Auf den Autobahnen gibt es kein Tempolimit, beim Klimaschutz haben es die Verantwortlichen nicht eilig

Das Plansoll wird nicht erfüllt

Die Bundesregierung gibt für den Ausbau erneuerbarer Energien Ziele vor, die mit der derzeit betriebenen Politik schwerlich erreicht werden können. Die zu erwartenden finanziellen Belastungen mindern die Akzeptanz schneller Klimaschutzmaßnahmen.

Die Planwirtschaft genießt derzeit keinen guten Ruf. Ein bisschen planen muss man aber auch im Kapitalismus, vor allem in der Klimapolitik, wenngleich es dann darum geht, Ziele zu setzen, die mit marktwirtschaftlichen Mitteln erreicht werden sollen. Weit mehr noch als einst die Sowjetwirtschaft bleibt der real existierende Kapitalismus in Deutschland hinter dem Plansoll zurück.

Bis 2030 sollen an Land täglich »vier bis fünf Windräder« gebaut werden, so lautet die Vorgabe von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Sie wird derzeit zu etwa einem Viertel erfüllt, und schon das ist ein Fortschritt. In diesem Jahr wurden einer Zählung der Fachagentur Windenergie an Land zufolge bis Ende März in Deutschland 117 neue Windräder in Betrieb genommen, 17 Prozent mehr als im Vorjahresquartal.

Die Windenergieleistung an Land soll den Plänen der Bundesregierung zufolge von derzeit etwa 58 Gigawatt bis 2030 auf 115 Gigawatt erhöht werden. Nach Angaben des Umweltbundesamts ist eine Steigerung von neun Gigawatt pro Jahr erforderlich. Bei einer Leistung von fünf Megawatt pro Windrad (die durchschnittliche Leistung liegt eher bei drei Megawatt) müssten etwa 1 800 Anlagen pro Jahr errichtet werden. Das von Scholz vorgegebene Tempo könnte also gerade so reichen, doch ist unwahrscheinlich, dass es erreicht wird.

Es fehlt an Flächen, vor allem weil viele Bundesländer einen großen Abstand von Windrädern zu Wohngebieten vorschreiben – ein Kilometer unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen, in Bayern die zehnfache Höhe der Anlage. Eine wissenschaftliche Rechtfertigung gibt es dafür nicht.

Denn es fehlt an Flächen, vor allem weil viele Bundesländer einen großen Abstand von Windrädern zu Wohngebieten vorschreiben – ein Kilometer unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen, in Bayern die zehnfache Höhe der Anlage. Eine wissenschaftliche Rechtfertigung gibt es dafür nicht. Die Gesundheitsschädigung durch den von Windrädern erzeugten Infraschall (für Mensch nicht hörbare tiefe Frequenzen) ist ein Mythos, und die 40 Dezibel, die ein 600 Meter entferntes Windrad hören lässt, sind so laut wie ein Flüstern. Und auch das nur, wenn man vor seinem Haus steht.

Da Frösche 80 Dezibel und Vögel 90 Dezibel erreichen können, sollte man meinen, dass auch empfindsamste Land­bewohner:innen mit einem Windrad in 600 Meter Entfernung leben können. Der Widerstand gegen die Errichtung von Windrädern dürfte vornehmlich ideologische Gründe haben, und es ist unklar, wie weit verbreitet die Ablehnung in ländlichen Gebieten tatsächlich ist. Doch die Rücksichtnahme der eta­blierten Parteien auf dieses Milieu ist groß, und das keineswegs nur bei den üblichen Verdächtigen von Union, FDP und AfD.

Langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren
So stimmte die rot-rot-grüne Minderheitsregierung Thüringens im Juli vo­rigen Jahres mit der CDU für ein Gesetz, das de facto einen Kilometer Abstand von Wohngebäuden zu Windrädern vorschreibt. Die regionale Planung kann diese Distanz zwar unterschreiten, doch nur bei allgemeinem Konsens – kommt es zu Klagen, bleibt es bei einem Kilometer.

Ein weiteres Problem für die Errichtung von Windrädern sind langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, die derzeit durchschnittlich sieben Jahre dauern. Ganz weit hinten beim Zubau- und Genehmigungsvolumen im ersten Quartal dieses Jahres war Bayern, wenig überraschend, auch wenn Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun hin und wieder einen Baum umarmt. Das Schlusslicht aber ist Baden-Württemberg, wo die Grünen in der Koalitionsregierung mit der CDU die stärkere Partei sind. Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie wurde in Baden-Württemberg in diesem Jahr nur eine neue Anlage genehmigt, in Bayern waren es zwei.

Dass es viel schneller gehen kann, beweist die Errichtung der umweltpolitisch wesentlich problematischeren Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven und Lubmin in weniger als einem Jahr, inklusive Genehmigungsverfahren – Beispiele für das neue »Deutschland-Tempo«, so Bundeskanzler Scholz. Es ist nicht verwunderlich, dass man alles getan hat, um die Gasversorgung sicherzustellen. Weniger klar ist, warum bei der Energiewende nicht auch ein bisschen mehr »Deutschland-Tempo« durchgesetzt wird.

Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Kernpunkt der Klimapolitik.

Immerhin hat die Bundesregierung das Problem erkannt, schließlich müsste nach derzeitigem Stand für alle Windräder, die 2030 fertig sein sollen, das Planungs- und Genehmigungsverfahren noch in diesem Jahr beginnen. Es soll auf drei Jahre verkürzt werden. Das Windenergie-an-Land-Gesetz verpflichtet zudem die Bundesländer, bis 2027 – letzter Termin für alle Windräder, die mit erfolgreich verkürztem Verfahren 2030 fertig sein sollen – 1,4 Prozent und bis 2032 zwei Prozent ihrer Fläche für die Windenergie auszuweisen.

Dafür müssen fast überall die Abstandsregeln geändert werden, wohl deshalb räumt man den Bundesländern für die an sich einfache Verwaltungsaufgabe so viel Zeit ein. Da es diverse Klage- und Verschleppungsmöglichkeiten gibt, ist keineswegs sicher, dass die Fristen eingehalten werden.

Wo sollen die erneuerbaren Energien herkommen?
Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Kernpunkt der Klimapolitik. Ihr Anteil an der Stromerzeugung betrug im vergangenen Jahr 46,2 Prozent, 2030 sollen es 80 Prozent sein – bei einem erheblich höheren Stromverbrauch, denn bei der Wärmeerzeugung und im Verkehr soll die Nutzung fossiler Brennstoffe durch Elektrizität ersetzt werden.

Zum Klimaschutz trägt das nur bei, wenn der Strom mit erneuerbaren Energien erzeugt wird. Wenn die Bundesregierung postuliert, dass ab Januar 2024 »möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll«, fragt man sich, wo diese herkommen sollen. Wer mit einer Wärmepumpe heizt, kann diese derzeit zu knapp 50 Prozent mit erneuerbaren Energien betreiben, und deren Anteil an der Stromproduktion dürfte in den kommenden acht Monaten nicht so rasant steigen, dass die Planvorgabe erfüllt werden könnte.

Das Defizit, das es bei der Windenergie 2030 aller Wahrscheinlichkeit geben wird, könnte durch eine Übererfüllung des Plansolls bei der Solarstromproduktion (Photovoltaik) ausgeglichen werden. Die mehr als zwei Millionen bestehenden Photovoltaikanlagen haben eine Leistung von etwa 66 Gigawatt, 2030 sollen es nach den ambitionierten Vorgaben der Bundesregierung 215 Gigawatt sein.

In den USA ist man weiter
Dies soll durch vereinfachte Genehmigungsverfahren und eine Reihe von Anreizen bewirkt werden, etwa die vereinfachte »Direktvermarktung«, die es Privathaushalten ermöglicht, überschüssigen Solarstrom ins Netz einzuspeisen und damit Geld zu verdienen. Das dürfte kaum reichen, damit »der jährliche Leistungszubau auf 22 GW gesteigert und auf diesem hohen Niveau stabilisiert werden« kann, wie es das Bundeswirtschaftsministerium wünscht.

Daher war die Empörung über die Ende März nach 30stündigen Verhandlungen erzielte Einigung der Ampelkoalition zwar berechtigt, doch wäre auch bei einem Verzicht auf Autobahnausbau und E-Fuels das Kernproblem, der unzureichende Ausbau erneuerbarer Energien, ungelöst geblieben. Von dauerhafter Bedeutung ist allerdings, dass die Einhaltung der Klimaschutzziele »zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden« soll, Defizite also jahrelang vertuscht werden können.

Man kann dem Kapitalismus und der FDP nicht an allem die Schuld geben. Den Kapitalismus gibt es fast überall, und die FDP zeichnet sich zwar durch Impertinenz und besonders absurde Vorschläge wie die Subventionierung von E-Fuels aus, ist aber kein so mächtiger und gefährlicher Gegner wie die Republikanische Partei in den USA.

Dennoch ist man dort in der Klimaschutzpolitik weiter. Der im vergangenen Jahr verabschiedete Inflation Reduction Act sieht zahlreiche direkte und indirekte Subventionen – finanzielle Zuschüsse und Steuernachlässe – für den Ausbau und die Nutzung erneuerbarer Energien vor. Die Steuernachlässe für den Einbau von Wärmepumpen sind nach Einkommen gestaffelt, Haushalte mit niedrigem Einkommen erhalten 100 Prozent der Ausgaben zurück. Zudem gibt es Programme für jene, die sich einen Ein­­bau nicht leisten können; so lässt die Stadt New York in einem Pilotprojekt für 70 Millionen Dollar in Sozialwohnungen 30.000 Wärmepumpen in­stallieren.

Für eine Bilanz ist es noch zu früh. Insgesamt begünstigt der Inflation Reduction Act die Mittelschicht, doch anders als in Deutschland, wo man in der Heizungsdebatte die Existenz von Mieter:in­nen noch kaum zu Kenntnis genommen hat, ist in den USA nun der Einbau einer Wärmepumpe eine finanzielle Verheißung.

Da Frösche 80 Dezibel und Vögel 90 Dezibel erreichen können, sollte man meinen, dass auch empfindsamste Landbewohner:innen mit einem Windrad in 600 Meter Entfernung leben können.

Einer Umfrage von Infratest vom November 2022 zufolge sehen nur 15 Prozent der Bevölkerung keinen oder wenig Handlungsbedarf beim Klimaschutz, doch gab es beim an zu geringer Beteiligung gescheiterten Volksentscheid in Berlin nur eine knappe Mehrheit dafür, dass das Bundesland schon 2030 klimaneutral werden soll. Die Zögerlichkeit der Bundesregierung repräsentiert also die Haltung einer sehr breiten Bevölkerungsschicht.

Allein mit Subventionen lässt sich der Widerstand gegen den Klimaschutz nicht brechen. Für die nicht ideologisch motivierten Gegner:innen schneller Klimaschutzmaßnahmen dürfte es jedoch einen erheblichen Unterschied machen, ob es ein vages Versprechen eines sozialen Ausgleichs oder garantierte Zahlungen gibt.

Mit größerer Akzeptanz schneller Klimaschutzmaßnahmen ließen sich auch die rechtlichen Hindernisse und politischen Blockaden beim Ausbau erneuerbarer Energien leichter beseitigen. Um die Klimaziele dann wenigstens verspätet noch zu erreichen, dürften allerdings erhebliche staatliche Investitionen nötig sein.

Hätte die demokratische Lenkung der Wirtschaft, die Planwirtschaft ohne Parteidiktatur, einen besseren Ruf, wären schnellere und effizientere Lösungen möglich. Derzeit aber erreicht die deutsche Politik, obwohl zwei als links geltende Parteien die Koalition dominieren oder es zumindest könnten, nicht einmal das Niveau der angeblich neoliberal geprägten USA. Offenbar fürchten SPD und Grüne, als finanzpolitisch unsolide zu gelten. Ein weiteres Sondervermögen wäre aber ein geringer Preis für längst überfällige Klimaschutzmaßnahmen.