Eine antirassistische Kritik am Migrationspakt wäre nötig

Angriff auf globale Verpflichtungen

Rechtspopulisten polemisieren gegen den UN-Migrationspakt, der in Dezember verabschiedet werden soll. Ihre Verschwörungstheorie, internationale Gremien verfolgten das Ziel einer »Umvolkung«, dient dem Ziel, internationale Abkommen an sich anzugreifen.

Der »Globale Pakt für sichere, geordnete und geregelte Migration«, kurz Global Compact for Migration (UN-Migrationspakt) soll auf einem Treffen der Vereinten Nationen am 10. und 11. Dezember in Marrakesch, Marokko, verabschiedet werden. Die Debatten, die derzeit in verschiedenen Ländern über dieses Abkommen geführt werden, zeigen bisher vor allem eins: Die angestrebte Einigkeit auf globaler Ebene im Umgang mit Migration ist nach wie vor sehr weit entfernt.

Bereits im Jahr 2017 hatten die Vereinten Nationen damit begonnen, den Text der Vereinbarung auszuarbeiten, die im Dezember von den Staats- und Regierungschefs in Marrakesch unterzeichnet werden soll. 192 der 193 Mitgliedstaaten stimmten im Dezember 2017 dem Abschlusstext zu – alle außer den USA.
Nun aber wollen auch andere Staaten nicht mehr unterschreiben. Ungarn zog sich als erstes EU-Land vom Abkommen zurück, Anfang November erklärte auch die österreichische Regierung, den UN-Migrationspakt nicht zu unterzeichnen, eine Woche später folgte die Absage der Tschechischen Republik. Auch Dänemark, Norwegen, Kroatien und Polen äußern nun Vorbehalte. In weiteren EU-Ländern finden derzeit Debatten über die Haltung zum UN-Migrationspakt statt.

Allein schon im Versuch, auf dem Gebiet der länderübergreifenden Migration stärker zu kooperieren, sieht eine internationale rechtsautoritäre Allianz einen Angriff auf die Souveränität der Nationalstaaten. In sozialen Medien, auf rechten Blogs und über Messengerdienste wie Whatsapp werden Verschwörungstheorien verbreitet; der Vertrag verfolge das »geheime Ziel« ­einer massenhaften »Umvolkung« durch Migranten.

Der Pakt wurde jedoch keineswegs hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und seine Ziele werden im Abschlussdokument offengelegt. Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen des Themas annehmen. Im September 2016 einigten sich alle UN-Mitglieder in der »New Yorker Erklärung« darauf, internationale Antworten auf Fragen der Flucht, Mobilität und Arbeitsmigration zu finden.

Die Debatte über den UN-Pakt zeigt, wie defensiv die Verteidiger der Rechte von Migranten gegenüber der rechtspopulistischen Agitation mittlerweile auftreten.

Die Erklärung war eine Reaktion auf das Versagen der »internationalen Gemeinschaft « im Umgang mit globalen Flucht- und Migrationsbewegungen. Noch im Jahr 2014 mussten die Vereinten Nationen aus Geldmangel die Mittel für die ­Versorgung von Flüchtlingen in den Kriegs- und Krisenregionen drastisch reduzieren. Die unzureichende Gesundheits- und Lebensmittelversorgung und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit in den großen Flüchtlingslagern veranlasste damals viele Menschen, unter anderem in Richtung Europa aufzubrechen. Neben der Situation von Flüchtlingen widmeten sich die Vereinten Nationen auch den pre­kären und in vielen Fällen ausbeuterischen Lebensbedingungen von Arbeitsmigrantinnen.

Der UN-Migrationspakt, der in Dezember verabschiedet werden soll, hat zum Ziel, der Realität von Migration in einer globalisierten Welt Rechnung zu tragen. Im Abschlussdokument heißt es: »Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.«

In der Konsultationsphase wurden Stellungnahmen der UN-Mitgliedstaaten und zivilgesellschaftlicher Organisationen eingeholt, um im Anschluss in aufwendigen Verhandlungen einen ersten Entwurf des Pakts zu erarbeiten.

Die Bundesregierung wollte ein ­politisches, nicht jedoch ein rechtlich verbindliches Abkommen erreichen. Die Bundesregierung fordert prinzipiell eine stärkere internationale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik an, auch der Klimawandel als eine zentrale Fluchtursache sollte mehr Gewicht in den Verhandlungen erhalten. Aber vorrangiges strategisches Ziel Deutschlands war es, Migrationsbewegungen zu verhindern, zum Beispiel durch Informationskampagnen in den Herkunftsländern, die faktisch der ­Abschreckung dienen sollen. Aufgrund der heftigen inländischen Debatten über die Folgen des sogenannten Sommers der Migration 2015 wurde über die Rolle der Bundesregierung in den Verhandlungen aber kaum kritisch diskutiert.

 

Dass internationale Verhandlungen oft keine öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, ist im Übrigen keine Besonderheit des UN-Migrationspakts, sondern vielmehr typisch für derlei Vereinbarungen. Rechtzeitig vor der Unterzeichnung in Marrakesch haben extreme Rechte wie die Identitäre Bewegung in Österreich und die AfD in Deutschland aber erkannt, welche Chance sich ihnen bietet. Sie verbreiten die Behauptung, durch den Pakt würde die Souveränität der Nationalstaaten in Bezug auf Grenzkontrollen und die Steuerung von Migration ausgehöhlt. Er verfolge das Ziel, schrittweise Grenzen zu öffnen. Doch davon kann keine Rede sein.

Vielmehr besagt der UN-­Migrationspakt, das Ziel sei ein »integriertes, sicheres und koordiniertes Grenzmanagement«. Weder die Operationen der Grenzschutzagentur Frontex zur Flüchtlingsabwehr noch das Visumssystem werden durch den Pakt angetastet. Der UN-Migrationspakt stellt ferner klar, dass die Debatte über Migration auf der Basis nachweisbarer Fakten zu führen sei. Dass gerade diejenigen, die mit offensichtlichen Lügen gegen Migranten agitieren, damit nicht einverstanden sind, liegt auf der Hand. Ohnehin steckt hinter der Kritik der extremen Rechten noch ein anderes strategisches Ziel: Ihre Kampagne gegen den UN-Migrationspakt soll dazu beitragen, das Prinzip internationaler Abkommen anzugreifen, die zwar die nationale Souveränität achten, aber globale Verpflichtungen postulieren und so dafür sorgen könnten, die politische Realisierung der Vorhaben von völkischen Nationalisten zu behindern.

Falsch ist auch die Behauptung, der Pakt öffne die Tür für ein Menschenrecht auf Migration. Aus antirassistischer Sicht wäre das durchaus zu begrüßen, es lässt sich aber dem Pakt nicht entnehmen. An vielen Stellen fasst der UN-Migrationspakt nur die Rechte in einem Dokument zusammen, die heutzutage ohnehin in internationalen Verträgen festgelegt sind, zum Beispiel eine verpflichtende Seenotrettung, der Kampf gegen Menschenhandel oder die Sicherstellung von fairen Arbeitsverhältnissen.
Über bereits geltende Grundrechte geht der Pakt kaum hinaus. Als eine der wenigen Neuheiten sieht der Abschlussentwurf einen diskriminierungsfreien Zugang von Migranten zu basalen Leistungen vor, dazu zählen materielle Sozialleistungen, die Gesundheitsversorgung und Teilhabe an inklusiver Bildung.
Bezogen auf die Situation in Deutschland gibt es bereits ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das in der Praxis sehr oft missachtet wird. Der Pakt könnte immerhin dazu taugen, diesem Grundrecht Geltung zu verschaffen.

Leider zeigt die Debatte über den UN-Migrationspakt, wie defensiv die Verteidiger der Rechte von Migranten und Flüchtlingen der rechtspopulistischen Agitation entgegentreten. In der Entwurfsversion steht explizit, das Dokument sei ein rechtlich nicht bindender Kooperationsrahmen, der das souveräne Recht der Staaten, ihre Migrationspolitik selbst zu bestimmen, nicht berührt. Auf diesen Aspekt wird in jeder Diskussion über den Pakt verwiesen, offenbar, um die Rechten zu beschwichtigen.

Genau an dieser Stelle müsste aber eine migrationsfreundliche und anti­nationalistische Kritik einsetzen, um verbindliche Rechte von Migranten einzufordern. Dafür liefert der Pakt, so beschränkt seine Wirksamkeit sein mag, strategische Optionen. Er sieht internationale Überprüfungsgremien vor, die die Umsetzung des Paktes in der staatlichen Praxis sicherstellen ­sollen. Auf diese Weise ließe sich ein Maßstab zur Bewertung staatlicher Praxis etablieren. Durch die Verteidigung solcher Evaluation und eine gleichzeitige Kritik der repressiven Aspekte des Paktes hätte man der Kam­pagne von AfD und anderen offensiv begegnen können. Doch zu vernehmen sind nur rechte Einwände und als Reaktion Beschwichtigungsversuche, während antirassistische Kritik am UN-Migrationspakt, die durchaus notwendig wäre, kaum geäußert wird.