Dem Bundesverfassungsgericht liegt eine Klage gegen das sächsische Polizeigesetz vor

Beschwerde gegen Überwachung

Das seit Anfang des vergangenen Jahres geltende sächsische Polizei­gesetz räumt der Polizei weitgehende Befugnisse ein. Mehrere Personen haben deshalb kürzlich Klage beim Bundesverfassungs­gericht eingereicht.

»Die Befugnisse der Polizei sind monströs«, sagt Gunnar Theißen*. Er ist Fan des Fußballvereins Dynamo Dresden. Seit dem 1. Januar des vergangenen ­Jahres gilt in Sachsen ein novelliertes Polizeigesetz, das im April 2019 verabschiedet wurde. Theißen gehen die Regelungen darin eindeutig zu weit. Er befürchtet, dass nicht zuletzt die organisierten Fans von den neuen polizeilichen Überwachungsbefugnissen betroffen sind.

Theißen hat sich deshalb einer Klage gegen das sächsische Polizeigesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angeschlossen. Gemeinsam mit ihm klagen ein Rechtsanwalt, eine Rechtsanwältin, zwei Journalisten und eine Sozialarbeiterin. Sie alle sehen durch die Befugnisse der Polizei ihre Grundrechte gefährdet.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen verdeckte polizeiliche Maßnahmen, die mit den Änderungen im sächsischen Polizeigesetz zulässig wurden.

Die Verfassungsbeschwerde hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) koordiniert. Sie richtet sich gegen verdeckte polizeiliche Maßnahmen, die 2019 zulässig wurden: längerfristige Observation, Überwachung von Telekommunikation und Internetnutzung, der Einsatz von V-Personen und verdeckten Ermittlern durch die Polizei sowie Abhör- und Ortungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung. Zudem erlaubt Sachsen als einziges Bundesland die sogenannte intelligente Videoüberwachung im Grenzbereich, bei der auch Gesichtserkennung angewandt werden darf. Das soll der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität dienen. Der Bereich, der so überwacht werden darf, umfasst fast 50 Prozent der Fläche Sachsens.

Bereits als die damalige Landesregierung aus CDU und SPD das Gesetz plante und verabschiedete, gab es heftige Kritik (Handgranaten für die sächsische Polizei). Ein Bündnis von 40 Organisationen protestierte gegen die Novellierung. Die Fraktionen der beiden Oppositionsparteien Bündnis 90/ Die Grünen und »Die Linke« stellten einen Antrag auf Normenkontrolle vor dem sächsischen Verfassungsgericht. Für die Verhandlung gibt es allerdings noch keinen Termin. Die Grünen gehören seit 2019 zur Regierungskoalition, halten aber an der Klage fest.

Die GFF kritisiert unter anderem, wann bestimmte Maßnahmen ergriffen werden dürfen. Beispielsweise kann die Polizei die Telekommunikation von Personen überwachen, wenn Tatsachen »die Annahme rechtfertigen, dass sie in absehbarer Zeit eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen« werden. »Für viele Maßnahmen reichen letztlich Verdachtsmomente, dass irgendwann in Zukunft mal eine Straftat begangen werden könnte«, sagt der Jurist David Werdermann im Gespräch mit der Jungle World. Er arbeitet bei der GFF und koordiniert das Beschwerdeverfahren. »Dadurch, dass die Polizei weit im Vorfeld einer konkreten Straftat tätig werden darf, muss sie fast zwangsläufig ihre Entscheidung auf das soziale Umfeld oder die ideologische Neigung der betroffenen Person stützen«, sagt er.

Nach Ansicht der GFF hat die Polizei in Sachsen und anderen Bundesländern in den vergangenen Jahren Befugnisse erhalten, die zu weit gehen. Viele Bundesländer hätten sich bei der Novellierung ihrer Polizeigesetze auf ein ­Urteil des Bundesverfassungsgerichts von April 2016 bezogen, so Werdermann. Es besagt, dass Maßnahmen des Bundeskriminalamts »zur Straftatenverhütung« gerechtfertigt sein können, auch wenn keine konkrete Gefahr vorliegt – allerdings nur, wenn es um »gewichtige Rechtsgüter« geht, wie zum Beispiel den Schutz von Leib und Leben. »Die Landesgesetze, so auch das säch­sische, beziehen sich auf dieses Urteil. Sie fassen die Befugnisse aber viel zu weit«, sagt der Jurist. »Das sächsische Polizeigesetz erlaubt der Polizei zum Beispiel schon bei Verdacht auf schweren Bandendiebstahl, verschiedenste Maßnahmen anzuwenden.«

Auch Maria Scharlau kritisiert das Gesetz. Sie ist Juristin bei Amnesty International und trat bei einer Anhörung zur Gesetzesnovelle im Landtag 2018 als Sachverständige auf. Unter anderem bemängelt sie, dass das Gesetz teilweise sehr vage formuliert sei. »Wenn ich nicht verstehe, was mich verdächtig macht, kann ich es auch nicht bewusst unterlassen«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Der Polizei sei es zudem erlaubt, auch sogenannte Kontaktpersonen zu überwachen. »Diese Personen müssen überhaupt nichts getan oder geplant haben, es reicht, dass sie Kontakt zu potentiellen Straftätern haben«, so Scharlau. Amnesty Interna­tional hält das für menschenrechtlich bedenklich.

Diese Regelung könnte auch Gunnar Theißen betreffen, denn er engagiert sich bei der Schwarz-Gelben Hilfe. Dieser Verein unterstützt Dynamo-Fans, die in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten sind, beispielsweise durch die Vermittlung von rechtlichem Beistand. Wegen seiner Tätigkeit bei der Fanhilfe könnte Theißen zum Ziel von Über­wachung werden. Ihm macht aber noch etwas anderes Sorgen. »Die politischen Probleme in Sachsen sind groß«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World. »Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament verändern und das Gesetz in den falschen Hände liegt, wären davon auch viele weitere demokratische und zivilgesellschaftliche Strukturen betroffen, zum Beispiel Beratungsstellen und soziokulturelle Zentren.«

Das sächsische Staatsministerium des Innern verweist auf Anfrage der Jungle World auf »umfassende Transparenz- und Kontrollmechanismen«, die im neuen Polizeigesetz enthalten seien. Werdermann von der GFF fordert hingegen eine regelmäßige Kontrolle des polizeilichen Maßnahmenkatalogs. »Nach einem Terroranschlag wird immer Symbolpolitik betrieben und die Befugnisse der Polizei werden erweitert«, sagt er. »Aus grundrechtlicher Sicht wäre es wünschenswert, alle paar Jahre zu prüfen, ob man die Regelungen wirklich braucht.«

* Name von der Redaktion geändert.