Ein Gespräch mit Sarit Zehavi über Israels Bedrohung durch die Hizbollah und den Iran

»Die Hizbollah zeigt sich eskalations­bereit«

Die Präsidentin und Gründerin des israelischen Forschungsinstituts Alma, Sarit Zehavi, spricht mit der »Jungle World« über sicherheitspolitische Entwicklungen an Israels Grenzen mit Syrien und dem Libanon, über die Verflechtungen von palästinensischen Terrororganisationen mit der Hizbollah und dem Iran sowie was das für Israels Sicherheit bedeutet.
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Anfang April kamen in der libanesischen Hauptstadt Beirut die Spitzen der proiranischen Hizbollah-Miliz und der palästinensischen Terrororganisation Hamas zusammen. Bei dem Treffen soll es nach Berichten in arabischen Medien auch um »Entwicklungen an der palästinensischen Front«, die »Ereignisse in der al-Aqsa-Moschee« und den »Widerstand im Westjordanland und im Gaza-Streifen« gegangen sein. Kommt es zu einer verstärkten Kollaboration zwischen palästinensischen und pro­iranischen Kräften im Kampf gegen Israel?

Derartige Koordinierungstreffen zwischen Funktionären von Hamas und Hizbollah finden in letzter Zeit häufiger statt. In der Tat wird Israel öfter zum Ziel von Angriffen, die auf eine Beteiligung des Iran hindeuten. Im März wurde ein Terrorist aus dem von der Hizbollah beherrschten Süden Libanons nach Israel eingeschleust und verübte in der Nähe des nordisraelischen Kibbuz Megiddo einen Bombenanschlag. Am 2. April fing die israelische Luftabwehr eine iranische Drohne ab, die aus Syrien kommend in den israelischen Luftraum eindrang. Am 6. April feuerte die paläs­tinensische Hamas 34 Raketen aus dem Libanon auf den Norden Israels. Mitte vergangener Woche geriet auch der Süden Israels wieder unter Raketenfeuer. Aus dem Gaza-Streifen schoss die vom Iran unterstützte palästinensische Terrororganisation Islamischer Jihad 104 Projektile in Richtung Israel.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Besuch des iranischen Präsidenten, Ebrahim Raisi, vergangene Woche in Syrien?

Der Iran strebt nach einer dominanteren Stellung im Nahen Osten. Zu diesem Zweck arbeitet er an der Konsolidierung einer sogenannten schiitischen Achse, zu der neben dem Libanon, dem Irak und Jemen auch Syrien gehört. Raisis Staatsbesuch ist Teil der Bemühungen, Irans wirtschaftliche und militärische Präsenz dort weiter auszubauen. Die Hizbollah und die iranischen Revolutionsgarden haben bereits ein weites Netz von Stellungen, die immer wieder Ziele von – der israelischen Armee zugeschriebenen – Angriffen werden.

Auch in den vergangenen Wochen kam es vermehrt zu solchen Operationen auf syrischem Territorium. So wurde zum Beispiel am 24. April eine Stellung nahe des an der syrisch-israelischen Grenze gelegenen Dorfes Hader beschossen. Auf den Angriff folgte der Abwurf von Flugblättern, welche die syrische Armee vor einer Kooperation mit der Hizbollah warnen. Auf den Flugblättern sind Fotos von einem Treffen zwischen Funktionären der Geheimdienste Syriens und der Hizbollah zu sehen, das offenbar am Angriffsort stattgefunden hatte. Allerdings unternahm die israelische Armee nichts, um Raisis Besuch in Syrien zu stören.

Warum kommt es gerade jetzt zu dieser verstärkten Kollaboration zwischen palästinensischen und proiranischen Gruppen?

Sie ist zum einen Ausdruck der derzeitigen Annäherung von sunnitischen und schiitischen Kräften im Nahen Osten, die sich auch darin widerspiegelt, dass der Iran und Saudi-Arabien gerade dabei sind, wieder diplomatische Beziehungen miteinander aufzunehmen. Im syrischen Bürgerkrieg hatte die palästinensische Hamas die sunnitischen syrischen Rebellen im Kampf gegen das Assad-Regime unterstützt, das wiederum von iranischen Kräften gestützt wurde.

Seit 2018 versucht der Iran, die sunnitische Hamas in die von ihm geführte sogenannte schiitische Achse einzugliedern. Bei einem Staatsbesuch im Libanon Ende April betonte Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian, dass er sich nicht nur mit schiitischen Gruppen treffe, sondern für Gespräche mit allen politischen Parteien offen sei. Bei diesem Besuch besichtigte Amir-Abdollahian auch die israelisch-libanesische Grenze. Zum anderen sehen sich die iranischen Kräfte gegenüber dem Westen und Israel gerade in einer Position relativer Stärke und zeigen sich dementsprechend eskalationsbereit.

Woher rührt diese Einschätzung der iranischen Seite?

Die USA haben ihre militärische Präsenz im Nahen Osten signifikant reduziert. Das wertet der Iran als Zeichen der Schwäche. Israel wird aufgrund der innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Justizreform und der damit verbundenen Proteste im Land ebenfalls als geschwächt wahrgenommen. Bei der Entwicklung seiner Atombombe macht der Iran Fortschritte und erfährt dabei gerade recht wenig Widerstand.

Dann spielt auch eine Rolle, dass die Hizbollah, ein verlängerter Arm des Iran, an Schlagkraft gewonnen hat. Sie hat sich von den Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee im Libanon-Krieg von 2006 erholt und ihre beschädigte militärische Infrastruktur weitgehend wiederherstellen können. Gleichzeitig ist sie nicht mehr durch die Aus­einandersetzungen des syrischen Bürgerkriegs gebunden und kann sich somit stärker auf die Konfrontation mit Israel konzentrieren.

Sie erwähnten die Raketenangriffe auf Israel aus dem Libanon Anfang April (»Israels Kampf an drei Fronten«, Jungle World 15/2023). Die waren Teil einer Terrorkampagne, die auf eine Auseinandersetzung der israelischen Polizei mit palästinensischen Randalierern in der Jerusalemer al-Aqsa-Moschee folgte. Die israelische Armee wollte zunächst nur die Hamas für diese Attacken verantwortlich machen. Sie sind aber offenbar der Meinung, dass auch der Iran für diese Angriffe mitverantwortlich ist. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Die Hamas hätte diese Aktion niemals ohne die aktive Mithilfe des lokalen Machthabers im Südlibanon durchziehen können – und das ist die aus dem Iran befehligte Hizbollah. Die Raketen wurden von Orangen- und Olivenplantagen schiitischer Bauern abgefeuert. Die sunnitischen Palästinenser, die im Südlibanon keine eigenen Ländereien besitzen, mussten die Geschosse und die Abschussrampen erst einmal dorthin transportieren, ohne dass die libanesische Armee oder UN-Truppen eingreifen. Das wäre ohne die Koordination mit der dort regierenden Hizbollah unmöglich gewesen.

Gibt es weitere Hinweise?

Unser Forschungszentrum hat außerdem dokumentiert, wie die Hizbollah und andere proiranische Kräfte gleichzeitig mit den Palästinensern vor den Raketenangriffen zur Gewalt gegen Israel aufgerufen haben.

Was haben die Ereignisse an der al-Aqsa-Moschee damit zu tun? Anfang April, während des Ramadan, hatten Gruppen junger Palästinenser sich dort verbarrikadiert und versuchten, die Leute darin zu hindern, die Moschee zu verlassen, nachdem sie zuvor Steine und Feuerwerkskörper auf israelische Sicherheitskräfte geworfen hatten. Die Polizei räumte die Moschee und nahm 350 Menschen fest. Die Hamas verurteilte den Einsatz als »beispielloses Verbrechen«.

Die Vorgänge dienten als Vorwand und wurden zum Teil überhaupt erst durch diese Hetze provoziert. Bevor ein einziger israelischer Polizist einen Fuß in die Moschee gesetzt hatte, haben palästinensische Gruppen, die Hizbollah und der Iran falsche Gerüchte verbreitet, dass Israel Muslime daran hindern wolle, während des islamischen Fastenmonat Ramadan in der al-Aqsa-Moschee zu beten.

Glauben Sie, dass die Hizbollah es 17 Jahre nach Ende des letzten Kriegs auf eine Konfrontation mit Israel anlegt?

Die Hizbollah fühlt sich für einen weiteren Krieg gegen Israel gewappnet und zeigt sich eskalationsbereit. Während Israel und die libanesische Regierung im vergangenen Jahr über ihre Seegrenze und die damit verbundenen Rechte an Gasvorkommen im Mittelmeer verhandelten, drohte die Hizbollah Israel ganz offen mit einer militä­rischen Konfrontation, um der libanesischen Verhandlungsposition Nachdruck zu verleihen. An der libanesisch-israelischen Grenze errichtet sie ihre Stellungen mittlerweile so offen, dass sie von israelischer Seite mit bloßem Auge zu erkennen sind. Wenn ich in die Nähe der Grenze komme, kann ich sehen, wie Hizbollah-Agenten Fotos von mir machen und Posten der israelischen Armee beobachten. Das war vor zwei Jahren noch völlig anders.

Die Beobachtermission United Nations Interim Force in Lebanon (Unifil) soll seit 2006 auch sicherstellen, dass ihr Operationsgebiet im Südlibanon nicht für feindselige Aktivitäten genutzt wird. Sollten die UN-Truppen eine derartige militärische Präsenz der Hizbollah an der Grenze zu Israel nicht verhindern?

Eigentlich schon. Aber erst vor kurzem wurde auf einer iranischen Internetseite ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie Hizbollah-Milizionäre nahe der israelischen Grenze die Entführung eines israelischen Soldaten trainieren. Die Übung wurde im südlibanesischen Dorf Marwahin gefilmt, das sich in unmittelbarer Nähe einer Unifil-Basis befindet.

Sie erwähnten das im vergangenen Oktober unterzeichnete israelisch-libanesische Abkommen über die maritime Grenze zwischen den beiden Ländern. Benjamin Netanyahu, seit Dezember Israels Ministerpräsident, kritisierte den Vertrag, der von der Regierung seines Vorgängers verhandelt worden war, weil er seiner Ansicht nach zur Stärkung der Hizbollah beigetragen habe.

Das Abkommen hat viele Vorteile für Israel. Es ermöglicht dem Land die Erschließung der Gasreserven unter dem Meeresgrund im israelisch-libanesischen Grenzgebiet und hat außerdem einen drohenden Krieg abgewendet. Aber die Tatsache, dass Israel weitgehende Zugeständnisse an die libanesische Seite machte, während die Hizbollah mit einer militärischen Eskalation drohte, bestärkt die proiranische Terrormiliz natürlich in ihrer konfrontativen Haltung gegenüber Israel.