Die »Querdenker« wenden sich der »Klimalüge« zu und erfinden den »Wetterkrieg«

Von der »Corona-Diktatur« zum »Wetterkrieg«

»Querdenker« und Rechtsextremisten missbrauchen die Flutkatastrophe, um Propaganda und Geschäfte zu machen. Das Unglück kommt für sie gerade rechtzeitig, denn die Verschwörungserzähler bereiten schon länger eine neue Wendung vor.

Rund 5 000 fanatisierte Anhänger der »Querdenker«-Bewegung sind am Sonntag durch Berlin gezogen. Das Oberverwaltungsgericht hatte zwar sämtliche Demonstrationen der Verschwörungsideologen verboten. Doch »Freiheit lässt sich nicht verbieten«, verkündete der Initiator Michael Ballweg in der Nacht zum Sonntag.

Im Nachhinein klingt das fast wie eine Drohung. Über den Messenger-Dienst Telegram lenkten die Köpfe von »Querdenken« ihre Anhänger durch die Stadt, gaben Treffpunkte und Zielorte für den Aufmarsch bekannt. Es gab Übergriffe auf Sicherheitskräfte und Journalistinnen; Jörg Reichel, der Landesgeschäftsführer der Journalistengewerkschaft DJU bei Verdi, wurde von »Querdenkern« offenbar gezielt angegriffen und verletzt, er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die überforderte Berliner Polizei meldete 950 Festnahmen. Doch war es nicht die Polizei, die dem Treiben schließlich ein Ende setzten, sondern anhaltender Regen.

Das mag einigen »Querdenkern« verdächtig vorgekommen sein. Denn viele Verschwörungsgläubige wähnen inzwischen auch das Wetter von geheimen Eliten fremdgesteuert. Geschichten über angebliche Wettermanipulation, zum Beispiel durch sogenannte Chemtrails, waren bislang eher eine kuriose Randerscheinung in diesem Erzählkosmos. Seit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist das anders: Wetterwaffen der Regierung steckten dahinter, wird immer öfter in den einschlägigen Telegram-Kanälen angedeutet.

Eine konsistente Verschwörungserzählung ist zwar bislang nicht entstanden, doch bereits die Andeutungen verfangen bei der Anhängerschaft: »Merkt denn keiner, dass das Wetter manipuliert wird«, fragt ein User in der rechten Coronaleugnergruppe »Thüringen steht auf«.

Der ehemalige Schlagerstar Michael Wendler gehört zu den wenigen, die ganz offen sprechen: »Es war eine Wetterwaffe«, stellt er in Versalien klar. »Die Frage ist nicht, ob es eine manipulierte Flutkatastrophe war, sondern warum sie diese jetzt gegen die Be­völkerung durchführen.« Dahinter stecke, so Wendler, die »Agenda Klimawandel«.

Dass die Folgen des Klimawandels reine Inszenierungen seien, dürfte zum nächsten großen Handlungsstrang der Verschwörungserzähler werden. Das kündigt sich schon länger an: Der US-amerikanische Blog Desmog, der über Desinformation beim Thema Klima berichtet, hat schon im April 2020 festgestellt, dass dieselben Beteiligten, die Zweifel am Klimawandel streuen, auch Falschinformationen über Covid-19 verbreiten.

Ein prominentes Beispiel ist der neoliberale Think Tank The Heartland ­Institute. Die US-amerikanische Organisation wurde ursprünglich mit Finanzmitteln der Erdölindustrie aufgebaut, um den Klimawandel in Frage zu stellen. Inzwischen verbreitete sie den Verschwörungsmythos vom »Great Reset«. Demnach dienen die Covid-19-Pandemie und die Klimapolitik der Zerstörung der Weltwirtschaft, um auf ihren Trümmern eine sozialistische Weltdiktatur zu errichten. Dieser Mythos ist zu einem Leitmotiv von Verschwörungsgläubigen auch in Deutschland geworden.

Der Sinsheimer Arzt Bodo Schiffmann, einer der Gurus der »Quer­denker«-Bewegung, hat schon an die neuen Erzählungen angeknüpft. Er sei nicht nur »Covidiot«, verkündete er Zeit Online zufolge bei einer Kundgebung vor einer Woche, sondern glaube auch nicht an die »Klimalüge«. Samuel Eckert, ein anderer prominenter »Querdenker«, schrieb seinen Anhängern auf Telegram, er sei bislang immer »skeptisch gegenüber Wettermanipulation« ge­wesen. Das habe sich nun geändert: »Im Kontext von Klimawandel-Debatten erscheint dies jetzt in einem anderen Licht.«

Schiffmann und Eckert verbreiten nicht nur Falschinformationen über die ökologischen Ursachen der Flut, sondern inszenieren sich auch als Helfer für die Opfer der Katastrophe: Eckert war persönlich vor Ort und Schiffmann hat offenbar 700 000 Euro Spendengelder gesammelt, die er angeblich ohne Abstriche den Opfern der Flutkatastrophe zukommen lassen will.

Nicht nur »Querdenker« missbrauchen die Naturkatastrophe für ihre Propaganda. Zahlreiche rechte Medien­aktivisten, die auch die »Querdenken«-Demonstrationen minutiös begleiten, haben sich ins Zentrum der Flutkatastrophe nach Ahrweiler begeben, darunter der als Unterstützer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bekannt gewordene ehemalige Journalist Martin Lejeune und rechtsextreme Influencer wie Matthäus Westfal. Auch Jürgen Elsässer, der Chefredakteur des Magazins Compact, machte sich auf den Weg. Sein Magazin stellt so etwas wie das Leitmedium der Mischszene aus Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen dar.

Der ehemalige Schlagerstar Michael Wendler gehört zu den wenigen, die ganz offen sprechen: »Es war eine Wetterwaffe.«

Neonazis der Kleinpartei »Der III. Weg« haben Versorgungsgüter geschickt, um sich als Kümmerer zu ­inszenieren. Der Holocaustleugner Nikolai Nerling, der sich »Volkslehrer« nennt, war als einer der Ersten vor Ort, um die Katastrophe auszuschlachten. In seinen Videos, die dank eines kleinen rechten Channels wieder auf Youtube zu finden sind, inszeniert er sich als einer der wenigen aufrechten Helfer im Katastrophengebiet.

Eine Schlüsselrolle bei dieser Vereinnahmung der Flutkatastrophe spielten zudem ehemalige Bundeswehrsoldaten, die sich der »Querdenken«-Bewegung angeschlossen haben. Im Frühjahr hatten sich die ersten »Veteranen-Kanäle« auf Telegram organisiert. Ursprünglich hat man dort geplant, die Demonstrati­onen der »Querdenker« paramilitärisch zu begleiten. Während der Flutkatas­trophe schlug dann für einige von ihnen die große Stunde.

Der ehemalige KSK-Oberst Maximilian Eder beispielsweise war federführend beteiligt, als Anhänger der »Querdenker« in der schwer verwüsteten Stadt Ahrweiler zeitweilig eine Grundschule als Stützpunkt etablieren konnten. Dem Informationsportal Blick nach rechts zufolge fungierte er dort als »Einsatzleiter«. Im Mai hatte Eder als Redner auf einer »Querdenker«-Demons­tration in Berlin gefordert, »man sollte das KSK mal nach Berlin schicken und hier ordentlich aufräumen«.

Verfolgt man die Diskussionen in den Telegram-Kanälen der Veteranen, scheint es nicht nur um ungebetene Hilfe zu gehen: »Erst müssen wir ­unsere Bodenrechte zurück erwirken, dann tritt die Verfassung wieder in Kraft. Ich möchte nicht wissen, wer Grundstücke von Gemeinden gekauft hat, gebaut, geerbt, alles nur ungültige Papier«, schreibt ein User in einem einschlägigen Kanal.

Nach Angaben der Polizei ist die Grundschule in Ahrweiler inzwischen geräumt worden. Auf Telegram reagierten die Anhänger mit Bestürzung: »Informiert die Redaktionen und fordert Berichterstattung. Vorzugsweise die Bild«, heißt es auf dem Kanal ­»Einigkeit Recht Freiheit«. Dem Kanal »Soldaten und Reservisten« zufolge ­haben die selbsternannten Katastrophenhelfer einen neuen Stützpunkt ­gefunden, ein Zelt auf einem Privatgrundstück.

Allem Anschein nach werden die Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen nicht so schnell verschwinden aus dem Katastrophengebiet. Verschwörungserzählungen über das Wetter werden auch von den rechten Veteranen verbreitet. Auf Telegram erfährt man bei den »Soldaten und Reservisten«, dass ein »Wetterkrieg gegen die deutsche Bevölkerung« bevorstehe.