Über die Afrika-Strategie der Bundesregierung

Das große Gerede von Entwicklung

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat ihren neuen Plan für Afrika vorgestellt. Er enthält vor allem Allgemeinplätze. Afrika solle zukünftig grünen Wasserstoff liefern, man konkurriere dort um Einfluss mit China und Russland.

Deutsche Entwicklungsminister und -ministerinnen müssen offenbar im Laufe ihrer Amtszeit einen großen Plan enthüllen, wie Afrika zu helfen sei. Gerd Müller (CDU) hatte seinen »Marshallplan mit Afrika«. Seine Nachfolgerin, Svenja Schulze (SPD), hat nun eine neue »Afrika-Strategie« des Bundes­ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) präsentiert.

Wie es oft bei solchen Papieren der Fall ist, handelt es sich größtenteils um Allgemeinplätze – vor allem zum Thema Finanzierung findet sich wenig Konkretes. Das Strategiepapier beschreibt hauptsächlich bereits bestehende Initiativen und Absichtserklärungen. Afrika, ein Kontinent mit 54 Ländern und 1,4 Milliarden Menschen, erscheint dar­in als monolithischer Block. Auf die spezifischen Interessen und Probleme einzelner Staaten wird nicht eingegangen. Dass Interessen afrikanischer Staaten und deutsche Interessen einander auch widersprechen könnten, kommt wohl höchstens unbeabsichtigt vor, etwa wenn es heißt, man strebe an, afrikanische »Fachkräfte aktiv in Drittstaaten zu vermitteln« und gleichzeitig afrikanische Länder vor »Talentabwanderung (Brain Drain) zu schützen«.

Die Bundesregierung bemüht sich, demonstrativ Verantwortung für die deutsche Kolonialvergangenheit zu übernehmen. Das kostet wenig und erleichtert das außenpolitische Alltagsgeschäft.

Eines der drängendsten Probleme vieler afrikanischer Staaten ist die hohe Verschuldung. In Kenia beispielsweise, einer der größten Nationalökonomien des Kontinents, fließen bereits 60 Prozent der Steuereinnahmen in die Rückzahlung von Krediten. Die Afrika-Strategie verspricht nur ziemlich vage, das »Schuldenmanagement« der betroffenen Staaten zu verbessern und »inklusive Schuldenrestrukturierung« zu unterstützen.

»Vier von fünf Menschen in Afrika haben im länderübergreifenden Durchschnitt keinen Zugang zu qualitativ angemessener, bezahlbarer Basisgesundheitsversorgung«, stellt das Entwicklungsministerium in seinem Strategiepapier fest. Um dem entgegenzuwirken, solle unter anderem das Vorhaben der Afrikanischen Union unterstützt werden, bis 2040 etwa 60 Prozent aller in Afrika benötigten Impfstoffe auf dem Kontinent selbst zu produzieren. Andreas Bohne von der Rosa-Luxemburg-Stiftung kritisiert allerdings, dass dabei die zentrale Frage der geistigen Eigentumsrechte unbeantwortet bleibe. Während der Covid-19-Pandemie hatte sich Deutschland stets dagegen eingesetzt, die Patente für Covid-19-Impfstoffe freizugeben, wie es zahlreiche ärmere Länder gefordert hatten. Über diese Frage wird immer noch gestritten, eine Entscheidung bei der Welthandelsorganisation wurde im Dezember erneut verschoben.

Künftig wolle die Bundesregierung mit afrikanischen Staaten in eine »Partnerschaft auf Augenhöhe« arbeiten und Bevormundung vermeiden. »Dazu gehört auch, rassistische Strukturen und postkoloniale Kontinuitäten zu vermeiden«, so das Strategiepapier. Für das Ministerium heißt das vor allem die Unterstützung der Afrikanischen Union (AU) und ihren Mitgliedsstaaten in ­ihren selbst gesetzten Projekten und Zielen. Trotz dieser Absichtserklärungen dürfte die Bundesregierung auch in Zukunft als Geldgeber das letzte Wort bei der Ausgestaltung bilateraler Projekte haben. Innerhalb der bestehenden Machtverhältnisse könne »niemals eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe entstehen«, sagt Julia Manek von Medico International im Gespräch mit der Jungle World.

Auch eine gleichberechtigte Teilnahme an multilateralen Institutionen wird wohl eher Wunschdenken bleiben. Bei der Weltbank beispielsweise ist das Stimmrecht der einzelnen Staaten nach ihrem Kapitalanteil sowie ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit gewichtet. Dabei liegen die reichen Industriestaaten – allen voran die USA – ganz vorne, die afrikanischen Staaten ganz hinten.

Zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut auf dem Kontinent propagiert die Bundesregierung Handel und Investitionen. Gerade Letztere fließen bislang aber sehr spärlich. Dem BMZ zufolge entfällt nur ein Prozent der deutschen Auslandsinvestitionen auf Afrika. Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft beklagte sich kürzlich zudem über das seit dem 1. Januar in Deutschland geltende Lieferkettengesetz. Es soll große Unternehmen verpflichten, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ­ihren Zulieferern vorzugehen. »Das Engagement in Märkten, die als risiko­behaftet gelten, wird dadurch alles andere als stimuliert«, sagte Christoph Kannegießer, der Hauptgeschäftsführer des Vereins – Menschenrechte vergällen das ohnehin ­schmale Geschäft.

Die Bundesregierung will die Einrichtung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) fördern, die alle 54 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union einschließt, aber bis jetzt hauptsächlich auf dem Papier existiert. Am Ende soll ein umfassendes kontinentales Handelsabkommen zwischen Afrika und der EU stehen. Bislang gibt es nur Handelsabkommen der EU mit einzelnen afrika­nischen Staaten – sogenannte Economic Partnership Agreements (EPAs).

Diese Abkommen kamen vor allem auf Betreiben der EU zustande – in manchen Fällen drohte die EU afrikanischen Staaten damit, ihnen sonst den zollfreien Zugang zum EU-Markt zu entziehen. Die EPAs schränken unter anderem die Möglichkeit ein, Einfuhrzölle zu erheben. Dadurch gehen den afrikanischen Staaten nicht nur wichtige Einnahmen verloren, sie können auch heimische Unternehmen nicht mehr vor Konkurrenz schützen. Viele Länder, wie etwa Nigeria, weigern sich daher weiterhin, entsprechende Abkommen zu unterzeichnen.

Der Freihandel mit der EU war für afrikanische Länder oft eine bittere Erfahrung. Lange hatte die EU Agrarexporte nach Afrika sogar direkt mit Subventionen unterstützt. Billige Agrarprodukte überschwemmten die dortigen Märkte und trieben zahlreiche lokale Produzenten in den Ruin.

Die Afrika-Strategie appelliert an beide Seiten, Bereitschaft für strukturelle Veränderungen zu zeigen – Probleme der ungleichen Handelsbeziehungen werden jedoch nicht einmal angesprochen. Unterentwicklung soll offenbar durch Strukturanpassung in Afrika bekämpft werden und nicht durch Veränderungen in Deutschland. Julia Manek kritisiert, dass die von Deutschland ausgegangene »koloniale Gewalt und anhaltende postkoloniale Ausbeutung« ausgespart werde. Im Gegensatz dazu brauche es einen »wirklichen dekolonialen Paradigmenwechsel«, der die Verantwortung Deutschlands in den Blick nimmt, so Julia Manek, und »nicht die Anbindungen an den finanzialisierten Weltmarkt.«

2021 hatte die Bundesregierung ein Abkommen mit Namibia ausgehandelt, mit dem sie sich erstmals offiziell für den dort begangenen Völkermord entschuldigte. Es sieht eine Zahlung von 1,1 Milliarden Euro vor. Die Summe soll über 30 Jahre in Entwicklungsprojekte in Gebieten der Ovaherero und Nama fließen – das sind die beiden ethnischen Gruppen, die vor über 100 Jahren Opfer eines Genozids durch deutsche Kolonialtruppen waren. Der Betrag ist niedriger als die Summe deutscher Zahlungen für Entwicklungshilfe an Namibia in den dreißig Jahren von 1990 bis 2020. Anfang des Jahres wurde im Namen der Ovaherero und Nama in Namibia Klage gegen diese Abmachung eingereicht, weil das Parlament für so ein weitreichendes Abkommen hätte konsultiert werden müssen.

Die Bundesregierung bemüht sich seit einiger Zeit darum, demonstrativ Verantwortung für die deutsche Kolonialvergangenheit zu übernehmen. Solche Gesten kosten weniger als angemessene Reparationszahlungen und erleichtern das außenpolitische Alltagsgeschäft. Im Dezember war etwa Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Nigeria, um die sogenannten Benin-Bronzen zurückzugeben. Dabei handelt es sich um jahrhundertealte Kunstwerke aus Nigeria, die im Zuge des Kolonialismus geraubt wurden und von denen viele in deutschen Museen landeten.

Bei ihrem Besuch betonte Baerbock Nigerias Potential für erneuerbare Energien und »grünen« Wasserstoff. Unter anderem ist die »Wasserstoff­strategie« der Bundesregierung auf Nigeria ausgerichtet, mit der eine klimaneutrale Energieversorgung Deutschlands erreicht werden soll. Weil andernorts die Gewinnung von Sonnen- und Windenergie, mit der Wasserstoff hergestellt werden soll, deutlich leichter ist als in Deutschland, plant die Bundesregierung »strategische Partnerschaften mit Süd- und Westafrika sowie mit Australien«. Das deutsche Außenministerium betreibt »in strategisch wichtigen Ländern Büros für Wasserstoffaußenpolitik«. Ein solches Büro habe man bereits 2021 in Nigeria eröffnet, heißt es auf der Website des Ministeriums.

Das Entwicklungsministerium plant die umweltgerechte Umstrukturierung der afrikanischen Wirtschaft, blendet jedoch die »Rohstoffausbeutung durch deutsche und europäische Unternehmen« auf dem Kontinent aus, so Julia Manek. Die Förderung von Wasserstoff werde in der Afrika-Strategie als »win-win für alle Seiten« dargestellt, obwohl dahinter vor allem »der Energiehunger Deutschlands« stehe. Die Bundesregierung fördert Kenias vorhaben bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energien von derzeit 90 auf 100 Prozent zu erhöhen. Deutschland selbst gewann im Jahr 2022 nur knapp die Hälfte seiner Energie aus erneuerbaren Quellen.