Covid-19 fordert in deutschen Altenheimen besonders viele Opfer

Der Lebensabend ist zappenduster

In Pflegeheimen fordert das Covid-19 besonders viele Opfer. Die Situation alter, pflegebedürftiger Menschen findet in der Berichterstattung erstaunlich wenig Beachtung.

Für die Mehrheit gilt es als Schreckens­ort schlechthin: das Pflegeheim. Die eigene Wohnung verlassen und im Heim leben zu müssen, gilt nicht nur als Endstation des Lebens im letzten Wohnsitz vor dem Tod, sondern auch als Entmündigung und Verlust des verbliebenen Restes von Individualität und Würde.

Selbstverständlich gibt es Ausnahmen: Pflegeeinrichtungen, in denen der Alltag keine Ähnlichkeit hat mit solchen Befürchtungen, in denen alten Menschen ein hohes Maß an Respekt entgegengebracht wird, Individualität und ein würdevolles Altern möglich sind. Solche Einrichtungen sind allerdings schwer zu finden und für die meisten nicht bezahlbar.

Die Folgen von Einkommensunterschieden und die Klassenzugehörigkeit treten am Lebensende noch deutlicher zutage. Ein Heimplatz kostete im vergangenen Jahr durchschnittlich 1 830 Euro monatlich. Wer seine Ersparnisse aufgebraucht hat und die Kosten nicht mehr selbst bezahlen kann, ist auf Sozialhilfe an­gewiesen. Einen Heimplatz zu haben, bedeutet jedoch nicht, auch über ein eigenes Zimmer zu verfügen. Dafür müssen einige Hundert Euro im Monat zusätzlich aufgebracht werden. In vielen Heimen sind Zweibettzimmer der Standard.

Der oft untragbaren Situation der Bewohnerinnen und Bewohner entspricht jene der Pflegerinnen und Pfleger. Bereits vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie ähnelten sich Berichte über erschreckende Zustände in zahlreichen Heimen: Das Personal ist überlastet und arbeitet physisch und psychisch am Rande der Erschöpfung. In einer Studie der AOK von 2016 gaben Beschäftigte in der Pflege eine deutlich höhere Belastung durch Leistungsdruck, schweres Heben und ein hohes Arbeitstempo an als Beschäftigte aller anderen Wirtschaftszweige.

In einer Umfrage für den Deutschen Pflegetag, ein jährliches Branchentreffen, verwiesen Pflegekräfte im vergangenen Jahr auf die hohe psychische Belastung durch die Fülle der Arbeitsaufgaben, zu denen neben der täglichen Pflege auch die Beratung von Angehörigen und die Sterbebegleitung gehören, und durch die schlechte Arbeitsorganisation, die häufig Überstunden nötig mache. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linkspartei im Bundestag vom Januar hervorgeht, arbeitet ein Drittel der Pflegekräfte häufig an der Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dieser Wert ist doppelt so hoch wie in allen anderen Berufsgruppen.

Bis zum 19. April machten Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen mehr als ein Drittel der an Covid-19 Verstorbenen aus.

Hinzu kommen Nachtdienste, in denen Pflegerinnen und Pfleger für eine unverantwortlich hohe Zahl an Pflegebedürftigen zuständig sind, und häufige Umstellungen der Dienstpläne bei Personalausfällen. An Personal mangelt es überall: Zehntausende Stellen sind nicht besetzt, weil die Arbeit mit extremer Ausbeutung einhergeht. Die in den vergangenen Jahren wegen des Mangels an ausgebildeten Pflegerinnen und Pflegern leicht angestiegenen Löhne liegen dennoch unter dem monatlichen Durchschnittsgehalt in Deutschland.

Selbst dem selten zur Anwendung kommenden Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes zufolge erhält eine examinierte Kranken- und Altenpflegerin beim Einstieg in den Beruf nur 2 830 Euro brutto, in den östlichen Bundesländern und in Heimen privater Betreiber liegen die Löhne bis zu 30 Prozent darunter. Die oft wegen des Mangels an examiniertem Pflegepersonal bereits nach einjähriger Ausbildung eingesetzten Pflegehelferinnen und -helfer erhalten genauso wie die in ärmeren osteuropäischen Ländern angeworbenen Pflegekräfte noch weniger Lohn.

Was Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit Blick auf die Entlohnung in der vergangenen Woche als »guten Anfang« bezeichneten, ist kümmerlich: Einer Verordnung des Bundesarbeitsministeriums zufolge soll die untere Lohngrenze für ungelernte Kräfte im Westen im Juli von derzeit 11,35 Euro auf 11,60 Euro steigen. Ab ­April 2022 sollen diese Beschäftigten 12,55 Euro erhalten. Die Mindestlöhne für Pflegehilfskräfte im Osten sollen bis zu diesem Zeitpunkt von derzeit 10,85 Euro auf denselben Betrag ange­hoben werden. Für Pflegefachkräfte soll ab Juli kommenden Jahres bundes­weit ein Mindeststundenlohn von 15 Euro gelten, der zum April 2022 auf 15,40 Euro steigen soll. Wann und in welcher Höhe die Anfang April groß angekündigte Prämie, der »Coronabonus«, an die Pflegekräfte ausgezahlt wird, ist weiterhin unklar. Die Pflegekassen, Bundesländer und Arbeitgeber sind uneins über die Finanzierung.