Darío Adanti, Chefredakteur der Satirezeitschrift »Mongolia«, über das »Recht, auf alle Götter zu scheißen«

»Kein Gericht der Welt kann über religiöse Gefühle urteilen«

Gegen die spanische Satirezeitschrift »Mongolia« laufen immer wieder Verfahren wegen Artikel 525 des spanischen Strafgesetzbuchs; dieser belegt Verächtlichmachung von Religion mit Geldstrafen. Darío Adanti, Mitgründer von »Mongolia«, hat mit der »Jungle World« über die Klagen gesprochen.

Im Dezember 2022 verklagten die Spanische Vereinigung Christlicher Anwälte (Asociación Española de Abogados Cristianos), die ultrakonservative katholische Internetplattform Hazteoir.org sowie die rechtsextreme Gewerkschaft Manos Limpias die Satirezeitschrift Mongolia wegen der Titelseite ihrer Weihnachtsausgabe, auf der der »neugeborene Sohn Gottes« als Kackhaufen­emoji in der Krippe, gerahmt von Josef und Maria, zu sehen war unter der Überschrift: »Ganz der Papa!« Was halten Sie von den Klagen wegen Ihres Weihnachtstitelbildes?
Uns hat man mittlerweile dreimal wegen der Verletzung religiöser Gefühle verklagt. Meiner Meinung nach kann kein Gerichtsprozess der Welt »Gefühle« behandeln. Dafür müsste es Sachverständige, Mediziner, Forensiker geben. Die Klagen sind einfach lächerlich, wie auch Senator Carles Mulet García von dem linken Regionalparteienbündnis Compromís aus Valencia sagte.

Er wurde doch im Januar wegen ­eines Tweets ebenfalls von den »Christlichen Anwälten« verklagt?
Wegen Hass und Diskriminierung, weil er auf Twitter äußerte, dass Francos Monumentalmausoleum »Valle de los Caídos« gesprengt werden müsse. Mit dieser Meinung ist er nicht allein.

Ein riesiger, in einen Berg gebauter Tempel und eine Pilgerstätte für Franco-Anhänger und Neofaschisten, da hier bis 2019 der Leichnam des spanischen Diktators ruhte …
… und dessen Instandhaltung eine Menge Geld kostet, auch weil das größte freistehende Kreuz der Welt obendrauf umzustürzen droht. Es wurde von Sklavenarbeitern errichtet, von denen viele beim Bau starben. Es liegen immer noch über 100 000 Ermordete des Bürgerkriegs und der anschließenden ideologischen Säuberungswelle verscharrt in Massengräbern. Es gibt auch ein Denkmal am Madrider Almudena-Friedhof für die mit der Nazi-Wehrmacht an der Ostfront kämpfende spanische Freiwilligeneinheit Blaue Division, an dem Rechtsextreme jedes Jahr Kränze niederlegen. Man kann manche Orte zu Erinnerungsorten machen, aber das Gros sollte gesprengt werden. Dynamit ist da keine schlechte Lösung. (lacht)

Was haben Sie und Mongolia bei ­einem Schuldspruch zu befürchten?
Bis zu einem Jahr Haft, da wir nicht mehr ganz unbescholten sind; doch eher eine Geldstrafe. Es geht den Klägern nicht darum, uns ins Gefängnis zu bringen, sondern uns zu ruinieren. Im Falle eines Schuldspruchs wird uns das mindestens 50 000 Euro kosten, dann müssten wir Mongolia einstellen. Das ist mehr oder weniger die Hälfte unseres Jahresumsatzes.

Ähnliche Paragraphen existieren in vielen Staaten, so auch in Deutsch­land, Österreich und der Schweiz. Verfahren und Urteile sind aber selten.
In Spanien gilt der Vorwurf nur für den Katholizismus, aber die Verletzung religiöser Gefühle müsste für alle Religionen gleichermaßen gelten; noch besser wäre es, wenn es einfach aus dem Strafgesetzbuch gestrichen würde. Uns hat selbst eine Mitarbeiterin der dem Papst nahestehenden Website Infovaticano.com verteidigt, es sei »eine Probe für den Glauben«, und dass man »niemals Satire verbieten« solle. Als das Attentat auf Charlie Hebdo verübt wurde, hätten auch die großen konservativen Tageszeitungen wie El Mundo, La Razón und ABC aus Solidarität das Cover abbilden sollen, haben sie aber nicht. Wir hatten es als Titel abgedruckt. Wenn ich als Atheist in die Hölle komme, ist es doch mein Problem. Wie schon Mark Twain schrieb, mir »gefällt der Himmel wegen des Wetters, die Hölle wegen der Gesellschaft«.

Wer sind die »Christlichen Anwälte«?
Eine Vereinigung, deren Geschäftsmodell aus Klagen besteht, egal, ob die angenommen werden oder gar zu einem Urteil führen. Sie wollen an Mitgliedsbeiträge und Spenden von fanatischen Anhängern kommen. Sie funktionieren ähnlich wie die Partei Vox oder Hazteoir.org, womit sich die radikalkatholische Sekte El Yunque aus Mexiko tarnt. Das sind Betrüger, die im Namen der Religion Geld scheffeln. Es ist wie ein Pyramidenbetrug, nur besser, da die oberste Ebene, Gott, einfach nicht existiert. Sie wollen auch an öffentliche Posten kommen. Die Stiftung Fundación Na­cional Francisco Franco zu Ehren des Diktators könnte dieses Jahr verboten werden, da francohuldigende Organisationen seit Oktober illegal sind, aber dort finden sich dieselben Leute wie bei den »Christlichen Anwälten« und Hazteoir.org.

Sie bekommen auch Shitstorms und Drohungen der Ultrarechten ab, richtig?
Es ist nicht immer lustig. Das Madrider Teatro de Barrio musste für die Vorstellung unserer Crowdfunding-Kampagne Sicherheitspersonal stellen, weil Drohungen wegen eines Auftritts des Provokationskünstlers Leo Bassi kursierten, der in seinen Theatersatiren gegen die Kirchen wettert. Er hatte die »Iglesia patólica« (»Entenkirche«) mit einer Riesenquietschente als Gottheit im Ma­drider Viertel Lavapiés gegründet. Auf eines seiner Theaterstücke im Teatro Alfil wurde einst ein Brandanschlag verübt. Die ultrakatholischen Gruppen sind gut in den sozialen Medien vernetzt. Wir erhalten immer wieder Morddrohungen – und dann wird von deren Seite die Meinungsfreiheit beschworen. Das sind Faschisten und Antidemokraten, die ihren Vorteil aus der demokratischen Grundordnung ziehen, um sie dann zu zerstören. Natürlich muss man damit leben, aber leicht ist es nicht.

Sie haben eben erst im Januar in einer Beleidigungsklage verloren, die der Stierkämpfer José Ortega Cano angestrengt hatte. Sie hatten ihn 2016 auf einem Werbeplakat als betrunkenen Außerirdischen vor einer abgestürzten fliegenden Untertasse karikiert, eine Anspielung auf den Autounfall, den er 2011 verursacht hatte und für den er 2013 verurteilt worden war. Wie steht es finanziell um Mongolia?
Wir sind ein kleines unabhängiges Medium. Die Covid-19-Pandemie war für uns ein harter Schlag, Solidaritätsaufrufe haben uns gerettet und brachten uns 2000 neue Abonnentinnen. Beim Verfahren von Cano, der der rechtsra­dikalen Partei Vox nahesteht, ging es um einen Schadensersatz von 40 000 Euro, weil er sich in seiner Ehre gekränkt fühlte – etwas ebenso Unmessbares wie Gefühle. Wir haben nach sieben Jahren Rechtsstreit in allen Instanzen verloren und bringen den Fall nun vor inter­nationale Gerichte. Wir wurden verurteilt, weil wir Satire machten über einen Torero, der betrunken Auto gefahren ist und dabei jemanden umgebracht hat. Der spanische Staat hätte uns vielmehr für unsere Kampagne gegen Alkohol am Steuer bezahlen sollen. Insgesamt hat uns das Verfahren mehr als 100 000 Euro gekostet.

Was hat Sie 1997 dazu bewogen, nach Spanien zu ziehen?
Spanien ist ein sehr liberales, progressives Land. Vor allem LGBT-Gruppen hatten immer große Freiheiten, auch der Feminismus ist hier eine treibende Kraft. Ich finde es großartig, dass die Linke in der Koalition mitregiert. Die jetzige Regierung hat bereits für außerordentlichen Fortschritt gesorgt, auch was die Aufarbeitung des Bürgerkriegs und den Franquismus betrifft. Aber ich finde es schade, dass der Staat keine Statue für den Revolutionär Buenaventura Durruti aufstellt. Auf der anderen Seite habe ich aber auch Angst davor, dass der Partido Popular bei den Parlamentswahlen Ende des Jahres gewinnt und nur mit den Rechtsradikalen von Vox regieren kann.

Was halten Sie vom Titelblatt der Weihnachtsbeilage 2021 der Wiener Wochenzeitung Falter, das für Debatten in Österreich sorgte, weil darauf Susanne Thier, die Lebensgefährtin des ehemaligen Kanzlers Sebastian Kurz, als Gottesmutter mit entblößter Brust abgebildet ist?
Der Titel ist großartig. Es regen sich manche auf, weil sie im Krippenspiel als Jungfrau Maria abgebildet wurde. Beim Thema der Verletzung von Persönlichkeitsrechten muss gut abgewägt werden. Cano hatte uns das auch vorgeworfen, weil wir sein Bild verwendet haben. Als in der Öffentlichkeit stehende Person muss man damit klarkommen, dass Satire mit einem betrieben wird. Man lebt ja von der Öffentlichkeit, man bekommt sein Gehalt entweder vom Staat oder aus Werbung. Öffentliches und Privates vermischen sich immer mehr. Auch der Torero meinte, wir hätten eine private Aufnahme von ihm verwendet. Nachdem er sein ganzes Leid dem Klatschmagazin ¡Hola! verkauft hatte, just nachdem er aus dem Gefängnis gekommen war und wieder anfing, gegen Stiere zu kämpfen. ­Lächerlich.

Darío Adanti

Darío Adanti

Bild:
privat

Darío Adanti ist gebürtiger Argentinier und zog 1997 nach Spanien. Er ist Zeichner, Illustrator, Autor, Journalist, Satiriker und hat 2012 die Satirezeitschrift »Mongolia« mitgegründet. Er gilt als einer der innovativsten Comic-Autoren Spaniens, illustriert auch für Zeitschriften, Zeitungen oder Bücher und dreht animierte Kurzfilme. »Mongolia« berichtet auch mit ernsten und hintergründigen Berichten und Reportagen über die spanische Politik. Sie hat eine Auflage von knapp 8 000 Stück – vor der Pandemie waren es 20 000 – und finanziert sich größtenteils über Abonnenten und den Kioskverkauf.