Deutschland war die treibende Kraft hinter dem EU-Investitionsabkommen mit China

In China muss der Motor brummen

Deutschland war die treibende Kraft beim Abschluss des jüngsten Investitionsabkommens zwischen der EU und China. Vor allem für die deutsche Autoindustrie ist der Zugang zum chinesischen Markt überaus wichtig.

Sieben Jahre hatte man verhandelt, und doch kam es überraschend, als die EU und China Ende vergangenen Jahres eine Einigung über ein umfassendes Investitionsabkommen erzielten. Deutschland war die treibende Kraft in den Verhandlungen, die kurz vor dem Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ­abgeschlossen wurden. Das Abkommen muss noch von allen EU-Staaten und dem EU-Parlament ratifiziert werden und tritt voraussichtlich erst in einem Jahr in Kraft.

Der Abschluss des Abkommens stieß auf deutliche Kritik. In Deutschland kommt die schärfste von den Grünen. »Die Bundesregierung scheint immer noch dem Glauben anzuhängen, dass wirtschaftliche Entwicklung und internationale Einbindung China zu einem friedlichen, gutmütigen Partner machen«, sagte deren Bundestagsabgeordneter Cem Özdemir. Insbesondere sein Parteikollege, der China-Experte und Abgeordnete des EU-Parlaments, Reinhard Bütikofer, hält das Abkommen für unwirksam, um europäische Industrieinteressen durch­zusetzen; auch die Arbeitsschutzregeln seien »inakzeptabel schwach«. »Wer an ›Wandel durch Handel‹ gegenüber China glaubt, glaubt wahrscheinlich auch an den Osterhasen«, sagte Bütikofer dem Handelsblatt.

Einige EU-Länder kritisierten trotz der langen Verhandlungen vor allem das überhastete Zustandekommen der Einigung. »Wir brauchen mehr Beratungen und Transparenz mit unseren transatlantischen Verbündeten. Ein ­gutes, ausgewogenes Abkommen ist besser als ein übereiltes«, twitterte der polnische Außenminister Zbigniew Rau.

China war der EU nach jahrelangen Verhandlungen überraschenderweise in vielen Punkten entgegengekommen. Die chinesische Regierung wollte wohl schnell eine Einigung erzielen, bevor Deutschland zur Jahres­wende die EU-Ratspräsidentschaft aufgeben würde – und bevor der neue US-Präsident sein Amt antreten würde. Joe Biden hatte angekündigt, in der China-­Politik ein Bündnis mit den traditionellen Verbündeten der USA anzustreben. Womöglich wollte China dem durch das Investitionsabkommen zuvorkommen.

Aus den USA kam jedenfalls Kritik. Im Dezember schon, lange bevor Biden eingeschworen war, hatte sein designierter nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, getwittert, die »Biden-Harris-Regierung würde frühzeitige Konsultationen mit unseren euro­päischen Partnern zu unseren gemeinsamen Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Praktiken Chinas begrüßen«.

Eigentlich haben die EU und die USA ähnliche Anliegen, was China angeht. Auch in Deutschland wird das Land schon lange als Bedrohung für die eigene technologische und industrielle Stellung wahrgenommen. Der chinesische Staat achtet sehr genau darauf, dass westliche Konzerne, die in China investieren, zum Aufbau der chinesischen Industrie beitragen. Zugleich schützt China große Bereiche der eigenen Wirtschaft, in der chinesische ­Firmen noch nicht wettbewerbsfähig sind, vor westlicher Konkurrenz. Unter Präsident Donald Trump übten die USA durch Handelszölle erheblichen Druck auf die chinesische Wirtschaft aus, schlossen chinesische Firmen wie etwa Huawei systematisch vom eigenen Markt aus und schnitten ihnen den Zugang zu wichtigen Technologien wie etwa Mikrochips und Software ab.

Die EU war in diese Strategie nicht eingebunden; insbesondere die deutsche Regierung hatte stets vorsichtigere Schritte gewählt. So wurde der chinesische Telekommunikationskonzern Huawei in Deutschland bislang nicht offiziell vom 5G-Markt ausgeschlossen, anders als in den meisten anderen EU-Ländern. China ist ein wichtiger Wirtschaftspartner Deutschlands, nicht zuletzt für Deutschlands bedeutendste Industriesparte, die Autoindustrie. Im vergangenen Jahr verkauften VW, Daimler und BMW insgesamt 14,2 Millionen Autos, davon 5,4 Millionen, also 38,2 Prozent, in China. Das geht aus einer Studie des Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen hervor. Dessen Leiter Ferdinand Dudenhöffer sagte: »So hoch war der China-Anteil der deutschen Autobauer noch nie – und er wird weiter steigen.« Daimler und BMW konnten im vergangenen Jahr ihren Absatz in China sogar steigern, während er in der übrigen Welt deutlich zurückging. Der Zugang zum chinesischen Markt ist für die deutsche Autoindustrie unverzichtbar.

Deshalb bereitet der deutschen Wirtschaft der Trend zum »Decoupling«, also der Entkopplung von der Weltwirtschaft, große Sorgen. Diese wird auch von China betrieben. Der vergangenes Jahr verkündete Fünfjahresplan betont, die chinesische Wirtschaft müsse autonomer werden, einheimische Lieferketten müssten gestärkt werden. Aus der Sicht europäischer Wirtschaftsvertreter soll das Investitionsabkommen dieser Entwicklung entgegenwirken, kann sie aber nicht aufhalten. »Das ist ein Heftpflaster, und man kann keine Amputation mit einem Heftpflaster behandeln«, zitierte das Handelsblatt den Präsidenten der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke. Eine Befürchtung ist, dass deutsche Autokonzerne, die in China produzieren, in steigendem Maß auf chinesische Zulieferer zurückgreifen müssen.

Dennoch lobte die Präsidentin des deutschen Verbands der Automobil­industrie, Hildegard Müller, das Abkommen: Dieses stärke »für unsere Unternehmen die Planungs- und Investitionssicherheit« und müsse »nun möglichst schnell ratifiziert werden«. Und nicht nur die Autoindustrie ist zufrieden. Das Abkommen »wird unsere Position verbessern«, so die Einschätzung Markus Beyrers, des Generaldirektors des europäischen Arbeitgeberdachverbands Business Europe. Es sei »der erste Schritt zu einem Gleichgewicht zwischen China und EU«.

Zwar wurden wichtige Streitpunkte, wie die Berücksichtigung europäischer Unternehmen bei Staatsaufträgen und der Investitionsschutz, ausgeklammert; auch sind chinesische Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte und des Arbeitsschutzes sehr unverbindlich formuliert. Aber das Abkommen erleichtert europäischen Firmen den Marktzugang in etlichen Bereichen, beispielsweise bei Hybrid- und Elektroautos sowie bei Dienstleistungen im Finanz-, Umwelt-, Bau- und IT-Bereich. Die Konkurrenz auf dem chinesischen Markt soll fairer verlaufen, etwa bei der Vergabe von Aufträgen durch chinesische Staatsunternehmen.

Das europäische und deutsche Interesse am Abkommen liegt also auf der Hand. War es trotzdem für den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping »ein Geschenk auf dem Silbertablett«, das einen »Keil zwischen Europa und die USA« treibt, wie es Thorsten Benner, der Leiter des Global Public Policy Institute, im Interview mit dem Handelsblatt sagte?

Verteidiger des Abkommens betonen, dass nicht die EU, sondern Donald Trump das transatlantische Bündnis geschwächt und in der China-Politik unilateral gehandelt habe. Jörg Wuttke sagte dem Spiegel, er sehe bei dem EU-China-Abkommen »keine Relevanz für die USA«. Die USA hätten ihren Phase-1-Vertrag mit China, in dem es um die Handels- und Währungspolitik, den Technologietransfer und um ­Mechanismen zur Konfliktlösung in wirtschaftlichen Fragen geht, vor ­einem Jahr »ohne Konsultation mit der EU abgeschlossen«. Im Gegensatz dazu habe das EU-Abkommen keine negativen Auswirkungen auf Drittländer.

Das Investitionsabkommen bedeutet keineswegs, dass die EU in Zukunft nicht gemeinsam mit den USA gegen China auftreten kann. Ein Schritt in diese Richtung war der Vorschlag der EU vom November, ein »Transatlantic Trade and Technology Council« einzurichten, durch das die EU und die USA gemeinsame Industriestandards in den wichtigsten Technologiesparten setzen sollen – ein Vorhaben, das sich klar gegen Chinas Ambitionen richtet.

Nachdem China im vergangenen Jahr ein umfassendes Handelsabkommen mit verschiedenen asiatischen Ländern abgeschlossen hatte, forderte Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, im Gespräch mit der South China Morning Post »eine Wiedervereinigung der sogenannten westlichen Welt, mit Joe ­Biden als konstruktivem Partner, um die Herausforderung Chinas zu be­antworten«. Der französische Präsident Emmanuel Macron dagegen sagte ­vergangene Woche auf einer Veranstaltung des US-amerikanischen Think Tanks Atlantic Council, er halte »eine Situation, in der sich alle gegen China zusammentun«, für »ein Szenario mit höchstem Konfliktpotential« und »kontraproduktiv«. Die Auseinandersetzung um die richtige China-Strategie wird also weitergehen.