröffentlichte 1998 unter dem Namen Julie Ruin ein ­Soloalbum und verließ den Pacific Northwest, um nach New York zu ­ziehen. Dort gründete sie gemeinsam mit Sadie Benning (die später durch JD Samson ersetzt wurde) und Johanna Fateman Le Tigre, jenes Elektro-Trio, das zum Ende des 20. Jahrhunderts Feminismus auf den Dance­floor beförderte, ohne ihn einer Popularisierung zu unterziehen, die ­inhaltlicher Verflachung gleichkäme. Im Gegenteil: Emma Goldmans ­berühmtes Diktum, dass sich eine Revolution daran bemessen lasse, ob sie tanzbar sei, war hier Programm. Die ostentative Freude daran, zu ­unterhalten, war dem Anspruch nicht abträglich. Was zuvor schon bei Riot Grrrl Arbeitsprinzip gewesen war – Frauen die Angst vor vermeintlich »männlichen« Instrumenten zu nehmen, Wissen weiterzugeben, Freundschaften zu pflegen und im Experimentellen eine Chance zu ­sehen –, wurde von Le Tigre erfolgreich erneut angewandt und in einer genresprengenden Kombination von Digitalem und Gitarrenriffs zusammengefügt. Die Band veröffentlichte bis 2004 drei Alben und nahm sich dann eine andauernde Auszeit. In dieser wurde bei Kathleen Hanna Lyme-Borreliose diagnostiziert, eine Krankheit, wegen der sie musikalische Projekte für einige Jahre unterlassen musste und sich aus der ­Öffentlichkeit zurückzog. Als es ihr besser ging und sie erneut zu Auftritten fähig war, transformierte sie das ursprüngliche Julie-Ruin-Konzept und machte daraus 2010 eine neue Band, in der sie seither unter anderem mit ihrer früheren Bikini-Kill-Kollegin Kathi Wilcox spielt; bislang sind zwei Alben erschienen. ­Zuletzt war Hanna gemeinsam mit ihrer frühen Weggefährtin Allison Wolfe (Bratmobile) im Video zum Song »77« der Punklegende Alice Bag zu sehen.

Die Lektion, die Riot Grrrl in den frühen neunziger Jahren vermittelte, hat nicht an Gültigkeit verloren: Um eine Revolte von erheblicher Reichweite loszutreten, braucht es manchmal nur wenige couragierte Individuen, die einzig auf sich selbst vertrauen. Ein solches war und ist Kathleen Hanna. Sie feiert dieser Tage ihren 50. Geburtstag. An die Devise, die sie bereits vor fast einem Vierteljahrhundert ausgegeben hat – »I ­believe in the radical possibilities of pleasure, babe« –, lohnt es sich schon deshalb zu erinnern, weil etwa dem von drögen Gesten geprägten, längst selbst normierend wirkenden akademischen Jargon, der die Begriffe »gender« und »queer« sinnentleert und zugleich Provokation und Herausforderung zu rhetorischen Akten erklärt hat, gegenwärtig so wenig Substantielles entgegengehalten wird. Für ihr Lebenswerk, das schon jetzt weit mehr umfasst als den Gesang in Bikini Kill, Le Tigre und The Julie Ruin, kann man Kathleen Hanna nur dankbar sein.