In Polen kritisieren Feministinnen und Datenschützer die geplante Registrierung von Schwangerschaften

Die gläserne Schwangere

Die polnische Regierung plant, Schwangerschaften künftig in der elektronischen Patientenakte zu verzeichnen. Kritiker des restriktiven Abtreibungsrechts sind alarmiert. Sie fürchten weitere Einschränkungen beim Zugang zu legalen Abtreibungen.

Noch haben es die Abtreibungsgegner nicht ganz geschafft. Am 1. Dezember wurde im Sejm, der ersten Kammer des polnischen Parlaments, die Gesetzesinitiative »Stoppt Abtreibungen« (Stop Aborcji) besprochen – und abgelehnt. Vor dem Sejm hatten sich an jenem Tag Feministinnen zu einer lautstarken Kundgebung versammelt, mit der sie nicht nur gegen diese Initiative von christlichen Fundamentalisten protestierten, sondern auch gegen neue Pläne der Regierung, die gleichfalls Auswirkungen auf reproduktive Rechte haben könnten.

Wie erst kürzlich bekannt geworden ist, plant das polnische Gesundheitsministerium, ab kommendem Jahr auch Angaben zu Schwangerschaften in das Medizinische Informationssystem, also die elektronische Patientenakte, aufzunehmen. Der Entwurf einer ministerialen Anordnung tauchte bereits Anfang November auf Websites der Regierung auf, wurde einer breiten Öffentlichkeit aber erst durch einen Tweet des Senators Krzysztof Brejza vom oppositionellen wirtschaftsliberalen Wahlbündnis Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska) vom 23. November bekannt.

Falls die Gesetzesänderungen in Kraft treten, lässt sich fortan feststellen, ob eine Schwangerschaft ausgetragen wurde oder nicht.

Die Anordnung sieht weitreichende Änderungen bei der elektronischen Patientenakte vor. Unter anderem sollen in diese ab dem 1. Juli 2022 verpflichtend erweiterte Patienteninformationen aufgenommen werden. Medizinische Einrichtungen sind dann dazu angehalten, Angaben über Implantate (etwa Herzschrittmacher oder medizinische Spiralen), Allergien, die Blutgruppe sowie Schwangerschaften ihrer Patientinnen und Patienten zu verzeichnen.

Das zuständige Ministerium argumentiert, es gehe dabei um eine effizientere Datenverwaltung und vor allem um eine bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten, insbesondere in medizinischen Notfällen. Teile der Opposition und viele Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Pläne hingegen als einen schweren Eingriff in die Privatsphäre. Bisher musste etwa eine Schwangerschaft nicht in der Patientenakte vermerkt werden, wenn diese nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grund des Arztbesuchs steht. Insbesondere dieser Punkt, von Kritikerinnen polemisch als »Schwangerschaftsregister« bezeichnet, bereitet vielen wegen der Einschränkungen der reproduktiven Rechte in den vergangenen Monaten Sorgen. Sollten die Änderungen in Kraft treten, ließe sich fortan feststellen, ob eine registrierte Schwangerschaft ausgetragen wurde oder nicht. »Dieses Register ist dazu da, um überwachen zu können, ob Polinnen ins Ausland fahren und dort Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen«, warnte der linke EU-Abgeordnete Robert Biedroń. Kritikerinnen und Kritiker fürchten zudem, eine weitreichende Digitalisierung von Patientendaten könne Unbefugten und Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf die Daten erleichtern.

Nach einer juristischen Einschätzung von Datenschutzexpertinnen der Stiftung Panoptikum (Fundacja Panoptykon) würde die geplante Verordnung sowohl gegen die polnische Verfassung als auch gegen die polnische Datenschutzverordnung verstoßen. Sie befürchten, dass Schwangere künftig aus Sorge um ihre Daten auf notwendige Arztbesuche verzichten könnten.

Der Gesundheitsminister Adam Niedzielski von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) gibt vor, die Aufregung nicht zu verstehen. Dem Radiosender RMF FM sagte er: »Es gibt kein Schwangerschaftsregister. Das ist eine, ich würde sagen, ausschließlich politische, wie soll ich’s nennen, Unverschämtheit, daraus einen Skandal machen zu wollen.« Weiter beschwich­tigte er: »Das ist Digitalisierung. Wir gehen über von Papier zu digital. Statt der Patientenakte auf Papier haben wir jetzt eine elektronische. Ähnlich wie mit Rezepten. Die waren früher traditionell auf Papier und jetzt haben wir E-Rezepte.«

Kritikerinnen wie die liberale Sejm-Abgeordnete Barbara Nowacka trauen der Regierung nicht über den Weg: »In einem von der PiS regiertem Land wissen Frauen ganz genau, dass sie jetzt Angst haben müssen. Es ist ein weiteres Instrument zur Kontrolle von Frauen, zur Kontrolle über unsere Körper. Das Schwangerschaftsregister kann sehr schnell von der Staatsanwaltschaft dazu benutzt werden, zu überprüfen, was genau passiert ist, wenn eine Frau nicht mehr schwanger ist.«

Die Pläne, Schwangerschaften zu registrieren, sind allerdings nicht neu. Bereits im Jahr 2008 sagte die damalige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska) den »Abtreibungen im Untergrund« den Kampf an. Durch ein damals geplantes zentrales Schwangerschaftsregister sollten nicht-offizielle, als Privatleistung durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche verunmöglicht werden. Damals wurden die Pläne auch wegen der breiten Proteste ad acta gelegt, in deren Rahmen die Gegnerinnen solcher Pläne unter anderem augenscheinlich benutzte Menstruationsutensilien an die damalige Ministerpräsidentin und weitere Behörden schickten.

Heutzutage regt sich ebenfalls breiter feministischer Widerstand gegen das Vorhaben. Die Organisation »Föderation für Frauen und Familienplanung« (Federacja na zecz Kobiet i Planowania Rodziny) erinnert in einer öffentlichen Stellungnahme daran, dass die Anordnung des Ministers zur Registrierung von Schwangerschaften keine Auswirkungen auf das derzeitige Strafrecht haben werde. In Polen ist es derzeit legal, einen Schwangerschaftsabbruch an sich selbst vorzunehmen.

Die Gruppe Abtreibungsdreamteam (Aborcyjny Dream Team) kritisiert die Regierungspläne als schweren Eingriff in die Privatsphäre von Schwangeren. Sie sieht sie als Versuch der Einschüchterung an, bei dem das Unwissen der Schwangeren ausgenutzt werde. Die Gruppe informiert daher über ihre Social-Media-Kanäle darüber, dass sowohl das Bestellen von Abtreibungspillen als auch an sich selbst durchgeführte Abtreibungen in Polen legal seien. Das betrifft auch den von der Gruppe vermittelten Zugang zu Abtreibungen im europäischen Ausland. »Ins Ausland fahren, um dort eine Abtreibung zu haben, ist legal. Eine Person dabei zu begleiten, auch. Polen endet zum Glück in Polen und außerhalb dieser Staatsgrenzen gilt unser beklopptes Abtreibungsrecht nicht«, schreibt die Gruppe.

Unterdessen nehmen Repressalien gegen Pro Choice-Aktivistinnen in Polen zu. Wie Medien Anfang Dezember berichteten, steht ein Mitglied von Aborcyjny Dream Team wegen Beihilfe zur Abtreibung unter Anklage, denn die ist weiterhin verboten. Sie soll Abtreibungspillen an eine Frau weitergegeben haben, die eine Schwangerschaft in der zwölften Woche abbrechen wollte. Der Ehemann der Schwangeren hat daraufhin Anzeige bei der Polizei gestellt.

Die Gruppe erhält ungebrochen Unterstützung durch Kritikerinnen des restriktiven polnischen Abtreibungsrechts. Nach eigenen Angaben hat die Gruppe seit dem Verfassungsgerichtsurteil vom vergangenen Jahr, das Schwangerschaftsabbrüche wegen embryopathischer Indikation für verfassungswidrig erklärte und de facto einem Abtreibungsverbot gleichkommt (Jungle World 45/2020), umgerechnet knapp 380 000 Euro an Spenden gesammelt. Damit soll der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen per Pille oder im Ausland für Betroffene sichergestellt werden.

In den EU-Institutionen sorgen die Angriffe auf reproduktive Rechte ebenso wie jene auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen weiterhin für Bedenken. Nach Bekanntwerden der polnischen Regierungspläne zur Registrierung von Schwangerschaften stellten EU-Abgeordnete am 1. Dezember eine Anfrage an die EU-Kommission, ein Verletzungsverfahren gegen Polen wegen der Eingriffe in Frauen- und Datenschutzrechte zu prüfen.